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SPIEGEL Gespräch »Wir brauchen ein arabisches Hanoi«

Palästinenserführer Georges Habasch über Terrorismus, Palästina und die Zukunft in Nahost
Von Adel S. Elias
aus DER SPIEGEL 26/1980

SPIEGEL: Herr Dr. Habasch, dürfen wir uns mal in Ihrem Büro etwas genauer umsehen? Nach Informationen der deutschen Kriminalpolizei, die in der Bundesrepublik einiges Aufsehen erregten, ist Susanne Albrecht, eine der meistgesuchten deutschen Terroristinnen, eine Ihrer vier Sekretärinnen.

HABASCH: Sie können sich ruhig umsehen. Dann werden Sie feststellen, daß diese Information Unsinn ist.

SPIEGEL: Und wie steht es mit dem berüchtigten Terroristen Carlos, der den Überfall auf die Opec-Minister in Wien 1975 leitete, an dem auch deutsche Extremisten teilnahmen?

HABASCH: Er gehörte Anfang der siebziger Jahre zu unserer Organisation, der PFLP, und kämpfte in unseren Reihen mit, aber dann schied er aus.

SPIEGEL: Damals stand die PFLP offenbar in enger Verbindung mit der Baader-Meinhof-Gruppe. Einige der RAF-Mitglieder wollten sich in Ihren Camps militärisch ausbilden. Haben Sie die Kontakte zu deutschen Extremisten abgebrochen?

HABASCH: Ja, aber wir sind natürlich immer bereit, mit allen demokratischen, fortschrittlichen, sozialistischen und wirklich revolutionären Kräften in der ganzen Welt zusammenzuarbeiten. Denn wir glauben, daß diese Kräfte eine weltweite Front gegen den gemeinsamen Feind, den Imperialismus und die Reaktion, bilden sollten.

SPIEGEL: Die PFLP machte vor Jahren durch spektakuläre Flugzeug-Entführungen und Attentate die Weltöffentlichkeit auf das Palästinenser-Problem aufmerksam. Haben Sie diese Art von Strategie aufgegeben?

HABASCH: Flugzeug-Entführungen gehörten nie zur eigentlichen Strategie der PFLP. Uns ging es seit der Gründung 1967 stets darum, die palästinensischen Massen zu mobilisieren, um einen langen Krieg gegen die zionistische, imperialistische Basis in Palästina zu führen.

SPIEGEL: Diesen Feldzug predigen Sie nun schon seit vielen Jahren. Aber das Ergebnis ist katastrophal: Die arabischen Armeen haben keinen Krieg gegen Israel gewonnen, die Palästinenser verloren ihre ganze Heimat. Und die Chancen für eine Rückgewinnung sind minimal.

HABASCH: Das behaupten Sie. Dabei übersehen Sie, daß wir sehr wohl etwas erreicht haben. Bevor wir das Gewehr in die Hand nahmen, wurde unsere gerechte Sache ignoriert. Es war, als sei das palästinensische Volk vom Erdboden verschwunden. Heute hingegen ist die Bewegung als eine der einflußreichsten Befreiungsbewegungen der ganzen Welt anerkannt. Und noch etwas: Bevor wir zum Gewehr griffen, waren die palästinensischen Massen verzweifelt, sie dachten nur daran, ihre Essensrationen von der Flüchtlingsorganisation der Uno zu erhalten.

SPIEGEL: Und heute sind sie nicht mehr verzweifelt?

HABASCH: Heute spüren die Palästinenser nicht nur, daß sie eine gerechte Sache vertreten -- sie kämpfen auch dafür.

SPIEGEL: Gleichwohl sind Sie Ihrem Ziel, der Befreiung Palästinas, keineswegs nähergerückt.

HABASCH: Es handelt sich eben um ein langfristiges Ziel. Wir wußten von Anfang an, daß der Kampf Jahrzehnte dauern wird.

SPIEGEL: PLO-Chef Jassir Arafat, der auch die größte palästinensische Kampfgruppe, die Fatah, leitet, scheint sich mit einem Klein-Palästina, bestehend aus West-Jordanien und dem S.151 Gaza-Streifen, zufriedengeben zu wollen.

HABASCH: Da bin ich eben anderer Meinung als Arafat. Auf der Konferenz von Tripolis 1977 einigten sich übrigens alle Palästinensergruppen, einschließlich der Fatah, darauf: Sobald ein Stück Palästina befreit ist, soll dort ein Staat gegründet werden, aber eben als erste Stufe auf dem Weg zur Beseitigung des zionistischen Gebildes.

