VATIKAN / FINANZEN Spaghetti vom Papst
Ein Leser des päpstlichen Sonntagsblattes »L'Osservatore della Domenica« brachte jüngst die Moralisten des Vatikans in arge Verlegenheit. Er wollte wissen, wie der Vatikan zu der Flucht italienischen Kapitals ins Ausland stehe.
Monsignore Virgillo Levi, der Leserbriefbeantworter des Blattes, machte sich auf, eine vorsichtige Antwort zu erteilen. Levi: »Vom christlichen Standpunkt aus ist die heimliche Ausfuhr von Kapital ins Ausland nicht erlaubt, sie stellt objektiv eine schwere Schuld dar.«
Der Papst, so erläuterte der Monsignore im »Osservatore della Domenica«, habe sich in seinen Enzykliken »Mater et magistra« und »Populorum progressio« zu der sozialen Funktion des Privatbesitzes bekannt. Mithin habe jede »egoistische Spekulation« zu unterbleiben, es sei »nicht zulässig, daß Bürger beträchtliche Teile ihres hohen Einkommens ins Ausland überführen«.
Die Belehrungen des Monsignore wurden von Italiens Öffentlichkeit nicht ohne Heiterkeit und Spott aufgenommen, denn der Vatikan praktiziert seit Monaten, was Levi italienischen Bürgern als schwere Schuld anlastete: die Transferierung von Vermögenswerten ins Ausland.
Von Egidio Kardinal Vagnozzi, dem Leiter der päpstlichen Präfektur für Wirtschaftsangelegenheiten, gesteuert, hatten italienische Makler schon im Frühjahr 1969 begonnen, das legendenumwobene Finanzimperium des Vatikans umzugruppieren. Ihr Auftrag lautete, das Geld der Kurie wirtschaftlicher anzulegen und dem Blick der Öffentlichkeit zu entziehen.
Die Aktion lief so diskret an, daß Experten erst aufmerksam wurden, als zwei Vertraute des Vatikans aus dem Aufsichtsrat der »Generale Immobiliare«, Italiens größter Bau- und Grundstücksfirma, ausschieden. Sie überließen ihre Posten dem Mailänder Makler Michele Sindona, der kurz zuvor ein Aktienpaket der Gesellschaft erworben hatte.
Bald erwies sich, daß Sindona, laut »New York Times« die »Mailänder Version eines Texas-Millionärs«, im Auftrag des Vatikans in die Immobiliare eingetreten war. Einige Wochen später, im Juni, verkaufte Sindona die dem Vatikan gehörenden Mehrheitsaktien der Generale Immobiliare an die »Paribas Transcompany« in Luxemburg, eine Treuhandgesellschaft jenes Pariser Hauses Rothschild, das mit dem Papsttum seit 140 Jahren geschäftlich verbunden ist.
Interessierte Journalisten entdeckten zudem, daß der Sizilianer Sindona eng mit dieser Rothschild-Gesellschaft zusammenarbeitet. Sidona konnte seinen Auftraggebern in der päpstlichen Präfektur das Wiederkaufsrecht sichern: Das Abkommen bestimmte, daß die Treuhandgesellschaft das vatikanische Aktienpaket nicht an einen Dritten veräußern darf.
Die Verkaufsaktion Sindonas nährte den Verdacht, daß nicht nur die Immobiliare-Aktien des Vatikans (Reingewinn der Gesellschaft 1967: fast 26 Millionen Mark) abgestoßen werden sollten. Auch der Kursrückgang anderer vatikannaher Unternehmen wie der Baugesellschaft »Condotte d'Acqua«, der Kunstfaserfirma »Snia-Viscosa« und des Zementkonzerns »Italcementi« ließ auf weitere Aktienverkäufe des Heiligen Stuhls schließen.
In der Tat hatte der Vatikan abermals Aktien abgestoßen: Die Güterverwaltung des Heiligen Stuhls ließ 17,5 Prozent der Anteile an der Condotte d'Acqua dem Haus Rothschild verkaufen, während 20 weitere Prozent an die Holdinggesellschaft »Bastogi« ging, in der auch die Rothschilds Aktien halten.
Solche Operationen signalisieren, daß der Vatikan dabei ist, sein Finanzreich noch stärker als früher dem Blick der Öffentlichkeit zu entziehen. Die Mehrheitsaktien der Kurie sollen zerstückelt und durch Verlagerung ins Ausland für den italienischen Fiskus ungreifbar werden; eine moderne Finanzstrategie, wie sie Sindona vorexerziert, soll die Finanzmanipulation des Vatikans vor jeder öffentlichen Kritik schützen.
