Spiel mit dem Feuer
Beck, 47, lehrt an der Universität Bamberg Soziologie. Mit Elisabeth Beck-Gernsheim schrieb er das Buch »Das ganz normale Chaos der Liebe«.
SPIEGEL: Die Chefs schweigen lieber, die Betriebspsychologen drucksen herum - was macht Liebe am Arbeitsplatz so bedrohlich?
BECK: Wir wissen wissenschaftlich seriös nichts. Wir können alle nur spekulieren. Soviel aber läßt sich sagen: Erotik ist immer eine Gefährdung der Zweckrationalität, die am Arbeitsplatz herrscht. Das vom Unternehmer definierte Betriebsziel beinhaltet das Gegenteil von Liebe. Der Kopfmensch ist offiziell gefordert. Es geht um Rendite, Bilanzen und Organisationsformen.
Die Liebe dagegen ist eine Revolution zu zweit. Die hat sich früher gegen die ständischen Normen gerichtet. Sie kann sich heute gerade gegen das betriebliche Tabu beweisen. In der Liebe herrscht das unbedingte Gefühl. Sie ist das genaue Gegenprinzip zum berechnenden Kapitalismus. Das macht die Liebe im Milieu der Zweckrationalität so attraktiv, aber auch so gefährdet und gefährlich.
SPIEGEL: Also müssen die Chefs mit der von ihnen verpönten - oder nur heimlich geliebten - Erotik im Betrieb rechnen.
BECK: Schon deswegen, weil die Menschen insgesamt freier geworden sind, ihre menschlichen Ansprüche nicht an der Garderobe ablegen wollen. Immer weniger lassen sich ihr Engagement, ihre inhaltlichen Interessen abkaufen. Niklas Luhmann hat einmal gesagt: Der Arbeiter in einer Marmeladenfabrik muß kein Liebhaber von Marmelade sein. Er muß nun sicherlich auch nicht der Liebhaber der Marmeladenfabrikantin werden. Aber viele wollen mehr Spaß auch in und an der Arbeit erleben.
SPIEGEL: Heißt das: Erotik wird ein Element des Betriebsklimas?
BECK: Das ist ein Spiel mit dem Feuer. Unsere heutige Situation muß vom historischen Kontrast her verstanden werden. Das Mittelalter ist eine einzige Bändigung der Explosivkraft Liebe. Die Mönche - die übrigens erstaunlich gut wußten, wogegen sie moralisieren - waren als Beichtväter sozusagen unsichtbar am Ehebett präsent und regierten in alle Details hinein. Die Romantik hat dann gegen die vorherrschende bürgerliche Prüderie den Aufstand der Gefühle geprobt.
Die gefährliche Idee, daß sich im Zusammenleben der Menschen immer wieder neue Seiten aufschlagen lassen, hat hier ihren Ursprung. Mit der Liebe wurde übrigens damals auch ihr Gegenteil, das Drama der Scheidung, erfunden und durchlitten. Die Romantik also hat die Maßstäbe gesetzt, an denen wir alle scheitern. In den sechziger Jahren haben diese romantischen Vorstellungen den Durchbruch als Massenideal geschafft. Nicht zuletzt als Folge der Bildungsreform.
SPIEGEL: Aber der klassische Ort für Erotik ist nach gängiger Moralvorstellung immer noch die Ehe oder die Lebensgemeinschaft, und nicht das Büro.
BECK: Nur für das Kästchen-Denken, das auch in den Sozialwissenschaften vorherrscht. Man muß sich das einmal vorstellen: Diese Gesellschaft sucht ihr Heil in der Spezialisierung. Aber für Familie und Liebe gilt das Gegenteil. Hier soll alles aus der Zweisamkeit geschöpft werden - Verständnis, Freundschaft, Elternschaft, Verzauberung, Selbstentfaltung, Vergebung, Zärtlichkeit, Therapie. Die Ehe als die Quelle aller Befriedigungen ist hoffnungslos überladen und überlastet. Mit den hohen Scheidungsziffern wird die Polygamie ja schon sozusagen sukzessiv eingeführt. Aber die Entdeckung der Vielfalt kennt viele Wege.
