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VW-AKTIEN Spekulanten heraus

aus DER SPIEGEL 40/1960

Noch ehe das Bundesschatzministerium im Oktober mittels einer Postwurfsendung den 17 Millionen westdeutschen Haushaltungen kundtun wird, daß demnächst die Zeichnung von Aktien des Wolfsburger Volkswagenwerks beginnen soll, haben Banken und Sparkassen der Bundesrepublik, wie auf ein Zeichen hin, an ihren Schaltern Einschreiblisten für künftige VW-Aktionäre ausgelegt. Ein erster Nachfrage -Test der Geldinstitute hat ergeben, daß bereits jetzt eine massive Spekulation in den Papieren der Wolfsburger Automobilfabrik eingesetzt hat.

Dabei dienen die Listen zunächst nur der Registrierung und sind weder für die Kassen und Banken noch für das Bonner Schatzministerium verbindlich. Eine erste offizielle Zeichnungsfrist ist von den Bonner Eigentumspolitikern für die Zeit vom 16. Januar bis zum 15. März 1961 vorgesehen.

Während dieser Frist können ledige Bundesbürger mit steuerpflichtigen Jahreseinkommen bis zu 6000 Mark und Verheiratete bis 12 000 Mark pro Person 500 Mark Nennwert VW -Kapital zeichnen, noch dazu mit 20 Prozent Rabatt. Ledige mit Bezügen von 6000 bis 8000 Mark jährlich und Verheiratete mit Einkommen zwischen 12 000 und 16 000 Mark erhalten die Papiere mit zehn Prozent Nachlaß*. Maßgeblich für die Berechnung der Verdienste ist das Jahr 1959.

Den Beziehern höherer Einkommen läßt die Bundesregierung immerhin die Hoffnung, daß ihnen dieser Makel dann nicht den Weg zum Volkskapitalismus verbauen soll, wenn die gesamten offerierten 360 Millionen Mark Kapital von dem begünstigtesten Personenkreis nicht aufgenommen werden. In diesem Fall soll während einer zweiten Verkaufsfrist vom 4. April bis zum 3. Juni jedermann bis zum Betrag von 1000 Mark Nennwert VW-Papiere erwerben können. Spätkäufern dieser Kategorie winkt zwar keinerlei Preisnachlaß mehr, sie würden jedoch ebensowenig von einer für alle Rabatt-Käufer geltenden Auflage betroffen: der Verpflichtung, die Wolfsburger Aktie binnen zwei Jahren nach dem Erwerb nicht wieder zu veräußern.

Diese Verkaufssperre des Bundesschatzministers Wilhelmi, hat auch die Begünstigten des Drei-Klassen-Systems in ihrem Massenandrang zu den Einschreiblisten nicht zu bremsen vermocht. Kundige Schalterbeamte konnten ihnen überzeugend auseinandersetzen, daß das zweijährige Verkaufsverbot im Grunde harmloser Natur sein wird.

Ähnlich wie im Falle des steuerbegünstigten Sparens braucht nämlich der Verkäufer nur den in Anspruch genommenen Vorteil wieder herauszurücken, das heißt im Falle der VW-Aktie: den Sozialrabatt zurückzuerstatten. Ein absolutes Verkaufsverbot für die Wolfsburger Papiere konnte schon deshalb unmöglich erlassen werden, weil etwaigen Käufern der zweiten Tranche ohnehin der Wiederverkauf ihrer Papiere erlaubt und somit unzweifelhaft ist, daß die Wolfsburger Papiere sehr bald frei gehandelt werden. Aus diesem Grunde soll denn auch nach Bonner Plänen die Zulassung der Aktien an Westdeutschlands Börsen alsbald beantragt werden.

In den Börsensälen aber wartet man schon darauf, das begehrte Papier in den Kreis der westdeutschen Aktien von

Weltruf aufzunehmen. Nicht zuletzt wegen des starken Auslandsinteresses wird der voraussichtliche Kurs für VW-Papiere oder - falls gedruckte Aktienurkunden noch nicht vorliegen sollten - für Berechtigungsscheine zu deren Bezug auf 500 bis 600 Prozent veranschlagt. Da Bundesschatzminister Hans Wilhelmi den amtlichen Ausgabekurs mit höchstens 350 beziffert hat, eröffnet sich den Käufern aus der bevorzugten Einkommensschicht eine lukrative Chance, die den Bonner Slogan von der VW-Aktie als einem »Bonbon« an der Börse auf eindringliche Weise rechtfertigen könnte.

Den Rabatt-Käufer mit 20 Prozent Nachlaß kostet eine Aktie 280 Mark. (350 minus 70). Zunächst braucht er sogar nur zu unterschreiben und allenfalls den Nennbetrag von 100 Mark in bar zu entrichten. Der Rest kann gemäß den kulanten Zahlungsbedingungen des Bundesschatzministeriums in drei Raten abgetragen werden.

Wer mithin die erworbene Aktie oder das Anrecht bald wieder an der Börse verkauft, kann bereits mit 100 Mark Bargeld ein einträgliches Geschäft vorfinanzieren: Der mutmaßliche Verkaufserlös von 600 Mark pro Aktie versetzt ihn in die angenehme Lage, die 280 Mark Einstandspreis samt den 70 Mark rückzahlungspflichtigen Sozialrabatt zu erstatten und immer noch 250 Mark Gewinn je Aktie einzustreichen.

Bonner Sozialexperten wie der CDU -Abgeordnete Hans Katzer sind in der Diskussion um den Ausgabekurs überdies eifrig, wenn auch unabsichtlich dabei, die Chancen derartiger Transaktionen noch zu verbessern. Die Eigentumsförderer der Christlichen Demokraten beziehen sich auf die Zusage des verstorbenen Bundesschatzministers Hermann Lindrath, der versprochen hatte, die Aktien des Volkswagenwerks zum Kurs 200 unter das Volk zu bringen.

Katzers »Soziale Ordnung, Christlichdemokratische Blätter der Arbeit« schreiben: »Die Arbeitnehmer, die sich nach Lindraths Ankündigungen bisher darauf eingerichtet hatten, für ihre fünf VW-Aktien beim Kurs 200 einen Kaufpreis von tausend Mark aufzubringen, hören nun mit erheblicher Verärgerung, daß sie nun für dieselben fünf Aktien unter Umständen 1750 Mark aufzubringen hätten ... Durch eine derartige Kurserhöhung würden aber die VW-Aktien für die meisten Arbeitnehmer außerhalb ihrer finanziellen Reichweite gelangen.«

* Für drei oder mehr Kinder im Alter bis zu 18 Jahren wird ein zusätzlicher Rabatt von fünf Prozent auf den Ausgabekurs gewährt.

Industriekurier

Es kann ja auch etwas weniger sein

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