SPD-Parteitag: Angst vor den Grünen
Ihrem Kanzler zuliebe, dem Helden von Mogadischu, zelebrierten die Sozialdemokraten in Hamburg einen Parteitag des großen Kompromisses. Für die Regierung Helmut Schmidt kann das lebensgefährliche Folgen haben.
Mit ihrer Formel zur Kernenergie -- Vorrang für die Kohle, neue Kernkraftwerke nur, wenn eine Energielücke anders nicht zu überbrücken ist -- schlossen die Sozialdemokraten die Kluft zwischen großen Teilen in der Partei und ihrem Regierungschef. Vor Beginn des Konvents hatte Schmidt unmißverständlich klargemacht, er werde sich keinem Votum der Kernkraftgegner in der SPD beugen und notfalls auch gegen den Willen der Genossen tun und lassen, was er für richtig halte.
Als Anfang letzter Woche in Hamburg Anführer der starken innerparteilichen Opposition, voran Erhard Eppler aus Baden-Württemberg und Rudi Arndt aus Hessen-Süd, die Kompromißformel aus Rücksicht auf Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze billigten, gab der Konvent dann am Donnerstagabend mit großer Mehrheit dem Kanzler freie Hand. Die Partei-Einheit war wiederhergestellt, bis auf eine kleine Gruppe, die an ihrem strikten Nein festhielt.
Auf der Strecke blieben die Hoffnungen all jener engagierten Kernkraftgegner draußen im Land, die weder in der CDU/CSU noch in der FDP. sondern allein noch in der SPD, wenn auch nur durch eine Minderheit, ihre Interessen vertreten sahen.
So machten Partei-Obere und einfache Delegierte in Plenarsaal und Wandelgängen des Hamburger Congress Centrums keinen Hehl aus ihrer Sorge: Eine schlechte Kernkraft-Politik der SPD könne »Hebammen-Dienste für eine ökologische Partei« (Delegierter Harald Schäfer) leisten. Die Gründung einer solchen Partei der Umweltschützer, die Hans-Günter Schumacher letzte Woche ankündigte, könne Teil einer allgemeinen Veränderung des deutschen Parteien-Gefüges noch in dieser Legislaturperiode sein, und bei der nächsten Bundestagswahl müsse die SPD damit rechnen, daß ihr die Umweltschützer entscheidende Prozentpunkte abknöpften und so die Genossen um die Regierungsmacht in Bonn brächten.
Wenn auch die Genossen die tatsächliche Stärke der » Ökos« oder »Grünen« (Parteitags-Jargon) unterschiedlich einschätzen, einig sind sie sich darin, daß der SPD ein ernst zu nehmender Gegner erwachsen kann, den sie nicht als unbedeutende Splitter-Partei links liegenlassen darf.
Im Plenum berichtete Herbert Schmalstieg, Oberbürgermeister von Hannover, welch schmerzhafte Erfahrungen die SPD Niedersachsens bei den letzten Kreistagswahlen bereits mit den Umweltschützern machen mußte, die in einigen Landstrichen ihre eigenen Wahlvorschläge ausgelegt hatten. Schmalstieg: »Diese »Grünen Listen« haben immerhin zwischen zwei und vier Prozent der Stimmen auf sich gezogen, und es war festzustellen, daß diese Stimmen zu einem großen Teil von uns, von der SPD abgezogen worden waren.« Und der niedersächsische Parteivorsitzende, SPD-Vorstandsmitglied Peter von Oertzen, bestätigt diese Erfahrungen (siehe Seite 19).
Johano Strasser, ehemaliger Chef-Ideologe der Jungsozialisten, fürchtet die »destruktive Wirkung« einer Öko-
* Mit walter Arendt und Hans Matthöfer auf dem Hamburger Parteitag.
Partei. Sie werde der SPD nur Wähler wegnehmen, nicht aber über die Fünf-Prozent-Hürde kommen und damit als Koalitions-Partner ausfallen. Mittlerweile hat auch der Kanzler dazugelernt. Ein Berater: »Die Zeiten sind vorbei, in denen er die Umweltschützer nur für 'grüne' Spinner hielt.«
Am schwärzesten sieht wieder einmal Partei-Pessimist Erhard Eppler die Lage. Er traut den neuen Konkurrenten zu, in Südbaden, dem Standort des umkämpften Kernkraftprojektes Wyhl, aus dem Stand auf »runde zehn Prozent« und bei einigem Glück auch auf Bundesebene auf fünf Prozent der Wähler zu kommen.
Mehr noch als die Sorge vor einer Umwelt-Partei aber beherrschte die SPD-Delegierten in Hamburg die Furcht, die Partei-Szene könne sich in naher Zukunft grundlegend ändern.
