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NRW Spiel auf Zeit

Ministerpräsident Wolfgang Clement droht bei den Wahlen im Mai ein Desaster. Unternehmensfusionen kosten tausende von Arbeitsplätzen, neue Pläne der Energiefirmen gefährden nun auch die Jobs in der Braunkohle.
Von Frank Dohmen, Gerd Rosenkranz, Barbara Schmid und Andrea Stuppe
aus DER SPIEGEL 47/1999

Der Termin am Freitagabend war eigentlich ganz nach dem Geschmack von Wolfgang Clement. Private Investoren hatten das lange geschlossene Residenz-Kino im krisengeschüttelten Duisburg zu neuem Glanz erweckt, ein Komödientheater feierte die Premiere.

Doch der nordrhein-westfälische Regierungschef konnte die Aufführung »Ein Traum von Hochzeit« nicht gänzlich entspannt genießen. Denn die unternehmerischen Hochzeiten, die ihn derzeit beschäftigen, sind für ihn alles andere als ein Traum. Firmenfusionen, angefangen von Thyssen/Krupp bis hin zum geplanten Zusammengehen der Energieriesen Rheinisch Westfälische Elektrizitätswerks-Gesellschaft (RWE) und Vereinigte Elektrizitätswerke Westfalen (VEW), kosten zehntausende von Arbeitsplätzen - die meisten in Clements Land.

Dabei war der Sozialdemokrat vor gut einem Jahr als strahlender Modernisierer angetreten: An den Arbeitsplätzen sollten ihn die Wähler im Mai 2000 messen, sagte er. Tun sie das bei den dann anstehenden Landtagswahlen tatsächlich, sieht es finster aus für Clement.

Sein Land liegt heute in der Arbeitslosenstatistik auf dem zweitschlechtesten Platz bei den Flächenländern im Westen, nur noch das Saarland steht schlimmer da. Bei den letzten Kommunalwahlen verlor die SPD elf Oberbürgermeisterposten, darunter die in Hochburgen wie Leverkusen und Düsseldorf. Und es dürfte noch härter kommen, wie sich jetzt abzeichnet: Clements Kampf gegen die Ökosteuer wird die heimische Braunkohle kaum retten können. Der RWE-Tochter Rheinbraun könnte nach internen Überlegungen des Mutterkonzerns schon ab Sommer 2000 ein Kahlschlag drohen.

Die gesamte Holding mit heute 1500 Angestellten soll, so ein hochrangiger RWE-Manager, wahrscheinlich geschlossen werden und im neuen Stromgiganten RWE/VEW aufgehen. Die Braunkohlefirma solle zusätzlich einem drastischen Sparprogramm unterzogen werden, bei dem rund 30 Prozent der Kosten gekappt werden könnten. Die Belegschaft der Rheinbraun ist schon in den letzten sieben Jahren um 3000 auf 1150 Leute geschrumpft.

Übrig bleiben dürften, sollte es so kommen, die Kraftwerke und der Kohlehandel, die beide dann ebenfalls zentral im neuen Energieriesen gesteuert werden sollen. Nach dem Szenario des RWE-Managers könnte die Radikalkur bereits Ende Juni 2000 beginnen.

Damit die neue Energiefirma RWE/VEW bei sinkenden Strompreisen wettbewerbsfähig bleibe, sollten im Zuge der Fusion rund 1,3 Milliarden Mark eingespart werden - davon mehrere hundert Millionen Mark an Personalkosten. Tausende von Stellen wären davon betroffen.

Offiziell mag die RWE solche Pläne weder bestätigen noch dementieren: »Die Neuordnung der Energiesparte«, so ein Unternehmenssprecher am Freitag vergangener Woche, »ist Gegenstand der aktuellen Verhandlungen.« Zu den Fusions-

gesprächen mit VEW und deren Ergebnissen aber könne seine Firma einstweilen nicht Stellung nehmen.

Doch eine solche Entwicklung deutete sich schon am Donnerstag vergangener Woche bei der RWE-Hauptversammlung in Essen an. RWE-Chef Dietmar Kuhnt kündigte dabei ein drastisches Kostensenkungsprogramm bei RWE und Rheinbraun an.

