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FERNSEHEN Sozusagen Löwenthal

Die Unionsländer haben neue Wellen, über die Privatfernsehen per Hausantenne empfangen werden kann, bisher ausnahmslos dem konservativen »Sat 1« zugeteilt, bei dem der Springer-Verlag das Sagen hat. *
aus DER SPIEGEL 6/1987

Der hannoversche Fernsehturm hinter dem Hauptbahnhof ist eigentlich »gerammelt voll«, wie die Bundespost mitteilt: In luftiger Höhe steht fast lückenlos Antenne neben Antenne.

Doch seit einigen Monaten sind Post-Planer und -Techniker emsig am Tüfteln, um auf den Plattformen noch Platz zu schaffen. Ein neuer Sender soll dort bis Ende des Jahres aufblenden, ein Fernsehsender auf Kanal 40 mit mindestens zwei Kilowatt für rundum 770000 oder mehr Einwohner. Das Privatfernsehen drängt über den drahtlosen Postfunk in die Hausantennen der Hannoveraner.

Die künftige TV-Anlage gehört zu einem Netz von Sendern, mit denen Bundespostminister Christian Schwarz-Schilling derzeit das Land überzieht. In München, Mainz und Koblenz sind die ersten TV-Strahler schon auf Sendung (Spitzenreiter: München mit rund einer Million erreichbaren Zuschauern). 62 weitere Städte sollen folgen - demnächst Trier, dann Kaiserslautern, später Berlin und eben auch Ernst Albrechts niedersächsische Landeshauptstadt.

Daß die Fernsehoffensive von christdemokratischen Medienstrategen gelenkt wird, ist an den Senderorten ablesbar, bislang durchweg in unionsregierten Bundesländern, aber auch am Programm. Denn übertragen wird überall das gleiche: das Privatprogramm Sat 1, bei dem die Frankfurter DG-Bank, ein Institut der Bauern- und Genossenschaftsverbände, und der konservative Axel Springer Verlag das Sagen haben.

In München sorgte Ministerpräsident Franz Josef Strauß für eine sinnvolle TV-Ergänzung. Einem Lokalprogramm, an dem Strauß-Sohn Franz Georg, 25, beteiligt ist, ließ der CSU-Chef täglich 55 Minuten Sendezeit genehmigen, ein frühabendliches Münchner Einschiebsel bei Sat 1 (SPIEGEL 26/1986). Rechtzeitig vor den - Mitte Oktober begonnenen - Drahtlos-Sendungen des Strauß-Programms wurden die beiden liberalen Chefredakteure der Aufbauzeit gefeuert. Seit Jahresbeginn amtiert ein CSUgenehmer Nachfolger zum »Vorbeten und Vorkauen« - so einer der beiden Geschaßten, Peter Dermühl.

Beim überregionalen Sat 1, das bis vor kurzem nur über Satellit und Kabel zu empfangen war und nun drahtlos rapide Zuschauer gewinnt, sind die Verhältnisse schon seit langem klar. Die Mainzer Sat 1 GmbH, findet Programmdirektor Helmut Thoma vom Luxemburger Konkurrenzkanal »RTL plus«, werde, weil »eindeutig von Springer und sehr konservativen Kreisen beherrscht«, von Unionspolitikern dazu benutzt, »dem linken Fernsehen ein ganz rechtes entgegenzustellen, sozusagen ein perpetuiertes Löwenthal-Magazin«.

Was nach übler Nachrede des Konkurrenten klingt, ist für den gebürtigen Wiener Thoma deutsche Medienrealität. Jedesmal bewirbt sich seine Gesellschaft im Wettbewerb mit Sat 1 um die neuen Sender auf den Fernsehtürmen - weil auch RTL plus bisher überwiegend per Kabel zu empfangen ist und die Verkabelung nur langsam vorankommt. Doch jedesmal erhält Sat-1-Geschäftsführer Jürgen Doetz zuvor stellvertretender Regierungssprecher der Mainzer CDU-Regierung, den Zuschlag. »Die Ministerpräsidenten« schrieb daher die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« ("FAZ") über die Unionsherren, »sehen Sat 1 als ihr Kind an.«

Im Herkunftsland von Doetz ist diese Pflegschaft sogar gesetzlich festgeschrieben. Ministerpräsident Bernhard Vogel schob Mitte letzten Jahres ein Sat-1-Privileg in das rheinland-pfälzische Landesrundfunkgesetz

ein. Seither ist die »Erlaubnis zur Nutzung neuer drahtloser Fernsehfrequenzen« dort vorrangig auf Sat 1 zugeschnitten - ein Richtungsentscheid für ganz Süddeutschland. Denn Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Bayern haben sich vertraglich zur »Zusammenarbeit in Fragen der Medienpolitik« verpflichtet; die Sat-1-Ausstrahlung in München läuft vorerst noch als »technischer Versuch«.

In Berlin vergab der Kabelrat, die öffentlich-rechtliche Zulassungsbehörde für Privatsender, kurz vor Weihnachten eine ungenutzte TV-Frequenz ebenfalls an Sat 1. In einer Anhörung, die Thoma mehr an einen »Fischmarkt« erinnerte überboten die Konkurrenten einander mit Investitionszusagen für Berlin.