SPIEGEL: Die Liebe wäre danach also aus dem sozialen Gefängnis ausgebrochen und verzaubert ein System wie die Wirtschaft, das laut Max Weber einst die Entzauberung der Welt betrieben hatte.
BECK: Die Wiederverzauberung durch Liebesbeziehungen ist ein modernes Phänomen, das mit der Auflösung von gesellschaftlichen Traditionen wie Klasse, Familie, Rolle von Mann und Frau bedeutsam wird: Die Idee setzt sich durch, daß die Menschen ihr Leben selbst gestalten und auskosten, ausleben wollen. Liebe wird zu einer Art irdischer Religion. Die Menschen suchen Erfüllung, Erlösung im anderen, im Jetzt.
SPIEGEL: Und im Betrieb kann der befreite Beziehungsingenieur sein Gefühlsleben besonders erfolgreich optimieren?
BECK: Erotik herrscht überall dort, wo Männer und Frauen sich begegnen. Affären am Arbeitsplatz bieten etwas Besonderes. Etwas, was Ehen oder Lebensbeziehungen ohne gemeinsamen Arbeitskontext fehlt.
SPIEGEL: Leidenschaft?
BECK: Nein. Häufig haben Männer und Frauen nur eine nebensächliche gemeinsame Welt, zwischen ihnen kommt dann bald Sprach- und Verständnislosigkeit auf, weil sie den wichtigsten Teil der Alltagserfahrung nicht teilen können.
SPIEGEL: Was macht den Job so liebeswichtig?
BECK: Wir Soziologen wissen, daß sich die Menschen über den Beruf definieren. Wenn Sie jemanden auf einer Party fragen, wer er sei, antwortet er automatisch mit der Nennung seines Berufes. Die Berufssphäre ist ein Bereich, wo ein gemeinsamer Bedeutungshorizont dauerhaft präsent ist. Das macht Kollegen und Kolleginnen so attraktiv füreinander. Durch die gemeinsamen Erfahrungen in der Arbeitswelt läßt sich in der Affäre Nähe leichter herstellen. Für Frauen liegt darin ein besonderer Reiz.
SPIEGEL: Warum?
BECK: Der Beruf ist das Medium, in dem die Frauen von Männern erotisch anders wahrgenommen werden als privat, nicht als Partnerin und Mutter, sondern als Frau und zugleich erfolgreiche Kollegin.
SPIEGEL: Der Betrieb als Liebesschule. Doch trennt die Arbeit nicht auch die, die sich mögen?
BECK: Der Betrieb ist sicherlich keine Liebesschule. Aber er ermöglicht auf unkomplizierte Weise einen regelmäßigen Kontakt zwischen den in einer Affäre Verstrickten. Die Arbeit gibt die Dramaturgie dieser Beziehungen vor. Umgekehrt gilt natürlich auch, daß nach dem Ende der Büroaffäre dort Frustrationen, Eifersüchteleien und »Scheidungen unterderhand« ausgehalten werden müssen. Liebe verwirrt die Routine und öffnet untergründige Abhängigkeiten und Informationslinien. Liebe schlägt in Haß um. Solcher Beziehungsmüll kann zu einem dramatischen Einbruch in die Normalität der Arbeit führen.
SPIEGEL: Die Unternehmen müssen in Zukunft damit leben.
BECK: Es gibt heute vielfältige Ansprüche an die Arbeit, und die Betriebe müssen darauf reagieren. Sie müssen offener werden. Wie sie das handhaben, wird ein immer wichtigeres Thema für Manager. Das ganze Gerede über Ethik im Betrieb, über humane Firmenkultur, ist Symptom dafür, daß man versucht, eine neue Qualität in den Betrieben zu verwirklichen.
SPIEGEL: Eine Chance auch für die Liebe.
BECK: Sagen wir so: Das Liebesmonopol der Ehe - eine Erfindung des Bürgertums, die der Adel nicht kannte - wird brüchig. Vieles wird möglich. Auch diesseits der Sexualität. Die noch vor der Französischen Revolution niedergeschriebene Vision des französischen Sozialphilosophen Charles Fourier könnte ein Stück greifbarer werden: das allgemeine »Menschenrecht auf Abwechslung«.