Damit rückt auch das Ende des umstrittenen Braunkohletagebaus Garzweiler II immer näher, um den die SPD einen wahren Glaubenskrieg mit dem grünen Koalitionspartner geführt hat.

Nur öffentlich zugeben mag das niemand, zumindest nicht vor der Wahl: weder die SPD noch der CDU-Herausforderer Jürgen Rüttgers, der sich derzeit als Ober-Kumpel und Retter der heimischen Kohle geriert. Dabei war es die letzte Bundesregierung, der Rüttgers als Bildungsminister angehörte, die mit der Liberalisierung der Strommärkte die Grundlagen für jenen Wettbewerb geschaffen hat, dem nun die Arbeitsplätze zum Opfer fallen.

Mit einer nur siebenseitigen Energierechtsnovelle öffnete Wirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP) im April vergangenen Jahres den bis dahin streng geregelten Energiemarkt. Andere Länder wie Schweden oder Großbritannien hatten sich bei vergleichbaren Schritten jahrelange Übergangsfristen gegönnt. Auf die Schaffung einer Regulierungsbehörde verzichtete die Kohl-Regierung.

Die Regierung Gerhard Schröders behielt trotz heftigen Widerstands in den eigenen Reihen den Kohl-Kurs bei. Wirtschaftsminister Werner Müller, Ex-Kraftwerksmanager der Veba, listet in seiner persönlichen Erfolgsbilanz gern auch die Freigabe der Strompreise auf.

Gerüchte um ein Ende des geplanten Braunkohletagebaus Garzweiler II, der 8000 Menschen ihre Heimat nähme und ein Loch von 48 Quadratkilometern entstehen ließe, gibt es schon seit mehr als anderthalb Jahren.

Anfang November bekamen sie neue Nahrung, als ein Brandbrief des RWE-Konzerns die eben beschlossene Ökosteuer der Bundesregierung geißelte: Die darin enthaltene Steuerbefreiung für hoch effiziente Gaskraftwerke würde die Kohlekraftwerke benachteiligen. Unter diesen Bedingungen müsse RWE das Braunkohletagebau-Projekt Garzweiler II und ein geplantes 20-Milliarden-Mark-Investitionsprogramm zur Kraftwerkserneuerung »auf den Prüfstand stellen«.

Damit begann ein wildes Durcheinander: 8000 Bergleute marschierten in Köln auf, wo sich die SPD zu einer Regionalkonferenz traf. Wütende Kumpel bewarfen SPD-Landeschef Franz Müntefering mit Eiern, weil er die Berliner Ökosteuer verteidigte, andere stimmten »Helmut Kohl«-Rufe an.

Regierungschef Clement versprach da forsch, zusammen mit CDU-regierten Ländern im Bundesrat Einspruch gegen die Ökosteuer einzulegen. Dass dabei auch seine Koalition mit den Grünen in NRW platzen könnte, weil der Koalitionsvertrag bei Uneinigkeit Enthaltung im Bundesrat vorsieht, wollte Clement in seiner ersten Wut riskieren.

Auf die grimmigen Ankündigungen folgte aber schon bald der vorsichtige Rückzug. Ein Koalitionskrach in NRW schien Clement doch nicht ratsam - zumal der Landeshaushalt noch nicht verabschiedet ist.

Außerdem wurde Clement nach einem Gespräch mit den RWE-Chefs Kuhnt und Manfred Remmel klar, dass die verteufelte Ökosteuer in Wahrheit keineswegs die entscheidende Rolle spielt beim Niedergang der Braunkohle. Die Vorstände kalkulieren, dass sich der Betrieb ihrer bereits abgeschriebenen Kohlekraftwerke zwar weiterhin rechnet - die scharf gesunkenen Strompreise aber zugesagte Neu-Investitionen unrentabel machen. Außerdem gebe es ein weltweites Überangebot an Strom, und zwar zu Dumpingpreisen.