Dabei blieben die RTL-plus-Leute »in der Annahme, daß es sich hier um eine seriöse Veranstaltung handelt« (Thoma), weit hinter den - für unerfüllbar gehaltenen - Sat-1-Offerten zurück. Mit der ausschlaggebenden Stimme des Vorsitzenden, des früheren Verfassungsrichters Ernst Benda, ließ das Gremium die Luxemburger abfahren.

In Hannover traf Ernst Albrecht zwei Tage später eine seiner einsamen Entscheidungen. Dem Landeskabinett ließ er kurzerhand mitteilen, er werde dem zuständigen Landesrundfunkausschuß die Vergabe von Kanal 40 an Sat 1 vorschlagen. Widerspruch des Gremiums wird nicht erwartet. »Für Sat 1«, schrieb die »Hannoversche Allgemeine Zeitung«, »wird in Niedersachsen das Kabel überflüssig.«

Ganz soweit ist es noch nicht, der hannoversche TV-Sender wird nur knapp über die Stadtgrenzen reichen. Die Post prüft allerdings eine Leistungssteigerung von zwei auf fünf Kilowatt, womit eine Zuschauermillion wie in München annähernd erreicht oder sogar überschritten werden könnte.

Um den Ministerpräsidenten aber statt des inzwischen aufgegebenen Konzepts einer Vollverkabelung der Republik, möglichst großflächigen Ersatz durch drahtlose Sender zu bieten, hat Schwarz-Schilling bereits nach weiteren Frequenzlücken zwischen ARD und ZDF suchen lassen. Vor allem in Bayern, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein fand die Bundespost bislang, über die zunächst gemeldeten 65 Großgemeinden hinaus, in Dutzenden kleineren Städten freie TV-Wellen - immer bessere Aussichten für Sat 1, das derzeit noch ein Jahresdefizit von rund 120 Millionen Mark mitschleppt.

Was die Chancen des sogenannten Springer-Fernsehens so enorm verbessert, ist das absurde, aber von Unionspolitikern gepflegte Vorurteil, RTL plus sei eine Art linkes Programm. Knapp 40 Prozent der TV-Gesellschaft, die in Luxemburg produziert, aber mehrheitlich in deutschem Besitz ist, gehören der Bertelsmann AG, weitere zehn der »Westdeutschen Allgemeinen Zeitung«.

Beide Unternehmen gelten als nichtkonservativ. Bei Bertelsmann führt der frühere Bundesfinanzminister Manfred Lahnstein (SPD) die zuständige Abteilung »elektronische Medien«.

Im Herbst letzten Jahres allerdings wechselte die konservative »FAZ« einen Ein-Prozent-Anteil bei Sat 1 gegen eine RTL-plus-Beteiligung in gleicher Höhe ein, weil sie bei den Luxemburgern erheblich mehr Programmrechte erhielt. Bislang bieten die Luxemburger Sendungen jedoch nicht weniger elektronischen Tingeltangel als Sat 1, eher mehr.

Und wenn schon einen »regierungskritischen Ton«, so registrierten ihn die Kommunikationsforscher von »media control« öfter bei Sat 1 als bei RTL plus. Immerhin, nach den RTL-Programmrichtlinien darf das Programm politisch »nicht einseitig« sein - eine Vielfaltsklausel, die es bei Sat 1 nicht gibt.

Um so fassungsloser beobachten die Luxemburg-Manager nun die Wellenvergabe »nach dem Muster einer Bananenrepublik« (RTL-plus-Sprecher Hendrik Schmidt) und die Zusammenballung einer Art »Hugenberg-Konzentration« (Kollege Thoma) - wobei der Vergleich mit dem Hitler-Wegbereiter Hugenberg, einem Pressemagnaten der Weimarer Republik, politisch fehlgeht, nicht aber die Konzentrationsparallele: Der beim Berliner Kabelrat mit Sat 1 erfolgreiche Springer-Verlag beherrscht in der Halbstadt den Zeitungsmarkt bereits mit 78,2 Prozent.

In Hamburg, Springers zweitem Monopolmarkt (Zeitungsanteil: 83,8 Prozent), hilft dem Bürgermeister Klaus von Dohnanyi (SPD) ein glücklicher Umstand aus der Klemme: In der Hansestadt fand die Bundespost gleich zwei ungenutzte Fernsehfrequenzen. Nach dem Arbeitsprogramm des Senats soll Sat 1 die eine, RTL plus die andere Frequenz bekommen - »Chancengleichheit«, wie Springers »Bild«-Zeitung großmütig kommentierte.

Ein ähnlicher Ausweg zeichnet sich in zwei, drei Dutzend anderen Städten ab. Auch dort, zum Beispiel in München, fand die Bundespost freie Zweitfrequenzen oder prüft geeignet scheinende Lücken. Ob RTL plus dann dort voll zum Zuge kommt, ist in den Unionsländern allerdings nicht ausgemacht.

Von Sat 1 haben sich im letzten Herbst nämlich die konservativen Großverlage

Burda und Bauer abgespalten. Sie wollen sich in der Programmgesellschaft der Münchner »Musicbox«, eines Kabelsenders, zusammentun und nun auch an den drahtlosen TV-Wellen teilhaben. In München sendet »Musicbox« bereits vor dem Lokalfernsehen, von 16 bis 18 Uhr.

Denn Geschäftsführer Wolfgang Fischer, eine Art politischer Zwilling von Sat-1-Chef Doetz, findet in süddeutschen Staatskanzleien Gehör. Fischers früherer Beruf: Medienreferent der CDU im Bonner Konrad-Adenauer-Haus.

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