SPD: Verzicht auf die Grünen?
Der Alltagsärger holte den Urlauber beim eiligen Wäschewechsel im heimischen Hamburger Reihenhaus ein.
Nach der Rückkehr von den norwegischen Lofoten-Inseln, nur wenige Stunden vor dem Abflug ins sonnige Kalifornien zur privaten Wochenend-Visite bei Freund George Shultz, Ex-Finanzminister der Vereinigten Staaten, mußte sich Bundeskanzler Helmut Schmidt von seinem Regierungssprecher Klaus Bölling die Ferienlaune verderben lassen.
In einem halbstündigen Telephongespräch berichtete Bölling seinem Chef am Donnerstagnachmittag ausführlich über ein Ereignis jener Art, die Schmidt gar nicht mag: Eigenmächtigkeit eines Untergebenen.
Entwicklungshilfeminister Rainer Offergeld, ohnehin nicht gerade vorn in der Kanzler-Gunst, war am Wochenende zuvor auf dem Parteitag der baden-württembergischen SPD in Fellbach aus der Reihe getanzt. Gegen klare Kabinettsorder hatte er mit der überwiegenden Mehrheit der Eppler-SPD für ein befristetes nukleares Moratorium gestimmt.
Offergelds Unbotmäßigkeit erboste den Kanzler tief. Zusätzlich gereizt durch CSU-Landesgruppenchef Friedrich Zimmermann ("Was ist ein Regierungschef noch wert, wenn seinem Kabinett Bundesminister angehören, die ihm in einer zukunftsentscheidenden Frage öffentlich in den Rücken fallen"), hätte Schmidt seinen Entwicklungshelfer am liebsten -- ruck, zuck -- gefeuert.
Vor dem unrühmlichen Abgang bewahrte Offergeld nur der Umstand,
Auf dem baden-württembergischen SPD-Parteitag in Fellbach.
daß er schon der vierte Minister für die Dritte Welt seit 1974 ist und Schmidt vor der Bundestagswahl 1980 einen weiteren Wechsel in dieser Position scheut.
Der Zorn des Kanzlers belegt, daß Schmidt sich in diesem Punkt keine Blöße geben will. Die Kernenergie, so vermutet der Kanzler, wird das entscheidende Thema der Wahlauseinandersetzungen mit seinem Herausforderer Franz Josef Strauß sein. Denn auf diesem Felde will der Bayer den vermeintlich starken Mann der SPD öffentlich als einen von der Partei gebeutelten Schwächung vorführen, dessen Kraft sich in großen Worten erschöpft.
Doch auch nach der befristeten Absage der baden-württembergischen Sozialdemokraten an die Kernenergie, deren begrenzten Ausbau Schmidt für unerläßlich hält, gibt der Kanzler seine Position keineswegs verloren -- nach wie vor geht er davon aus, auf dem Berliner Parteitag der SPD im Dezember eine bequeme Mehrheit hinter sich versammeln zu können.
Eskapaden wie Offergelds Ausbruch aus der Kabinettsdisziplin liefern der Gegenseite jedoch aus Kanzler-Sicht völlig überflüssige Anlässe, ihren Attacken mehr Elan und Glaubwürdigkeit zu verleihen.
Die Opposition nutzte die Chance denn auch weidlich. Strauß erklärte die Energieversorgung zur »Schicksalsfrage des freien Westens«, die »Kernenergie zur Kernfrage der Bonner SPD! FDP-Koalition«.
Baden-Württembergs Ministerpräsident Lothar Späth konstatierte genüßlich: »Die übervorsichtige Reaktion der Bundesregierung auf Epplers energiepolitische Fehlschüsse zeigt, daß der Bundeskanzler schon zu schwach geworden ist, um eine nachdrückliche Durchsetzung seiner Position in der SPD riskieren zu können.«
Und Christian Lenzer, forschungspolitischer Sprecher der Union, fragte voller Schadenfreude, »welche SPD-Verbände überhaupt noch die Energiepolitik des Bundeskanzlers unterstützen?
Doch die Diagnosen der Opposition gehen an der Wirklichkeit vorbei, Schmidts Optimismus ist berechtigt. Trotz der Resolutionen von Fellbach ist es unwahrscheinlicher als zuvor, daß der rigorose Umweltschützer Erhard Eppler auf dem Berliner Parteitag der Sozialdemokraten zum »großen Showdown« (Bölling) gegen den Kanzler antritt.
Zwar sprachen sich die baden-württembergischen Genossen auf Epplers Betreiben für den bis 1984 befristeten Stopp bei neuen Atommeilern aus. Aber zugleich versicherte der schwäbische SPD-Chef im Landesvorstand, der Energie-Beschluß sei auf die Verhältnisse und die Legislaturperiode in Baden-Württemberg zugeschnitten -- er solle in dieser Form nicht als Antrag in Berlin eingebracht werden.
Und Forschungsminister Volker Hauff, der in Fellbach die Kabinettslinie vertrat, gegen das Moratorium sprach und sich dafür einsetzte, den Bau weiterer Atomkraftwerke von bestimmten Bedingungen abhängig zu machen, erhielt bei den Vorstandswahlen einige Stimmen mehr als der Vorsitzende Eppler -- und weit mehr als der anpassungsfähige Ministerkollege Offergeld.
