Schatzsucher Spaten beiseite
Mitternacht auf Oak Island. Schatzgräber Dan Blankenship, 48, flankiert von zwei Nachtwächtern, kneift die Augen zusammen, um im flackernden Licht der Sturmlaternen mehr erkennen zu können. Da, auf dem Monitor der batterie-gespeisten Fernsehanlage werden drei Kisten sichtbar. Eine menschliche Hand kraut sich ins Holz; sie ist abgehackt.
So gesendet, schwört Dan Blankenship, im Oktober letzten Jahres von einer Fernsehkamera, die er 80 Meter tief in ein Bohrloch versenkt hatte. Nur, beweisen kann Blankenship es nicht: »Leider war gerade der Stecker am Video-Aufnahmegerät kaputt«, bedauerte der ehemalige Bauunternehmer.
Er bedauert noch mehr: Blankenship ist einer von 24 Teilhabern der Triton Alliance Ltd. Und die Firma ist pleite. Sie hat während der letzten vier Jahre insgesamt 1,6 Millionen Mark in den Versuch gesteckt, mit Hilfe modernster Maschinen das Geheimnis eines genial ausgetüftelten, von unterirdischen Flutkanälen gesicherten Schachtsystems zu lüften: des »money pit« auf der Oak-Insel vor dem kanadischen Neuschottland. Hunderte von Wissenschaftlern und Schatzsuchern haben in den vergangenen 177 Jahren auf der Insel gebuddelt -- und ihr Vermögen von insgesamt elf Millionen Mark buchstäblich in den Sand gesetzt. Sechs Glücksritter kamen dabei um.
Nach verschiedenen Theorien sollen dort vergraben sein:
* der Fabelschatz der Inkas -- vor den spanischen Konquistadoren im 16. Jahrhundert dorthin gerettet;
* das Privatvermögen des Freibeuters Kidd aus dem 17. Jahrhundert;
* verlorengegangene Manuskripte von Francis Bacon -- Schlüssel zur Urheberschaft der Werke Shakespeares;
* Sold und Schatz eines französischen Zahlschiffes.
Der »money pit« ist ebenso genial wie unverständlich angelegt, die Geschichte seiner Entdeckung reicht bis 1795 zurück. Damals waren drei Jungen vom Festland in ihrem Kanu zur unbewohnten Insel hinüber gerudert. Sie bemerkten eine freistehende Eiche, deren unterster Hauptast zu einem Stumpf abgesägt war. An diesem Stumpf hing eine altertümliche Schiffswinde, und genau darunter lag eine etwa metertiefe, kreisrunde Senke.
Besessen von der Idee, einem vergrabenen Schatz auf die Spur gekommen zu sein, begannen sie zu graben, kamen aber nicht weit: Der 13 Fuß breite, senkrecht in die Tiefe führende Schacht wurde nach etwa einem Meter von einer Schicht flacher Steine und dann jeweils in drei Meter Abstand von Eichenplatten versperrt. Weiter unten wechselten verkittete Eichenbohlen mit luftdicht verkleisterten Kokosmatten. In 90 Fuß Tiefe schließlich fanden die Schatzsucher einen Stein mit geheimnisvollen Zeichen.
Professor James Liechie von der Universität Halifax glaubte die Schrift auf dem -- später verlorengegangenen -- Stein entziffern zu können: »40 Fuß tiefer liegen zwei Millionen Pfund Sterling vergraben.«
Doch diese 40 Fuß hatten es in sich: Als sich die Mannschaft am nächsten Morgen siegesgewiß zum erhofften Schatz durchwühlen wollte, stand der Schacht bis zu einer Tiefe von etwa »zehn Metern unterhalb des Einstiegs -- genau in Meereshöhe -- unter Wasser.
Alle Versuche, das Wasser zu lenzen, schlugen fehl. Zwischen 1845 und 1942 entdeckten Schatzsucher mehrere Flutkanäle, die aus einer kleinen, 160 Meter entfernten Bucht zum Schacht führten und ihn in Tiefen zwischen 35 und 50 Metern trafen.
Eine Art Unterwasserdamm aus Steinen und Fasermatten verhinderte, daß Schlick und Pflanzen im Wechsel der Gezeiten die Zufuhrlöcher verstopften.
