Späte Resonanz
(Nr. 5-7/1979, »Holocaust")
Die Holocaust-Ausgabe des SPIEGEL ist ein Meisterwerk von Ihnen und Ihren Mitarbeitern! Sie sollte in Form einer Broschüre von allen Zentralen für politische Bildung an Schulen und andere Stätten verteilt werden. Als wir in den Akten des Ribbentropschen Auswärtigen Amtes vor mehr als dreißig Jahren das Protokoll der Wannsee-Konferenz über die »Endlösung« der Judenfrage entdeckten, die am 20. Januar 1942 stattgefunden hatte, hätten wir nie geglaubt, daß eine Resonanz in der Öffentlichkeit so lange auf sich warten lassen würde.
Bad Homburg (Hessen)
DR. ROBERT M. W. KEMPNER US-Hauptankläger im Wilhelmstraßen-Prozeß, Nürnberg
Die Aufhebung der Verjährung sollte vom Gesetzgeber so lange vertagt werden, bis auch die Alliierten anfangen, ihre grausamen Verbrechen an Deutschen zu bestrafen.
Bonn KARL ZUSCHLAG
Oberstleutnant a. D.
Es ist falsch, auf andere zu zeigen, die vielleicht auch nicht alles richtig machen, nur um von unserer eigenen Vergangenheit abzulenken.
Die SPIEGEL-Serie über Auschwitz ist zu begrüßen, da das Thema bisher immer »elegant« übergangen wurde. Die Fehler liegen darin, daß die Justiz nicht in der Lage war, NS-Verbrechen sachgerecht zu verfolgen. Waren doch oft die Verfolger selbst involviert. Man sollte überdies die neue Tendenz eines Rechtsradikalismus unter den Jugendlichen in der Bundesrepublik nicht unterschätzen, denn so klein fing es ja auch einmal an.
Tokio THOMAS A. LÜTTKE tätig im Auswärtigen Amt Auschwitz-Häftling 115 585
Ich bin mit fünf Jahren aus Deutschland weg, 1937. So blieb mir das Schicksal, das unglaublich bittere Schicksal, erspart. Mein Großvater, Arthur Eloesser, langjähriger Theaterkritiker an der »Vossischen« und Autor einer Deutschen Literaturgeschichte, war schon zu krank, um mit uns auszuwandern. Er starb 1938 Gott sei Dank eines natürlichen Todes. Seine Frau jedoch, eine stolze und schöne Berlinerin, wurde abtransportiert. Die Großmutter meines Mannes war über 85 Jahre, als sie die Nazis holten. Wie gnädig ist dagegen eine Bombe, die unpersönlich Schluß macht.
Auch hier in Brasilien gibt es noch alte Nazis oder Neo-Fasehisten. Als vor kurzem Gustav Wagner, einer der Haupthenker von Sobibor in S. Paulo erwischt wurde, gab es in den Zeitungen lange Leser-Debatten über sein Schicksal. Auch ich habe mich daran beteiligt und mit meinem Namen unterschrieben. Darauf kam um vier Uhr morgens ein anonymer Anruf: »Frau Irene, wir werden Sie umbringen, passen Sie auf, passen Sie auf!« Feige -- wie immer -, dieses Pack. Säo Paulo (Brasilien)
IRENE GEBHARDT FREUDENHEIM
In der Holocaust-Diskussion im Fernsehen hat Herr Clemens de Boor über den WDR vor Millionen Menschen unwidersprochen die Behauptung aufstellen dürfen, daß es in der NS-Zeit öffentliche Erklärungen zur Judenvernichtung, zur physischen Ausrottung von Juden gegeben habe. Es ist dies eine Behauptung von ungeheurer Bedeutung, die geeignet ist, die These von der Kollektivschuld des deutschen Volkes für Generationen festzuschreiben.
Ich stelle fest, daß es nicht eine einzige öffentliche Erklärung, aus der das Volk unzweideutig die Vernichtungsabsicht gegenüber den Juden erkennen konnte, gab. Ja, es konnte eine solche Erklärung gar nicht geben, weil die Nazi-Führung wußte, daß das deutsche Volk, daß vor allem die deutsche Wehrmacht eine solche Schande niemals geduldet hätte. Ich fordere Herrn de Boor hiermit auf, die wissenschaftlich exakten Beweise für seine ungeheuerliche Behauptung vorzulegen.
Hamburg DR. WOLFGANG VENOHR
Stern-TV
Ich als Nicht-Deutscher kann wohl aussprechen, was viele Deutsche heute kaum zu bemerken wagen: Holocaust ist nicht nur eine historische Begebenheit -- Dinge, wie sie dort beschrieben werden, geschehen auch heute überall in der Welt. Sollen wir den gleichen Fehler begehen wie damals und passiv bleiben, weil wir das Schreckliche nicht wahrhaben wollen?
Oslo TERJE TORGERSEN
Arzt
Wer dieses tatsächliche Geschehen leugnet, belügt sich letztendlich selber. Das ist schon keine Katharsis mehr. sondern schon die vorweggenommene Apokalypse. z. Z. Berlin
MICHAIL-FJODOROWITSCH ROMANOW Komponist und Musikwissenschaftler
Die damalige »Gleichgültigkeit und Seelenlosigkeit« (Heinz Höhne) wurzelt weiterhin tief in den deutschen Beamten, medizinischen Gutachtern und Richtern, die über die Entschädigung an die Überlebenden des furchtbaren Massakers seit Menschengedenken zu entscheiden haben.
Es wird bei den Gesundheitsgeschädigten nicht gefragt, was sie gelitten, wie sehr sie gefoltert und geschlagen wurden, wieviele Jahre sie hungerten, welche Todesängste sie durchmachten. wann und wo deren Kinder, Eltern. Geschwister und Ehegatten vor deren Augen ermordet wurden. Die Frage lautet nur: Kann mit hinreichender Wahrscheinlichkeit angenommen werden, daß die heute festgestellten Leiden auf die vor fast 40 Jahren durchgemachte Verfolgung zurückzuführen sind?
Wien THEODOR FRIED
Rechtsbeistand und Journalist
Mit Entsetzen und Erschütterung habe ich die Berichte gelesen! 34 Jahre nach Kriegs- und Nazi-Ende haben die Deutschen nicht geweint! Trotz hervorragender dokumentarischer Bücher, trotz der Berichte über die NS-Presse, trotz des »Tagebuchs der Anne Frank« -- die Mehrheit des deutschen Volkes weinte nicht!
Wie mir ein Israeli hier sagte, soll der Film »romantisch, rührselig und sentimental« sein! Ich kenne die Wahrheit. Meine ganze Familie, 30 Angehörige, darunter meine geliebte, teure Mutter, ist in Auschwitz umgekommen. Ich habe meine Kindheit in Frankreich im Versteck, in Angst und Schrecken verbracht und wurde von einer Russin gerettet, die mich bei der französischen Miliz als ihre Tochter ausgab
Ich brauche keine kommerziellen amerikanischen Sentimentalitäten.
Und daß es heute wieder Neo-Nazis gibt, die unvorstellbar frech und selbstbewußt auftreten und den wenigen wirklich anständigen Menschen in Deutschland ins Gesicht höhnen können -- das ist ungeheuerlich!
Haifa (Israel) GITTA WACHTEL
Frau Lina Heydrich schreibt im SPIEGEL: »Was den Film wertvoll macht, ist die Beantwortung der Frage: Wie entstand und wie entsteht immer neu der Antisemitismus.«
Diese Behauptung zeigt, daß Frau Heydrich den Film entweder nicht gesehen oder gesehen und nicht verstanden hat.
Jedoch unabhängig davon soll zweierlei gesagt werden:
Rassentheorien, für die die »jüdische Rasse« eigentlich kein geeignetes Beispiel ist, hat es immer gegeben und gibt es noch heute. Das gleiche betrifft auch die Befürworter dieser Theorien. Aus der Tagespresse, die über das Geschehen zum Beispiel in Südafrika oder in Amerika berichtet, könnte Frau Heydrich es erfahren.
Was den Film »Holocaust« betrifft, so ist das wirklich Wertvolle an diesem Film die millionenfach verkleinerte Darstellung (anders ging es nicht) dessen, wozu solche Verbrecher gegen die Menschheit (nicht nur gegen die Juden) wie Heydrich, Himmler, Eichmann und Tausende ihrer Helfer fähig waren.
Das Wertvolle für uns alle und für Frau Heydrich persönlich ist auch die Tatsache, daß sie seit zig Jahren in einem Staat lebt, in dem sie öffentlich und frei eine solche eindeutige Äußerung machen darf. Für diese freie Meinungsäußerung hätte Frau Heydrich im Staate der Völkermörder wie Heydrich, Himmler und Eichmann mit ihrem Leben durch Erschießung oder Vergasung in einem KZ bezahlen müssen.
Esslingen PROF. DR. DR. A. GILL
Ich war im Ghetto Lemberg und später im Vernichtungslager Janowska bis Ende 1943, als es mir gelang, zu flüchten und ich über die Frontlinie zu den Russen entkam. Meine Familie außer meinem Vater wurde in Lemberg ermordet.
Ich versuchte nach dem Krieg in Deutschland zu leben, aber ich konnte die Heuchelei der Deutschen 1946 nicht ertragen, als alle sagten, sie haben das nicht gewußt, und jeder erzählte, daß er Juden geholfen hatte. Deshalb bin ich nach Israel ausgewandert. Ich komme während der Jahre manchmal nach Deutschland, und es scheint, daß sich die Zeiten geändert haben.
Krinizi (Israel) ABRAHAM GOLDBERG
Dipl-Ing.
Durch den Abdruck von Auszügen der Höß-Autobiographie ist mir die furchtbare Herkunft des Begriffs »Café Eichmann« bewußt geworden. Er bezeichnet im Bundeswehr-Jargon den Raum, in den Gas geleitet wird, um die Gasmasken zu überprüfen. Ich werde diesen Ausdruck nie mehr gebrauchen und meine Soldaten über seine Bedeutung aufklären.
Ludwigsburg ROLAND RÖHRIG Unteroffizier der Bundeswehr