Hausmitteilung SPIEGEL-VERLAG/HAUSMITTEILUNG
Am Sonntag, den 10. Mai 1970, gegen acht Uhr früh, ist in einer römischen Klinik der Korrespondent des
SPIEGEL für Italien, Dr. Günther Zacharias, gestorben -- bei vollem Bewusstsein, eine Woche vor seinem
46. Geburtstag. Die Ursache seines Todes, seit langem sichtbar angekündigt, war jene Krankheit, deren eine oder viele Ursachen auszuforschen die medizinische Wissenschaft der Menschheit noch schuldig ist.
Zacharias (Hausjargon »Zach"), wiewohl aus Danzig stammend, war auf spirituelle Art, aus einer bis zur Passion verstärkten Neigung Italiener. Dazu gibt es Legenden, die er teils hegte, teils bescheiden beiseite schob. Als Funker fing er die ersten Meldungen über die beginnende Invasion der Alliierten in der Bucht von Salerno auf und konnte sie nicht weitergeben, weil die Leitungen durch ein Gespräch blockiert waren. Aus der Gefangenschaft glückte ihm ein Kunststück, dessen Untergrundruhm er später immer wieder begegnete: Der den Amerikanern entsprungene Kriegsgefangene Zacharias wurde vom italienischen Staat als Lehrer eingestellt -- so weit reichte eine Mimikry, die fast schon eine Identifikation war. Als ihn die Amerikaner wieder einfingen,
hörte Zacharias in den Lagern seine eigene Geschichte von Mitgefangenen, die ohne Ahnung davon
waren, dass sie dem Hauptdarsteller von ihr berichteten. Selbstverständlich gibt es für solch ein Naturell nur den Weg zur Romanistik. Zacharias promovierte 1951 über den italienischen Aesthetiker Benedetto Croce. Als Günther Zacharias im August 1957 von der Feuilleton-Redaktion der »Welt«, deren stellvertretender Chef er gewesen war, zum SPIEGEL überwechselte, war seine beinahe einzige formulierte Bedingung: Nicht wieder ins Feuilleton. Schon damals war deutlich: Eines Tages wollte er in Rom arbeiten. Bis dahin, hanseatischer Italiener, präparierte er sich, kaufte schlendernd Posten von weissem Wein, sammelte Bücher und liess sie unsortiert ("das mache ich nach der Pensionierung"). Er leitete mit einem Kollegen das Auslandsressort, danach war er Chef des Ressorts Deutschland II, bis es endlich, im Februar 1964, soweit war, wie er es von Anfang an kanalisiert hatte: Er ging für den SPIEGEL nach Italien, mit Frau (auch sie promovierte Romanistin) und dem 1960 geborenen Sohn. Aussenministerien, auswärtige Ämter haben die Angewohnheit, ihre Botschafter von Zeit zu Zeit in einem Revirement auszutauschen. Nach einiger Zeit, so die Überlegung, argumentierten sie allzuleicht im Interesse ihres Gastlandes. Nun ist die Auslandsredaktion des SPIEGEL kein Auswärtiges Amt, aber verwandte Überlegungen wären ihr im Blick auf Zacharias ohnehin nie gekommen. So sehr war er Wahl- und Herzensromane, dass er auch diese Nationaleigenschaft seines Gastlandes übernahm: skeptische Distanz zu allem, was regiert.