Zur Ausgabe
Artikel 26 / 86

PRESSE / STUTTGART Spiel verloren

aus DER SPIEGEL 14/1971

Das Vereinsleben der Schwaben-Metropole Stuttgart ist reichhaltig -- Stoff genug für die »Stuttgarter Zeitung, ("StZ") wie für die »Stuttgarter Nachrichten« ("StN« die, beide am Ort und beide schwäbisch, jedem Vereinle geben, was jedem Vereinle gebührt: Aufmerksamkeit.

Im Februar begann die »Stuttgarter Zeitung« denn auch eine Porträt-Serie zu veröffentlichen. Der Männerturnverein war zuerst an der Reihe -- unter der Dachzeile »Stuttgarter Vereine -- was sie bieten, was sie leisten, was sie wollen«.

Zur Überraschung der »StZ«-Redakteure erschienen die »Nachrichten« sechs Tage später mit einer fast gleichen Rubrik. Überschrift: »Stuttgarter Vereine -- was sie wollen, was sie bieten, was sie leisten«. Erstes Porträt: der Männerturnverein,

Und so ging es weiter. Stets wenige Tage nach der »Zeitung« stellten die »Nachrichten« -- zwar mit eigenem Text, doch ohne zusätzlichen Informationsgehalt -- denselben Verein vor. Es war offenkundig: Ein Blatt kupferte vom anderen ab -- und dieser Eindruck war gewollt.

Denn längst hatte es die Lokalredakteure der kleineren »Stuttgarter Nachrichten« (Auflage: 72 000) gefuchst, daß sich zuvor, umgekehrt, die größere Konkurrenz-»Zeitung« (Auflage: 155 000) vermeintlich immer wieder Neuigkeiten aus den Blättern des Lokairivalen aneignete.

Die erkennbare Kopie der Vereinsserie diente dem »Nachrichten« -Lokaichef Hans-Joachim Schlüter lediglieb als Revanche -- und als öffentliches Signal, daß man mutmaßliche Abschreiberei nicht mehr widerspruchslos hinzunehmen gewillt sei.

Bei aller Verärgerung ("Da haben wir gesagt, das geht zu weit") gewann »StN« -Chef Rudolph Bernhard dem lokalen Gehäkele noch einen positiven Aspekt ab: »Das Verhalten der Konkurrenz beweist uns, daß wir diesen Konkurrenzkampf diktieren.« Solche Äußerungen hielt »StZ«-Chefredakteur Rainer Tross, 43, freilich für eine »unzulässige Verengung des Blickfeldes«, denn: »Es ist eine Illusion von Herrn Bernhard zu glauben, daß wir in den »Nachrichten' unsere interessanteste Konkurrenz sehen.« Und: »Unter lokalem Gesichtspunkt sind die »Nachrichten' eine ideale Konkurrenz: Sie sind vorhanden, aber sie tun uns nicht weh.«

In der Tat motivierten nicht nur journalistische, vielmehr auch geschäftliche Hintergründe die Vereins-Groteske zwischen den beiden Blättern' die einst in trauter Gemeinsamkeit begonnen hatten. 1945 waren der Literat Josef Ebene und der einstige Stresemann-Privatsekretär Henry Bernhard (Dritter im Bunde war der nachmalige »Mannheimer Morgen«-Verleger Karl Ackermann) von den Amerikanern mit der Gründungs-Lizenz für die »Stuttgarter Zeitung« bedacht worden.

Nach einem Jahr der Zusammenarbeit im Stuttgarter Turmhaus« vormals Sitz des angesehenen »Stuttgarter Neuen Tagblatts«, scherte Bernhard aus, um mit dem Sozialdemokraten Erwin Schoettle die »Stuttgarter Nachrichten« zu gründen. Für eine gute Startposition sorgten die amerikanischen Lizenzgeber: Angesichts begrenzter Papierkontingente dekretierten sie schlicht die Teilung der »Zeitungs«-Leserschaft, deren einer Hälfte fortan die »Nachrichten« ins Haus flatterten.