Die Ökosteuer dient RWE nach Überzeugung von Christine Scheel, Vorsitzende des Bundesfinanzausschusses, denn auch nur als »vorgeschobenes Argument«, sich von Garzweiler II endgültig zu verabschieden. »Was jetzt passiert«, so die Grünen-Politikerin, »ist eine lange angedachte Unternehmensstrategie.« Ihre grüne Bundestagskollegin Kristin Heyne, Mitglied im Koalitionsausschuss: »Garzweiler muss auf dem Strommarkt wettbewerbsfähig sein. Die Investition rechnet sich einfach nicht.«

Als »virtuelle Unsinnsdiskussion« sieht auch ein enger Mitarbeiter von Bundesfinanzminister Hans Eichel den Politstreit über die angeblich unfaire Steuerbefreiung für hoch wirksame Gaskraftwerke. Denn noch gibt es kein einziges dieser Art in Deutschland.

Das soll sich allerdings bald ändern. Schon im kommenden Frühjahr will das schwedisch-deutsche Stromunternehmen Vasa Energy in Lubmin (Mecklenburg-Vorpommern) mit dem Bau eines solchen Werks beginnen. Vasa-Geschäftsführer Herbert Aly frohlockt, damit werde »eine der letzten Bastionen der alten Monopolwirtschaft fallen«.

Mindestens fünf Prozent des deutschen Strommarkts möchte der Konzern mit weiteren klimaschonenden Gaskraftwerken erobern. Längst gehe es nicht mehr darum, ob solche Kraftwerke gebaut würden, so Aly, sondern nur noch wo - »hier oder jenseits der holländischen und polnischen Grenze«.

Als Aly am vorvergangenen Mittwoch im Nordostzipfel der Republik seine Sicht der Dinge präsentierte, erntete er Zustimmung auch vom eigens aus Berlin eingeschwebten grünen Umweltminister Jürgen Trittin. Der sagte, für die von Arbeits- und Perspektivlosigkeit geplagte Region biete die »ambitionierte Technik ein Stück Zukunftssicherung«.

In NRW geht es jetzt erst mal nur um eine Lösung, die Clement über die Landtagswahl im nächsten Mai helfen kann - ein Spiel auf Zeit. Juristen in der Düsseldorfer Staatskanzlei tüfteln ein Modell aus, das die Steuerbefreiung für Gaskraftwerke rechtsverbindlich auf drei Jahre begrenzen soll, bislang sind im Ökosteuer-Gesetz zehn Jahre vorgesehen. Clement könnte das als Etappensieg für die Kohle verkaufen, wichtig für die Wahlkampfpsychologie.

Um diese Verkürzung der Steuerbefreiung soll deshalb jetzt auf Chef-Ebene verhandelt werden. Für diesen Montag ist ein Gespräch der RWE-Spitze mit Clement und Bundeskanzler Schröder in Berlin geplant.

Auch RWE setzt auf Zeit. »Die letztliche Entscheidung, ob die Bagger wirklich anfangen, den Tagebau Garzweiler II zu erschließen«, so ein RWE-Manager, »müssen wir erst im Jahr 2005 fällen. Derzeit würde es sich nicht rechnen.«

Das Einverständnis für das Polit-Theater um die Befristung der Steuerbefreiung muss der Bundeskanzler dem grünen Koalitionspartner abringen, der bislang wenig Neigung dazu zeigt.

Als Druckmittel gegen die Grünen könnte die Landtagswahl in NRW wirken, die als Test auch für das Bündnis im Bund gilt. Dass sie jetzt sehr leicht verloren gehen kann, weiß Clement. Um die SPD in Düsseldorf zu retten, warnte er seine Genossen bei einem Strategietreffen vor einer Woche in Potsdam schon mal, dürfe er sich beim Reizthema Kohle keine Rücksicht auf Berlin leisten - »sonst wird NRW schwarz«.

FRANK DOHMEN, GERD ROSENKRANZ, BARBARA SCHMID, ANDREA STUPPE

* Bei der SPD-Regionalkonferenz am vorvergangenen Samstag inKöln.

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