SPIEGEL: Können Sie sich, um des Friedens willen, nicht andere Lösungen des Palästinenser-Problems vorstellen?

HABASCH: Denken Sie mal an die 500 000 Palästinenser im Libanon, die überzeugt sind, daß sie ein Recht auf Rückkehr haben. Was würden Sie als Chef der PFLP diesen Leuten denn sagen? Und was sagen Sie den 300 000 Palästinensern in Syrien? Und was sagen Sie zu der Million unserer Landsleute in Jordanien? Die haben doch das volle Recht, in ihre Heimat zurückzukehren.

SPIEGEL: Was sollte dann mit den Israelis geschehen?

HABASCH: Die können in dem neuen Staat als vollberechtigte Bürger in Frieden mit uns zusammenleben.

SPIEGEL: Die weitaus meisten der drei Millionen Juden in Israel würden sich nie bereit finden, in einem neuen, von Palästinensern beherrschten Gemeinwesen zu leben.

HABASCH: Ich gebe zu, daß da manches noch unklar ist. Aber bei dem langen Marsch, den die Revolution noch zurücklegen muß, werden viele, viele Dinge klar werden. Golda Meir sagte kurz vor ihrem Tod: »Palästinenser? So was gibt''s nicht.« Inzwischen sprechen die Tatsachen für sich.

SPIEGEL: Ihr Ziel, wenn auch nicht die Juden, so doch den Staat Israel zu vernichten, wird weder vom Westen noch von Moskau gebilligt. Die Sowjet-Union hilft den Palästinensern zwar militärisch, hat aber die Existenzberechtigung des Staates Israel klar erkannt.

HABASCH: Sie dürfen den Imperialismus gewisser Westmächte und die Haltung der Sowjet-Union in der Palästina-Frage nicht gleichsetzen. Da gibt es große Unterschiede. Die Sowjet-Union unterstützt uns mit allen Mitteln, sie ist gegen den Zionismus und gegen Israel. Zwischen Moskau und uns sind die Differenzen in der Beurteilung des Nahost-Konflikts geringfügig.

SPIEGEL: So minimal erscheinen uns die nicht. Da Moskau den Staat Israel anerkannt hat, kann es Ihren Kampf zur Vernichtung des »zionistischen Gebildes« schwerlich mitmachen.

HABASCH: Ich glaube, jeder Staat, der Zionismus und Imperialismus verkörpert, muß beseitigt werden, sonst gibt es keinen dauerhaften Frieden in unserer Region. Darüber werden wir auch mit den Sowjets reden, offen und freundschaftlich, von Genossen zu Genossen.

SPIEGEL: Also wollen Sie die derzeit in Nahost eher zurückhaltenden Sowjets anstacheln, damit sie Ihren blutigen Kampf aktiv unterstützen?

HABASCH: Nein, wir lassen die Tatsachen sprechen.

SPIEGEL: Die EG-Staaten, Herr Habasch, haben beim Gipfel in Venedig eine Erklärung verabschiedet, in der sie das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser betonen und deren Beteiligung an den in Camp David beschlossenen israelisch-ägyptischen Verhandlungen wünschen. Das sind Fortschritte auf dem Weg einer friedlichen Lösung.

HABASCH: Wir freuen uns zwar, daß die Europäer Gewissensbisse kriegen und die Palästinenser als Volk anerkennen. Aber sie sollen uns bloß nicht damit kommen, als Gegenleistung unsere Zustimmung zu dem zionistischen Gebilde zu verlangen.

SPIEGEL: Anfang Juni verübten fanatische Juden blutige Attentate auf arabische Bürgermeister im besetzten Westjordanien. Diese Eskalation des Terrors ist eine Folge Ihres harten Kurses.

HABASCH: Das glaube ich nicht. Die Israelis schießen auf uns, töten uns und verjagen uns seit vielen Jahren. Das ist ihre Praxis, sie brauchen gar keinen aktuellen Anlaß für ihr Handeln. Außerdem finde ich es ganz natürlich, daß sich der schärfste Gegensatz eben zwischen den reaktionärsten Gruppen auf zionistischer Seite und den progressivsten Kräften auf arabischer Seite, nämlich den Palästinensern, entwickelt.

SPIEGEL: Der amerikanische Außenminister Edmund Muskie hat jüngst davor gewarnt, im Nahen Osten könne ein »Wirbelsturm der Zerstörung« ausbrechen. Sie scheinen dies zu wünschen.