Hinzu kommt, daß Baden-Württemberg auf dem Parteitag in Berlin nur rund acht Prozent der Delegierten stellt. Die nordrhein-westfälische SPD, die 33 Prozent aufbringt, aber hat sich im Juni auf einem Landesparteitag, weitgehend unbemerkt, für eine Nuklearpolitik entschieden, mit der Schmidt leben kann. Da auch die stimmstarken Bezirke Franken und Nordhessen diesem Kurs folgen wollen, würde ein solches Bündnis in Berlin einen Kompromiß sichern, der Schmidt gewiß nicht weh tut.
Eppler selbst hält sich denn auch mit Kampfansagen an den ungeliebten Kanzler zurück. »Mir ging es nur darum, daß der Wähler in Baden-Württemberg weiß, woran er ist, wenn er uns im Frühjahr wählt«, versichert er. Und zu Helmut Schmidt bemerkt der Stuttgarter Oppositionsführer lediglich sanft: »Ich bin kein Mensch, der in persönlichen Antagonismen denkt.«
Auch die sachlichen Gegensätze reichen nicht so weit, wie in Fellbach unterlegene Atomfreunde aus Gewerkschaftskreisen spekulierten. Sie bauten in der vergangenen Woche den Popanz auf, Eppler wolle in einer Art umgekehrter Sonthofen-Strategie Strauß zum Wahlsieg verhelfen, um dann in einer neuen SPD jene grünen und bunten Beschlüsse durchsetzen zu können, denen heute Helmut Schmidt im Wege steht.
Schon bemühen sich Eppler-Freunde, die Fehde zu begrenzen und gleichzeitig dem Eindruck entgegenzuwirken, als müsse von dem Fellbacher Beschluß etwas zurückgenommen werden. Der Bundestagsabgeordnete Dieter Spöri: »Es ist doch klar, daß Eppler keine Kontroverse in dem Umfang riskieren kann, wie manche fürchten oder hoffen. Aber er geht natürlich nicht nach Berlin, um sich enteiern zu lassen.«
Das ist auch nicht nötig, wie Bölling beschwichtigt: »Der Kanzler will doch keinen Triumphzug haben, und er will auch keinen zur Kapitulation auffordern.«
So hofft Schmidt, ähnlich glimpflich davonzukommen wie beim Hamburger Parteitag vor zwei Jahren. Damals hatten ihm, bei ebenfalls recht turbulenter Ausgangslage, Prophete links, Prophete rechts böse Atom-Niederlagen vorausgesagt.
Doch am Vorabend des Parteitreffens formulierte ein eigens berufener Krisenstab einen für Kanzler. Regierung und Partei akzeptablen Kompromiß. Danach ist die weitere Nutzung der Kernenergie nach SPD-Willen an zwei Bedingungen geknüpft:
>Atommeiler sollen nur genehmigt werden, wenn der Energiebedarf durch Kohle nicht gedeckt werden kann;
t> neue Nuklearfabriken dürfen nicht gebaut werden, solange die Entsorgungsfrage ungeklärt ist.
Seither hat sich die Lage nicht verbessert, sondern verschlechtert. Der Widerstand des niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht gegen eine atomare Wiederaufbereitungsanlage führte dazu, daß eine Lösung des Atommüllproblems in weite Ferne gerückt ist, daß also nach den Hamburger Beschlüssen wegen fehlender Entsorgung keine weitere Atomstromanlage ans Netz gelassen werden dürfte.
Epplers Forderung nach einem zeitlich begrenzten Baustopp würde also gegenwärtig keine neue Situation schaffen. Dennoch geht sie dem Kanzler zu weit. Er sieht in einem solchen Beschluß, auch wenn er in der Sache nicht zu anderen Entscheidungen führen könnte, ein Fanal gegen sein nukleares Glaubensbekenntnis: »Ohne einen Ausbau der Kernkraft erzeugenden Kapazität in den kommenden Jahrzehnten werden sich Wirtschaftswachstum und ein höherer Beschäftigungsstand nur schwer erreichen lassen.«
Dafür, daß Helmut Schmidts Rechnung aufgeht, soll Horst Ehmke sorgen, Vorsitzender der Energie-Kommission beim Parteivorstand, zu deren 15 Mitgliedern auch Eppler zählt. Diese Kommission ist ausersehen, den Leitantrag des Parteivorstandes für den Berliner Parteitag zu formulieren.
Da nicht zu erwarten ist, daß sich alle Kommissionsmitglieder, vom Jungsozialisten Michael Müller bis zum rechten Kanalarbeiter Peter Reuschenbach, auf eine Version einigen können. sind die Parteistrategen auf einen Ausweg verfallen, der sich schon einmal in schwieriger Lage, bei der Verabschiedung der Thesen zur umstrittenen Investitionslenkung im Orientierungsrahmen »85, bewährt hat: Was sich einhellig beschließen läßt, soll auch einhellig vorgeschlagen werden. Wo aber keine Einigung möglich ist, soll nicht nach gequälten Formelkompromissen gesucht, sondern dem Parteitag eine Minderheits- und eine Mehrheitsmeinung zur Abstimmung angeboten werden.
Schärferes als in Hamburg wird bei einem solchen Verfahren gewiß nicht herauskommen. Darüber werden härtere Formulierungen, der Hinweis auf die neue Lage in Gorleben und die Beschwörung des Unfalls in Harrisburg ebensowenig hinwegtäuschen wie die alle Flügel der Partei verbindenden Sparappelle. Daß die Attraktion der SPD für Epplers Zielgruppe, die Grünen, dabei nicht gerade hochschießen wird, ist auch dem Kanzler klar,
Wahlkämpfer Schmidt will sich in der von der Union geräumten Mitte schadlos halten -- mit Strauß-Gegnern.