REGIERUNGSSPRECHER Spion beim Kanzler
Meinen Partei-Chefs«, so urteilt FDP-Sprecher Hans-Roderich Schneider, 43, »geht es wie den Offizieren vom 20. Juli. Die haben damals zwar sogar Regierungsprogramm und Kabinettsliste fertig gehabt, aber darüber das Wichtigste vergessen: als erstes den Deutschlandsender in Königs Wusterhausen zu besetzen, um dem Volk zu sagen, was los ist.«
Königs Wusterhausen liegt für die FDP in Bonn, Welckerstraße 11, Zimmer 123, dem Dienstsitz des stellvertretenden Regierungssprechers.
Ende letzter Woche hatten die FDP-Führer zwar schon allerlei subalterne Posten in ihren künftigen Ministerien vergeben, aber noch immer keinen Mann gefunden, der an der Seite des von der SPD designierten Presseamtschefs Conrad Ahlers dem deutschen Volk die Arbeit der sozialliberalen Regierung verklaren kann.
Die Führer der Freien Demokraten haben ohnehin kein rechtes Verhältnis zur Presse und zur Öffentlichkeitsarbeit: Partei-Chef Walter Scheel sieht in den Zeitungen am liebsten Sottisen über andere und schöne Karikaturen über sich selbst; sein Vize Hans-Dietrich Genscher informiert vorzugsweise Journalisten, die ihm vorher versprechen, nichts zu veröffentlichen.
Vor parteiinternen Besprechungen über die Regierungsbildung wiesen die FDP-Präsiden alle sonst zugelassenen Mitarbeiter -- darunter Scheels persönlichen Referenten, Dr. Rohde, und FDP-Sprecher Schneider -- aus dem Saal. Die Vertreibung hatte nicht den gewünschten Erfolg; denn vor der FDP-Bundestagsfraktion klagte Mischnick später: »Wir mußten feststellen, daß trotz aller unserer Vorkehrungen alles wieder wörtlich im SPIEGEL stand.«
Durch das Deutsche Nachrichtenmagazin war auch die Besetzung des Presseamtspostens für die Liberalen zu einem Problem geworden, nachdem ihr Spitzen-Kandidat abgesagt hatte: Karl-Hermann Flach, stellvertretender Chefredakteur der linksliberalen »Frankfurter Rundschau« und bis 1962 Bundesgeschäftsführer der FDP, lehnte ab, weil er sich nicht gesund genug fühlte und sich »gern die Freiheit eines Journalisten erhalten will«.
Da entsannen sich die Freidemokraten ihres Pressechefs, des vormaligen Leiters der Bonner SPIEGEL-Redaktion, Hans-Roderich Schneider. Er bringt aus seiner Journalistenzeit von allen Bonner Freidemokraten den besten Kontakt zur SPD-Spitze mit. Seine alte persönliche Bekanntschaft mit Willy Brandt wäre ihm im Presseamt besonders nützlich: Die beiden Regierungssprecher unterstehen direkt dem Bundeskanzler.
Doch der SPD-Chef winkte ab: Da er den ehemaligen stellvertretenden SPIEGEL-Chefredakteur Conrad Ahlers zum Presseamts-Chef aufrücken lassen wolle, könne Schneider nicht dessen Vize werden, denn -- so ein Brandt-Berater -- »zwei SPIEGEL-Leute an der Spitze dieses Amts kann selbst eine SPD/FDP-Regierung nicht verkraften«.
Auf der »krampfhaften Suche nach einem Mann, der nicht vom SPIEGEL ist« (Scheel), brachten Liberale nun Kandidaten ins Gespräch, die andere Liberale sogleich verwarfen:
* Hans Friderichs, bis 15. September Bundesgeschäftsführer seiner Partei und seither Weinbau-Staatssekretär in Mainz, den Schneider seinem Partei-Chef empfohlen hat;
* Volrad Deneke, von 1963 bis 1965 Hinterbänkler in der FDP-Fraktion und früher Chefredakteur des »Deutschen Ärzteblatts«;
* Klaus Bernhardt, Bonner Korrespondent des »Handelsblatts«;
* Peter Pechel, Chefredakteur beim Sender Freies Berlin.
Bekannte Journalisten vermochte die FDP-Führung für den Dienst im Zentrum der Staatsmacht (Ahlers: »Ein Regierungssprecher ist so gut informiert, daß er sogar weiß, was der Kanzler denkt") nicht zu begeistern; denn der Stellvertretende Leiter des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung
* verdient mit rund 5000 Mark Monatsgehalt weniger als Spitzenjournalisten;
* muß werktags von acht Uhr morgens bis spätabends Dienst tun und in der RegeL auch am Wochenende verfügbar sein;
* gerät -- wie SPD-Anhänger Ahlers unter CDU-Regierungschef Kiesinger -- leicht in die Gefahr, von seiner Partei als Erfüllungsgehilfe des Kanzlers und vom Kanzler als Spion des kleineren Regierungspartners angesehen zu werden. So kamen die Liberalen Ende letzter Woche doch wieder auf den Schlesier Schneider zurück, der trotz höher dotierter Angebote aus der Presse aus politischem Engagement in den Staatsdienst will. Brandts Bedenken hoffen die Freidemokraten zerstreuen zu können. Ein FDP-Präside: »Schließlich kann SPIEGEL-Zugehörigkeit doch nicht so angesehen werden wie die tätowierte Blutgruppen-Nummer von SS-Männern in der linken Achselhöhle.«
Die Berufung des FDP-Sprechers würde freilich jenen Freidemokraten mißfallen, die dem lebenslustigen Schneider, der gern gut ißt und trinkt, nicht anmerken können, ob er Ernst oder Spaß macht, wenn er allzu selbstsichere Parteifreunde als Orakel verunsichert: »Wir haben den Ersten Weltkrieg verloren, und wir haben den Zweiten Weltkrieg verloren -- wir werden auch den dritten gewinnen.«