HABASCH: Ich hoffe tatsächlich auf einen »Wirbelsturm der Zerstörung« für die imperialistischen Interessen. Aber ich möchte gerade in diesem Gespräch unterstreichen: Mit demselben Nachdruck, mit dem wir gegen das zionistische Gebilde kämpfen, bemühen wir uns um eine friedliche Koexistenz mit jenen Juden, die für uns Verständnis zeigen und unsere Rechte akzeptieren.

SPIEGEL: Damit ist der Verdacht nicht ausgeräumt, daß Sie mit der Beseitigung des Staates Israel die physische Vernichtung der Juden in Kauf nehmen.

HABASCH: Das ist eben falsch. Nur die Gehirnwäsche durch die zionistische Propaganda hat zu dieser Unterstellung geführt. An der Stelle des zionistischen Gebildes soll ein größerer, besserer, demokratisch-sozialistischer Staat entstehen.

SPIEGEL: Wie das? Sie wollen gegen Israel Palästina wiedergewinnen, zugleich aber einen sozialistischen Staat zusammen mit den Israelis einrichten?

HABASCH: Man muß unsere Ziele im größeren Zusammenhang sehen. Wir können den Zionismus nur besiegen, wenn in allen Ländern rings um Palästina die fortschrittlichen Kräfte zum Zuge gelangen, die unsere Sache unterstützen.

SPIEGEL: Von einer panarabischen revolutionären Bewegung ist nichts zu erkennen. Im Gegenteil: Die arabischen Staaten rundum wollen Ihre Politik des Terrors nicht mittragen. Jordaniens König Hussein zum Beispiel, der die palästinensischen Kampftruppen 1970 gewaltsam aus seinem Land vertrieb, will mit Ihnen auch heute nichts zu tun haben.

HABASCH: Stimmt. König Hussein ist ein großes Hindernis für unseren Volkskrieg. Deshalb müssen wir diesen Reaktionär stürzen. Das ist schwierig, S.153 aber wir haben keine andere Wahl, und wir werden es schaffen, schließlich sind 70 Prozent der jordanischen Bevölkerung Palästinenser. Übrigens hat es in jüngster Zeit schon manch andere überraschende Machtwechsel in der Welt gegeben.

SPIEGEL: Sie meinen den Sturz des Schahs von Persien?

HABASCH: Ja. Sein Sturz und die Ereignisse danach haben uns Aufschwung gegeben. Die Stunde wird kommen, in der alle reaktionären Regierungen in der arabischen Welt verschwunden sind.

SPIEGEL: Die einzigen arabischen Staaten, die Ihren Kampf aktiv unterstützen, sind Libyen, Algerien, Südjemen und seit etwa einem Jahr auch Syrien. Mit Ausnahme Syriens sind diese Länder sehr weit von Israel entfernt, also keineswegs in der Lage, einen Volkskrieg gegen den Judenstaat zu führen.

HABASCH: Libyen, Algerien und der volksdemokratische Jemen gewähren uns völlige politische, militärische und moralische Unterstützung. Mehr können wir im Augenblick nicht erwarten. Aber wenn die palästinensische Revolution, die verknüpft ist mit der arabischen Freiheitsbewegung, eine breite Basis gefunden hat, dann rufen wir die Libyer, Algerier und Jemeniten zum direkten Eingreifen an unserer Seite auf. Ein arabisches Hanoi, das brauchen wir unbedingt.

SPIEGEL: Syrien riskiert durch die Unterstützung der Palästinenser bereits heute einen erneuten Krieg mit dem militärisch hoch überlegenen Israel.

HABASCH: Trotzdem brauchen wir die Hilfe Syriens. Und wir hoffen, daß Damaskus eines Tages eine starke Basis für unsere palästinensische Revolution sein wird.

SPIEGEL: Sie schwärmen vom Volkskrieg a la Vietnam. Aber die Anrainergebiete Israels sind weithin Wüste, mithin ungeeignet für einen solchen Krieg. Außerdem: Der Nachbarstaat Israel ist nicht vergleichbar mit dem damaligen Südvietnam.

HABASCH: Wir können und wollen das vietnamesische Beispiel ja nicht einfach kopieren. Aber die Hauptidee ist die gleiche: Millionen unterdrückter Menschen werden mobilisiert und ausgebildet, sie nehmen Gewehre und bilden Armeen. Über 600 000 Palästinenser leben im Kernland der besetzten Gebiete, also im alten Palästina, außerdem über eine Million in West-Jordanien und dem Gaza-Streifen. Das ist ein großes revolutionäres Potential.