Auf diese Weise war im Schacht oberhalb der Flutkanalmündungen eine Luftblase entstanden, eine Art Kammer zwischen dem herandrängenden Wasser und dem nach oben luftdicht verschlossenen Schacht. Ein System, das allerdings einen logischen Fehler hatte, wenn sich in der Kammer tatsächlich der vermeintliche Schatz befand: Er wäre auch für seine Besitzer unerreichbar geworden. Denn das Wasser mußte den Geldschacht in jedem Fall überfluten und die Besitzer ertränken, wenn sie ihren Schatz bergen wollten. Schlußfolgerung: Der Geldschacht war nur ein Tarnschacht.
Ein Piraten-Kollektiv hätte demnach den »money pit« gegraben, und dann jedes Mitglied seinen eigenen Tunnel für die persönliche Beute horizontal weitergebaut. Danach wären die Tunnel verstopft und der Hauptschacht durch ein Flutsystem unter Wasser gesetzt worden. Später hätten die Piraten ihren Schatz gefahrlos heben können, indem sie neue Schächte vertikal zum eigenen Versteck gruben.
Diese Theorie heizte die Schatzsuche erst recht an -- 15 Expeditionen, Hunderte von Einzelgängern wühlten wie die Maulwürfe. Die Familie Blair zum Beispiel buddelte 1894 schon in der dritten Generation. Onkel Isaac klagte seinem Neffen Frederick nach achtjähriger Graberei: »Ich habe genug gesehen, um zu wissen, hier ist ein Schatz vergraben -- und genug, um sicher zu sein, daß man ihn niemals heben wird.«
Neffe Frederick ließ sich davon nicht abschrecken und warf erst Jahre später, um 25 000 Dollar erleichtert, den Spaten enttäuscht beiseite. 1910 buddelte der spätere US-Präsident Roosevelt als junger Anwalt mit.
Zwischen 1929 und 1934 entdeckte der englische Rechtsanwalt und Antiquitätensammler Hubert Palmer in den Geheimfächern zweier Truhen des 17. Jahrhunderts mehrere Inselkarten, die bis in letzte Details mit der Oak-Insel übereinstimmten. R. Skelton, ehemals Leiter der Abteilung für alte Karten im British Museum, verbürgte sich dafür, daß die Karten wie auch die Truhen selbst zum Besitz des berühmten Seeräubers William Kidd gehörten. Kidd wurde 1701 hingerichtet -- nachdem ihm die Bitte abgeschlagen worden war, von einer geheimnisvollen Insel einen unermeßlichen Schatz holen zu dürfen.
1950 versuchte der New Yorker Grubeningenieur John Lewis mit einem 20-Tonnen-Dampfbagger, den Schacht zu öffnen. Fünf Jahre später schickte eine Gruppe reicher Texas-Ölmänner den Experten und Öl-Ingenieur Rusky George Green nach Norden.
Im November 1965 begann der Geologe Robert Dunfield, mit einem 100-Tonnen-Schaufelradbagger nach den Schatzkisten zu suchen. In 38 Meter Tiefe versumpfte das Gerät, und Dunfield zog, um 80000 Dollar erleichtert, wieder nach Kalifornien zurück.
Einige Monate nach Dunfields Abtritt verpflichtete sich der Montrealer Bauunternehmer David C. Tobias, die Becker Drilling Ltd. aus Toronto und die Warnock Hersey International
* Vor seiner Hinrichtung im Londoner Gefängnis.
Ltd. aus Montreal mit neuen Hochleistungsbohrern -- ergebnislos.
1969 schließlich bewegte der noch immer nicht klüger gewordene Tobias 24 Geschäftsleute aus den USA und Kanada dazu, eine Schatzgräber-AG, die Triton Alliance Ltd., zu gründen. Auch Alt-Cowboy John Wayne gehörte zu den Finanziers jenes vorläufig letzten Hebe-Unternehmens, das jetzt mangels Geld die Geldsuche vorläufig einstellte.
Die Provinz-Regierung von Neuschottland hofft, daß sich auch weiterhin Verrückte finden werden. Denn sie kassiert: Jeder Interessent muß zunächst eine Such-Lizenz erwerben und, so er fündig geworden ist, zehn Prozent der Beute abführen.