Schon in seiner Eröffnungsrede hielt Willy Brandt die »Spielerei mit einer sogenannten linken Liste« des ehemaligen SPD-Vorstandsmitgliedes Jochen Steffen für erwähnenswert, er machte sie damit parteitagsoffiziell. Fraktionschef Herbert Wehner beschwor die SPD: »Widerstreben wir der Versuchung, Absplitterungen der Parlaments-Fraktion zu praktizieren oder in ihrer Bedeutung und in ihrer Folgewirkung zu relativieren! Es gäbe ein furchtbares Erwachen!«
Der Kanzler sah Gefahr für die SPD noch aus anderer Richtung. Er griff den CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß scharf an, weil er ohne Rücksicht auf die Einheit der Union durch Manipulationen mit einer vierten Partei die Macht wiedergewinnen wolle. Schmidt: »Dies alles ist kein Grund zur Schadenfreude, es ist ein Grund zur Sorge.«
Der Regierungschef befürchtet, daß, ganz im Strauß-Sinne, einer vierten Partei auf der Rechten, bald eine fünfte auf der Linken nachfolgen werde -- zu Lasten der SPD.
Nicht nur die Parteioberen« auch zahlreiche Delegierte warnten. MdB Erich Meinike etwa rügte den »Widerspruch zwischen sozialdemokratischen Verkündungen und tatsächlicher, praktischer Politik«, der die Bürger weg von der SPD in die Wahlenthaltung oder in die Arme anderer, neuer Parteien treibe. Allzu offenkundig sei dieser Gegensatz, so konstatierten vornehmlich linke Genossen, bei der Legalisierung des gezielten Todesschusses, auf dem SPD-Parteitag euphemistisch als »finaler Rettungsschuß« umschrieben, dem Kontaktsperregesetz oder dem Radikalen-Erlaß.
Wolf-Michael Catenhusen vom Parteibezirk Westliches Westfalen: »Wenn ... gesellschaftliche Prozesse und Konflikte ... an der SPD vorbeilaufen, dann wird ein immer breiter werdender politischer Leerraum von anderen politischen Organisationen besetzt werden.«
Helmut Schmidt bekam dann auch bei der Wahl der Parteivorsitzenden einen Denkzettel. Trotz seiner maßvollen, auf Integration auch des linken Flügels abzielenden Parteitagsrede (Eppler: »Ein taktisches Meisterwerk") verzieh ihm eine kleine radikale Minderheit nicht, daß er in der Sache, vor allem bei der Kernenergie. seinen Willen durchgesetzt hatte. Auf dem Mannheimer Parteitag 1975 erhielt der Kanzler als Vize noch genauso viele Stimmen wie der Vorsitzende Brandt. in Hamburg fiel er mit 395 Stimmen unter die Prestige-Marke von 400 deutlich hinter Brandt (413 Stimmen) zurück.
Betroffen eilte einer der Manager der Linken, Berlins Bausenator Harry Ristock, sofort nach der Stimmauszählung an den Vorstandstisch und entschuldigte sich förmlich bei Schmidt: »Das haben wir nicht gewollt.«
Spätestens nach dieser Wahl war der Partei klargeworden, daß es auf ihrem linken Rand einen harten Kern gibt. der nicht bereit ist, pragmatische Kompromisse mitzutragen, und vielen nun kaum noch integrierbar erscheint,
Ein Potential für eine neue politische Gruppierung war innerhalb der SPD sichtbar geworden, mit Schwerpunkt in Schleswig-Holstein und Südbayern.
Verstärkt hat sich die Sorge, Rote und Grüne könnten sich zusammentun und gemeinsam gegen die SPD antreten. Schon hat Eppler bei Jochen Steffen, dem ehemaligen SPD-Landesvorsitzenden von Schleswig-Holstein, die Absieht ausgemacht, »die Grünen rot einzufärben«. Steffen spekuliere darauf, daß die Ökologen mit ihren, der Allgemeinheit leicht eingängigen Forderungen ein zugkräftiges Programm anzubieten hätten, das ihnen Zulauf von überall her, vor allem aus den Kirchen, aber auch aus allen drei Parteien sichere.
Tatsächlich möchte Jochen Steffen nur zu gern mit großem Theaterdonner das Lager wechseln und seine eigene Partei aufmachen. Freunden vertraute der Altsozi an, er warte geradezu darauf, daß die SPD-Spitze ein Ausschlußverfahren gegen ihn in Gang setze und ihn damit zum Märtyrer mache. Steffen: »Dann fülle ich leicht die Dortmunder Westfalenhalle.« Finanzminister Hans Apel hält dagegen: »Der soll machen, was er will. Den Gefallen tun wir ihm nicht.«