Bis in die frühen fünfziger Jahre konnte das Zweitblatt mithalten, doch dann zog die »Zeitung« auf und davon. Solide gemacht, von konservativer Ruhe im graphischen Bild und mit maßvoll-liberalem politischem Urteil entwickelte sie sich zum schwäbischen Renommier-Blatt mit überregionalen Ambitionen und erreichte binnen eines guten Jahrzehnts rund die doppelte Auflage der örtlichen Konkurrenz,

Aus diesem Schattendasein möchte Rudolf Bernhard, der 1966 nach väterlichem Vorbild -- Henry Bernhard starb 1960 -- auch den Posten des Chefredakteurs übernommen hatte« die »Nachrichten« nun herausbringen. Mit einem »Kontrastprogramm zur »Stuttgarter Zeitung'« hat Bernhard dort zum Angriff geblasen, wo der Konkurrenz mangels Unterschieds in der politischen Ausrichtung noch am ehesten beizukommen ist: im lokalen Bereich.

Kernpunkt des kommunalen Kontrastprogramms ist -- neben verlegerischen Aktivitäten, die dem Blatt inzwischen eine Anzeigenauflage von knapp 100 000 beschert haben -- eine seit etwa zwei Jahren verstärkt betriebene Werbung (Slogan: »Lebendige Nachrichten -- Stuttgarter Nachrichten"), die ihr redaktionelles Pendant in jährlich zwei »Aktionen« zu größeren Themen wie Straßenverkehr, Kriminalität oder Sport in Stuttgart findet. Außerdem sorgten Bernhard und seine Mannen für eine muntere Gestaltung speziell des Lokalteils der »Nachrichten«.

Als auch die »Zeitung« einige Innovationen der Konkurrenz wie Kurzkritiken noch am Abend einer Premiere, eingekastelte Lokal-Kommentare und einen Merkzettel für Stuttgarts Hausfrauen einführte« witterten die »Nachrichten«-Leute unlauteren Wettbewerb. Und vollends gram waren sie, als »StZ«-Lokalchef Gerhard Eigel eine Woche, nachdem die »Nachrichten« ihre diesjährige Frühjahrsaktion »So schön ist Freizeit in Stuttgart« angekündigt hatten, eine Serie unter dem Titel »48 Stunden Wochenende und was man daraus machen kann« eröffnete.

Die »StN«-Leute plagiierten nun »ganz bewußt« (Lokalchef Schlüter) die Vereins-Porträts der »StZ« -- was wiederum den »StZ«-Leuten Anlaß war, auf Gegenwehr zu sinnen. Um die »StN« zu überführen, erfanden die Vereinskolumnisten der Konkurrenz kurzerhand einen fiktiven Klub. Sie verliehen einer bereits seit langem bestehenden Kollegen-Runde von Karten- und Brettspielern Vereinsqualität und den Namen »Quodlibet Stuttgart«, ließen sich ein Vereinssymbol entwerfen, ernannten eine Sekretärin des Hauses zur Geschäftsführerin und rückten eine muntere Beschreibung des Vereinslebens ("Allzuviel Ernst und Vereinsmeierei sind bei »Quodlibet' nicht gefragt) sowie Kautelen gegen etwaige Leser-Empörung ("Mitglieder nehmen wir nur auf Empfehlung eines anderen Mitglieds auf") ins Blatt.

Prompt fielen die »StN«-Leute herein. Sie druckten auch die erfundene Story einschließlich Vereinssymbol frei nach -- zur Freude von »StZ«-Lokalchef Eigel: »Die haben wir schön geleimt.

Die Geleimten ergriffen die Flucht nach vorn. Einen Tag nach ihrem Reinfall auf den Schwaben-Streich der »Zeitungs«-Leute marschierten sie zum Amtsgericht -- um im nachhinein den Verein zu gründen, der bereits beschrieben worden war.

Am gleichen Abend versammelte. man sich zur Gründungsversammlung des »Quodlibet Stuttgart e. V. Höhepunkt der Veranstaltung: eine Menschärgere-Dich-nicht-Partie zwischen »Zeitungs«-Eigel und »Nachrichten« -- Schlüter. Gerhard Eigel: »Das Spiel hat Herr Schlüter auch noch verloren.

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 26 / 86
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren