NAHER OSTEN Später büßen
Ali Abdallah Alirisa, Saudi-Arabiens Botschafter in den USA, malte die Zukunft in dunklen Farben: »Unseren Freunden scheint nicht klar zu sein, daß dem Westen eine Krise historischen Ausmaßes bevorsteht.«
Im heimatlichen Saudi-Arabien machte sein stellvertretender Regierungschef, Kronprinz Fahd, deutlich, worin diese historische Krise besteht. »Innerhalb kurzer Zeit sind zwei Verbündete der USA -- Taiwan und Iran -- wie schwerer Ballast abgeworfen worden«, beklagte sich der wahrscheinliche Nachfolger des kranken Königs Chalid, »es fragt sich nur, wann wir an der Reihe sind.«
Amerikas Verbündete in Nahost
allen voran die Saudis sehen im Rückzug der Amerikaner aus dem Iran den Anfang vom Ende einer amerikanischen Nahostpolitik, die ihren letzten Höhepunkt in Carters ägyptisch-israelischem Versöhnungsgipfel von Camp David hatte.
Für sie ist der Abgang des Schah ein Sieg der Sowjets, die seit Jahren konsequent ein Ziel verfolgen: die Kraftzentrale des Kapitalismus, die Erdölfelder Arabiens und des Iran, unter ihre Kontrolle zu bringen.
Militärisch genügt ihnen dazu die Macht an der Straße von Hormus. der nur 41 Kilometer breiten Meerenge, die den Persischen Golf vom Indischen Ozean trennt. Durch das »Spundloch der Weltwirtschaft« ("Neue Zürcher Zeitung") werden 90 Prozent des japanischen und 70 Prozent des westeuropäischen Erdöls transportiert.
Bislang beherrschten iranische Marine- und Luftstreitkräfte, zusammen mit Streitkräften Omans, wo etwa 3000 Perser stationiert waren, das strategische Nadelöhr -- und durch sie kontrollierte es der Westen. Das aber könnte sich, dank Chomeini, dramatisch ändern.
Insbesondere die konservativen Anrainerstaaten des Golfes fürchten eine solche Entwicklung. Von allen Golfstaaten verfügt einzig der Irak mit 212 000 Mann unter Waffen über eine Streitmacht, die sich in etwa mit der persischen messen kann. Doch den Irak will keines der Scheichtümer als neue Schutzmacht akzeptieren.
Das liegt zum einen daran, daß die Irakis sich mit der Sowjet-Union verbündet haben. Gravierender noch ist, daß der Irak offen die Befreiungsbewegungen verschiedener Golfstaaten unterstützt und Gebietsansprüche an die Scheichtümer stellt. 1961 gelüstete es Iraks damaligen Premier Kasim gar nach dem gesamten Territorium seines Nachbarn Kuweit. Kasim: »Kuweit ist ein unveräußerlicher Bestandteil der Region Basra«, des irak.
Kuweit (mit 110 Millionen Tonnen Erdöl viertgrößter Produzent des Nahen Ostens) muß den Appetit des panarabischen Nachbarn um so mehr fürchten, als die etwa 400 000 Kuweitis eine Minderheit an der Gesamtbevölkerung (1,1 Millionen) darstellen. Viele der strategisch wichtigen Posten sind mit Palästinensern besetzt oder werden doch zumindest von ihnen beeinflußt.
»Wann wird es zur Libanisierung Kuweits kommen?« fragte vor kurzem die kuweitische Zeitung »El Sijassa« -- Ausdruck einer wachsenden Furcht, daß die Palästinenser die Kuweitis ebenso unter ihre Kontrolle bringen wollen, wie ihre Landsleute es -- vor dem Eingreifen der Syrer -- mit den Christen im Libanon versuchten.
Verdorben haben es sich die Kuweitis bereits mit Persiens Ajatollah Chomeini. Als der im vorigen Jahr, nach 14jährigem Exil aus dem Irak abgeschoben, bei Kuweits Emir, Scheich Dschabir Al Achmed Al Sabah, um Asyl bat, lehnte der ab und bot als Kompensation einige Millionen Dollar an. Chomeini verweigerte das Almosen und schwor. »Für diesen Fehler wird der später büßen.«
Kritisch könnte es an der Straße von Hormus auch für das Sultanat von Oman werden. Bislang hielten persische Soldaten dem Sultan Kabub Ben Said die Opposition vom Leib -- insbesondere Rebellen aus dem von Sowjets, Kubanern und Ostdeutschen unterstützten Südjemen.
Von seinen Nachbarn kann der Sultan kaum Hilfe erwarten: Abu Dhabi und Dubai haben seit langem Streit, und in Katar gilt die größte Sorge ehrgeizigen Industrieprojekten, mit denen sich der reiche Golfstaat übernommen hat.
Hilfe könnte, als neue Ordnungsmacht am Golf, allenfalls Saudi-Arabien gewähren. Doch auch das nur sehr bedingt: Die mit 525 Panzern und 171 größtenteils veralteten Flugzeugen ausgerüsteten 58 500-Mann-Streitkräfte Saudi-Arabiens reichen kaum aus, die eigenen Erdölquellen zu verteidigen.
Zwar stocken die Saudis derzeit ihren Verteidigungshaushalt noch einmal um 3,5 Milliarden Dollar auf, nachdem sie ihn schon im laufenden Haushaltsjahr um 28 Prozent erhöht hatten. Aber mit Geld allein -- eine bittere Lektion für Saudis -- ist Sicherheit nicht zu haben.
Eine zu starke Armee, fürchten Saudi-Arabiens Regierende, könnte sich zu einer Gegenmacht für die königliche Familie entwickeln, die heute den Staat beherrscht. Und die hat ohnehin schon Schwierigkeiten, ihre verwöhnten jungen Wüstensöhne für den Offiziersdienst zu begeistern.
Als das Debakel der amerikanischen Iran-Politik mit dem Sturz des Schah und der Machtübernahme Chomeinis offenkundig wurde, sahen sich einzelne Saudis denn auch -- wenngleich natürlich nicht offiziell -- bereits nach neuen Arrangements um: mit den bislang verteufelten Sowjets. »Die Sowjet-Union«. so Prinz Salman. Gouverneur von Riad, »äst eine Supermacht. Es ist unmöglich, sie zu ignorieren.«
Auf einmal sprachen sieh die Saudis für eine Wiederbelebung der Genfer Nahost-Konferenz aus, in der die Sowjets neben den USA als Kopräsidenten sitzen. Und in Beirut hielten sich Gerüchte, ein hoher Saudi-Beamter sei in Genf mit Moskaus Gromyko zusammengetroffen.
Die Sowjets reagierten schnell -- und für Moskauer Verhältnisse ungewöhnlich positiv: Ende Januar widmete die »Literaturnaja gasetta« dem bislang stets als »feudalistisch und reaktionär« verdammten »Königreich der Finsternis« plötzlich einen überaus wohlwollenden Bericht unter der Überschrift: »Saudi-Arabien: Wie geht es weiter?«
Und in diesem, offenkundig auf höchster Ebene abgesegneten, Artikel steht zu lesen: »Die Sowjet-Union und Saudi-Arabien haben nie gegeneinander gekämpft und nie unlösbare Konflikte gehabt.«
Schlußfolgerung des Autors Igor Beljajew, der als einer der führenden sowjetischen Nahost-Experten gilt: Angesichts der Unzufriedenheit Saudi-Arabiens mit Amerikas Politik im Nahen Osten sei das Königreich möglicherweise bereit zu einem außenpolitischen Kurswechsel.
Zugleich sickerte durch, daß schon im März eine sowjetische Handelsdelegation Saudi-Arabien einen Besuch abstatten werde.
Spekulationen, die Saudis wollten die Anfang der 40er Jahre eingefrorenen diplomatischen Beziehungen zu Moskau wiederbeleben, wurden von Riads Außenminister, Prinz Saud Al Feisal, zwar als »völlig unbegründet« dementiert. Wahrscheinlicher ist wohl auch, daß die Saudis in erster Linie psychologischen Druck auf Washington ausüben wollten, um eine weitere Schwächung der US-Präsenz im Nahen Osten zu verhindern.
Die Amerikaner reagierten flink. Zum selben Zeitpunkt, als der Ajatollah Chomeini im Iran die Macht übernahm, reiste Amerikas Verteidigungsminister Harold Brown für drei Tage nach Saudi-Arabien. Im Gepäck trug er einen persönlichen Brief Jimmy Carters an Saudi-König Chalid. Vorschlag des Amerikaners: Washington und Riad sollten sich künftig regelmäßig über Fragen der Sicherheit am Golf konsultieren.
Brown, der erste US-Verteidigungsminister, der den Saudis je die Ehre gab, vor Kadetten in Riad: »Niemand soll an unserer Bereitschaft und unserer Fähigkeit zweifeln, ein guter Freund im Frieden und im Krieg zu sein. Wir können eine bessere Ausbildung und besseres Gerät stellen als irgend jemand sonst in der Welt. Und wir werden das auch tun.«
Die Saudis blieben kühl. Wohl begrüßten sie Amerikas öffentliche Beistandsverpflichtung gegen eine Aggression von außen; und Kronprinz Fahd akzeptierte eine Einladung zum offiziellen USA-Besuch Mitte März.
Zugleich aber ließen sie Brown wissen, die USA sollten besser nicht auf Riads Mithilfe bei der Durchsetzung der Camp-David-Vereinbarungen oder bei einer Senkung der Ölpreise rechnen. Das wäre, so Handelsminister Suleiman Suleim, eine »unrealistische Erwartung«.