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FRIEDENSKONFERENZ Speer im Wahlkampf

aus DER SPIEGEL 30/1961

Unverständlich sei es ihm, so spottete Wahlkämpfer Konrad Adenauer am Montag letzter Woche vor 15 000 Unions -Frauen in Essen, wie der Herr Brandt »auf so krumme Gedanken« kommen konnte: »Noch unverständlicher ist mir, daß Herr Brandt solche Gedanken auch noch ausspricht.«

Die »krummen Gedanken« - dem einen Kanzler-Kandidaten unverständlich, vom anderen ausgesprochen - waren diese: Einberufung einer Super -Konferenz der »Anti-Hitler-Koalition« mit 52 Teilnehmern für einen deutschen Friedensvertrag in Berlin.

Ausgesprochen hatte Willy Brandt den Gedanken zwar am 7. Juli auf einer Pressekonferenz in Bonn. Ausgedacht aber hatte ihn im Westen jemand ganz anderes, der dem Herzen Konrad Adenauers ungleich nähersteht: die Washingtoner Viermächte-Arbeitsgruppe (USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland), die in Permanenz die Deutschland-Frage berät.

In der letzten Juni-Woche wurde in diesem Gremium erörtert, daß es in einem späteren Stadium des west-östlichen Noten-Pingpongs zur Entschärfung der Berlin-Krise eventuell zweckmäßig sein könnte, die alte Sowjet -Idee von einer 52-Mächte-Konferenz für einen deutschen Friedensvertrag aufzugreifen, zumal auf einer solchen Konferenz mehr westliche als östliche Teilnehmer Platz nehmen würden.

Den drei Westmächten scheint solches Palaver immer noch zweckdienlicher als eine Deutschland-Diskussion in der Uno. Denn ob sich dort eine Mehrheit dafür finden würde, etwa das Besatzungsregime in Berlin aufrechtzuerhalten, erscheint heute schon fraglich.

Die Bundesregierung hingegen kam nach Prüfung des Friedenskonferenz -Vorschlags zu dem Schluß, auch dieser Plan stecke voll verborgener Gefahren, weil er die Viermächte-Verantwortlichkeit für Berlin untergrabe.

SPD-Kanzlerdarsteller Willy Brandt

- genau wie die Bundesregierung offiziell

und laufend über die Washingtoner Gespräche informiert - steckte in einer Zwickmühle. Einerseits bemüht, die einmal erhaschten Rockschöße Konrad Adenauers nicht mehr loszulassen (noch letzte Woche wich er dem Berlin -Besucher Adenauer nicht von der Seite), andererseits bestrebt, außenpolitisches Profil zu gewinnen, äußerte er in einem Privatgespräch am 5. Juli erstmals die Absicht, die Washingtoner Friedensvertrags-Idee aufzugreifen.

Brandts verbleibender Gemeinsamkeits-Strohhalm: CDU-Bundestagspräsident Gerstenmaler, der in der letzten Sitzung des Dritten Bundestags ebenfalls einen Friedensvertrag gefordert hatte.

Ein origineller Ergänzungs-Vorschlag zur Vervollkommnung des neuen Brandt -Profils wurde von der Berliner Vertretung in Bonn beigesteuert. Der Regierende Bürgermeister möge öffentlich dafür eintreten, als Konferenzauftakt die letzten drei Spandauer NS -Häftlinge Baldur von Schirach, Rudolf Heß und Albert Speer freizulassen.

Willy Brandt schleuderte seinen neuen Wahlkampf-Speer zwei Tage später auf der Bonner Pressekonferenz zwar ohne Erwähnung von Spandau-Speer und dessen Mithäftlingen. Aber dem Parteivorstand in der Bonner SPD-Baracke und Brandts Wahlkampf-Manager wurde ob dieses Abweichens von der Gemeinsamkeits-Linie dennoch mulmig zumute.

Einen Tag, nachdem Konrad Adenauer den neuen Vorschlag erstmalig freudig verhöhnt hatte ("Was würde dabei schon herauskommen"), suchte SPD-Sprecher Franz Barsig die Angriffsflächen wieder abzubauen, die Brandts außenpolitischer Ehrgeiz errichtet hatte. Barsig: »Man sollte das Problem nicht zum Wahlkampf-Thema machen.«

Wie aussichtslos jedoch dieser Versuch ist, wurde den Sozialdemokraten von US-Außenminister Rusk in Washington auf einer Pressekonferenz bescheinigt: »Ich meine, daß Bürgermeister Brandts Vorschlag von anderen hohen deutschen Vertretern kommentiert worden ist und daß diese Diskussion inmitten eines Wahlkampfes in Deutschland geführt wird. Ich glaube mich besser beraten, wenn ich mich da heraushalte.«

Berlin-Besucher Adenauer, Gastgeber: Krumme Gedanken

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