Die 17 Buchhalter und Angestellten der Sondersektion in der Präfektur für Wirtschaftsangelegenheiten, die in einem Appartement des Apostolischen Palastes im Vatikan in unmittelbarer Nähe der päpstlichen Gemächer arbeiten, sind denn auch zu strengster Geheimhaltung verpflichtet worden. Ihre Orders dürfen nur in seltenen Fällen schriftlich fixiert werden, alle Verabredungen haben mündlich zu erfolgen.
Kein Aktenstück, kein schriftliches Indiz soll Neugierige auf die Spuren vatikanischer Finanztransaktionen bringen. Denn: Wie keine zweite Finanzmacht dieser Welt ist das wirtschaftliche Imperium des Heiligen Stuhls Streitobjekt engagierter Christen und Nichtchristen. Sozialkritiker erregen sich angesichts einer Kirche, die Armut fordert und schier schrankenlosen Kapitalismus praktiziert.
»Während Jahr für Jahr Millionen Menschen verhungern, ergießt sich aus allen Himmelsrichtungen ein ununterbrochener und ungeheurer Strom an Kapital in das päpstliche Rom und wird dort angelegt«, zürnt der Schriftsteller Karlheinz Deschner. Schon im 15. Jahrhundert schalt der Papst-Kritiker Savonarola: »Sie handeln mit Pfründen und verkaufen sogar das Blut Christi.«
Der Anblick einer Kirche, die in Italien allein 250 000 Hektar Boden besitzt, ein Drittel des ländlichen Spaniens kontrolliert und unzählige Häuser Roms ihr Eigentum nennt, mußte selbst den Protest führender Geistlicher auslösen. Der Abbé de Lamennais ne aus: »In Rom gibt es nur einen Gott, und das ist das Geld!«
Je mehr sich Geld und Grundbesitz des Heiligen Stuhls häuften, desto mehr waren die Vatikan-Kapitalisten bemüht, ihre Unternehmungen zu verschleiern. Sie förderten damit freilich nur die Bereitschaft ihrer Kritiker, Umfang und Einfluß der vatikanischen Finanzen zu überschätzen und immer phantastischere Zahlen zu nennen.
Das US-Nachrichtenmagazin »Time« schätzte das Aktienvermögen und die Beteiligungen des Vatikans auf eine Summe zwischen 40 und 60 Milliarden Mark, Englands »Economist« wollte sich mit 22 Milliarden begnügen, der deutsche Vatikan-Beobachter Heinz Mohrmann errechnete 50 Milliarden Mark.
Bescheidener und zuverlässiger war eine Rechnung des italienischen Finanzministers Preti, der schätzte, das italienische Aktienvermögen des Vatikans betrage 640 Millionen Mark.
Erst jetzt ist es dem amerikanischen Journalisten Nino Lo Bello geglückt, ein realistisches Bild der Vatikan-Finanzen zu entwerfen. Als Rom-Korrespondent der »New York Herald Tribune« sammelte er in zehn Jahren detektivischer Fleißarbeit jedes erreichbare Indiz, jede kontrollierbare Information über die Geschäfte der Kurie.
»Bei der Sammlung des Materials«, erinnert er sich, »war es nötig, wie ein Spion in die tiefsten Schlupfwinkel des Vatikans einzudringen.« Mochten auch die Eminenzen dem Amerikaner Informationen vorenthalten -- ihm »gelang es doch, einen Zipfel des Schleiers zu lüften«.
Lo Bello entdeckte, daß kaum in der Geschichte der Kirche ein Papst über so viel Geld verfügt hat wie Paul VI. Ob Italien-Touristen Spaghetti essen, Benzin tanken, ihre Autoreifen wechseln -- der Vatikan verdient immer mit.
Er ist an dein italienischen Reisebüro Cit beteiligt, ihm gehört Italiens größte Spaghettifabrik »Pantanella«. er ist Aktionär des Reifenunternehmens »Pirelli«. Er besitzt die Aktienmehrheit an der »Bank des Heiligen Geistes« (Banco di Santo Spirito), er läßt Luxushotels in Italien bauen, er steckt in riesigen Bauunternehmen auf den Pariser Champs-Elysées, er beeinflußt die Anlage des Long-Island-Villendorfs »Oyster Bay Cove«, und er ist dabei, wenn eine neue Vorstadt für Mexico City entsteht.
Was Nino Lo Bello sah und ermittelte, schrieb er in seinem Buch »Die Milliarden des Vatikan« nieder, aus dem der SPIEGEL, beginnend in diesem Heft, Auszüge druckt. Lo Bellos Fazit: Der Vatikan mag die Armut in alle Ewigkeit preisen -- er selber aber huldigt dem Reichtum.