SPIEGEL: Sie und die PFLP haben freilich nur einen winzigen Teil der Palästinenser mobilisieren können, die überwiegende Mehrheit hält anscheinend von Ihren Parolen nicht viel.

HABASCH: Es stimmt, wir haben die Massen noch nicht so weit mobilisiert, wie wir es wünschen -- aber wir machen Fortschritte.

SPIEGEL: Nach der Vertreibung aus Jordanien zogen Sie in das schwächste arabische Land, den Libanon. Die libanesische Regierung klagt nun bitter, das Land werde wegen Ihrer Terror-Aktionen gegen Israel von israelischen »Vergeltungsschlägen« heimgesucht, die meistens die libanesische Zivilbevölkerung treffen. Damit sind Sie für das Elend unter den Opfern mitverantwortlich.

HABASCH: Tatsächlich zahlen die libanesischen Massen einen hohen Preis, sie leiden sehr. Aber ich weise den Vorwurf der Beiruter Regierung zurück, daß die Ursache dafür in unserer Anwesenheit liegt. Wenn die Zionisten uns nicht aus unserer Heimat vertrieben hätten, wären wir nicht hier.

SPIEGEL: Von den 21 Mitgliedstaaten der Arabischen Liga stehen nur vier auf Ihrer Seite, die Politiker der übrigen Länder verhalten sich Ihnen gegenüber eher ablehnend oder erklären Sie als Vertreter der militanten Palästinenser sogar für unerwünscht. Zu Ihren militärischen Mißerfolgen kommt noch die Isolierung im eigenen Lager.

HABASCH: Ich meine, wenn wir erst eine starke Basis nahe den Grenzen des zionistischen Gebildes errichtet haben, werden die anderen sicher Seite an Seite mit uns kämpfen. Dann sind die arabischen Massen auf unserer Seite.

SPIEGEL: Das ist doch reines Wunschdenken. Im volkreichsten arabischen Staat, in Ägypten mit seinen 40 Millionen Einwohnern, stehen die Massen fast geschlossen hinter ihrem Präsidenten Sadat und seiner Politik -- der Aussöhnung mit Israel.

HABASCH: Abwarten und Tee trinken. Sadat wurde zwar von seinen Landsleuten bejubelt, als er Jerusalem besuchte. Aber fahren Sie jetzt mal nach Kairo und erkundigen Sie sich nach der Stimmung der Massen ...

SPIEGEL: Es gibt mehrere Anzeichen, daß Sadat im arabischen Lager keineswegs isoliert ist. Saudi-Arabien strebt wie Sadat eine friedliche Lösung des Nahostkonflikts an.

HABASCH: Ich habe schon 1979, beim 12. Jahrestag der Gründung unserer Volksfront, gesagt, daß es nicht nur einen Sadat gibt, sondern bald noch einen zweiten oder dritten Sadat.

SPIEGEL: Und Sie wollen mit allen fertig werden?

HABASCH: Es geht nicht um die Position Sadats, sondern um die Haltung einer ganzen Klasse, zu der auch etliche Könige und Scheichs gehören. Es gibt in den arabischen Ländern eine Schicht, die ich die Petro-Klasse nenne. Diese Klasse profitiert vom Bündnis mit dem Imperialismus und Zionismus. Es wäre gegen ihr Interesse, unseren Krieg gegen Israel zu unterstützen.

SPIEGEL: Sie haben gefordert, die arabischen Ölstaaten sollten die Ölwaffe einsetzen, um in der Palästinafrage Druck auf den Westen auszuüben. Die aber wollen das gar nicht, auch weil ein Ölboykott die Gefahr eines Nahostkrieges nach sich zöge.

HABASCH: Trotzdem sollte vor allem Saudi-Arabien den Ölhahn zudrehen. Und wenn die Ölländer das nicht freiwillig tun, müssen wir sie zwingen, den Boykott durchzuführen.

SPIEGEL: Sie drohten bereits, die Ölquellen in die Luft zu sprengen. Ist das Ihr Ernst -- oder nur Rhetorik?

HABASCH: Doch, das werden wir notfalls tun. Warum nicht?

SPIEGEL: Herr Dr. Habasch, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

S.149Mit Redakteuren Bernhard Müller-Hülsebusch und Adel S. Elias.*S.151PLO-Chef Arafat Anfang Juni 1980 in Amman.*S.153Bei der Beerdigung von Chalid-Vorgänger König Feisal im März 1975 inRiad.*

Bernhard Müller-Hülsebusch
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