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Artikel 30 / 86

ZEITGESCHICHTE / GERSTEIN Spion Gottes

aus DER SPIEGEL 50/1968

Er trug die Uniform der SS, aber seinen Freunden erschien er als ein Held des Widerstandes. Er bestellte die Todesmittel für den Mord des Jahrhunderts, und doch alarmierte er Kirchen, Alliierte und Neutrale, dem Grauen ein Ende zu setzen.

Die von ihm angeforderten Blausäurelieferungen für Hitlers Todeslager trugen dazu bei, die Deutschen mit der schier untilgbaren Schuld des Massenmords zu beladen, aber die israelitische Gemeinde in Paris setzte seinen Namen auf den Gedenkstein für die Opfer des Faschismus.

Sie ehrte damit einen Mann, der getan hatte, was kein anderer Funktionär des Dritten Reiches tat: Mitten in den Vernichtungsfabriken der SS ("Ich bin bestimmt der einzige, der diese Mörderbande als Feind besucht hat") protokollierte er den Massenmord und versuchte zugleich, ihn durch Sabotageakte zu verhindern, zumindest zu verlangsamen.

Seit er sich dazu entschlossen hatte, so schrieb Gerstein später, »trug ich ständig Gift und eine geladene Pistole bei mir, um mich selbst zu töten, falls meine wahren Gefühle entdeckt werden sollten«. Und jeden Augenblick konnte er von den fanatischen Dienern des Regimes, die den gleichen Uniformrock trugen wie er, entlarvt und liquidiert werden, denn er machte kaum einen Hehl aus seiner Empörung.

Bis zum Ende des Dritten Reiches konnten die Menschen, die er gewarnt, informiert, gebeten, bedroht und provoziert hatte, nicht den Schreck vergessen, der in sie gefahren war, als der Mann im Offiziersrock der SS, ohne Tarnung, ohne persönliche Rücksicht, ihnen allen das grausamste Geheimnis des Nazi-Regimes -- die Existenz von Vernichtungslagern -- enthüllt hatte: den evangelischen Bischöfen, dem päpstlichen Nuntius und den schwedischen Diplomaten in Berlin, den niederländischen Widerstandskämpfern. Nie konnten sie ganz den Widerspruch verstehen, der zwischen der SS-Uniform und ihrem Träger lag.

Kurt Gerstein, SS-Obersturmführer, Christ und Kronzeuge, vereinigte in sich so konträre Wesenszüge, daß er seinen Freunden ein Rätsel blieb. Gerstein-Freund Helmut Franz vermutete: Als »Spion Gottes in der Uniform des Teufels« habe der Obersturmführer Zeugnis von den nationalsozialistischen Verbrechen ablegen wollen.

Selbst die Mitwisser zweifelten daran, daß es je möglich sein werde, das Rätsel Gerstein zu entwirren. »Eine Gestalt wie die Kurt Gersteins muß notwendigerweise im Zwielicht, ja, er muß schlechterdings unglaubwürdig erscheinen«, urteilte der rheinische Kirchenrat Wehr. Kirchenpräsident Martin Niemöller nannte seinen ehemaligen Mitkämpfer »einen etwas sonderbaren Heiligen«, und Bischof Dibelius meditierte: »Er war eigenartig, ein wenig romantisch in allem, was er tat.«

Andere mochten sich mit so schlichter Erklärung nicht begnügen und stilisierten Gerstein zu einer einflußreichen Figur der SS-Führung empor; auch einen Zug des Dämonischen wußten sie in der Gestalt zu entdecken, die von ihnen immer mehr in das Zentrum der NS-Vernichtungsmaschine gerückt wurde.

So stufte die Spruchkammer Tübingen 1950 den fünf Jahre zuvor verstorbenen SS-Mann in die Gruppe der Belasteten ein, weil sie in Gerstein ein »wichtiges Glied in der Kette« der für den Judenmord verantwortlichen SS-Führer sah -- erst 1965 wurde er nach zahlreichen Protesten der Öffentlichkeit unter die Entlasteten eingereiht. Die Tübinger Entnazifizierer hatten Gersteins Rolle in der SS zunächst für so entscheidend gehalten, daß sie ihm postum anlasteten, er hätte die Endlösung wirksamer sabotieren können.

Auch der scheue Respekt, den westdeutsche Historiker dem Zeugen der Judenvernichtung bekundeten, trug dazu bei, Gersteins Bedeutung zu vergrößern. 1953 veröffentlichte Professor Hans Rothfels, der Schutzherr des Münchner Instituts für Zeitgeschichte, einen von Gerstein 1945 verfaßten Augenzeugenbericht über Massenvergasungen und ergänzte ihn durch ein Gerstein-Porträt, das auch von seinem »raschen Aufstieg in die Reichsführung der SS« handelte.

Die Veröffentlichung des Historikers inspirierte den Dramatiker Rolf Hochhuth, Kurt Gerstein zum Gegenspieler des Titelhelden seines Papst-Stückes »Der Stellvertreter« zu erwählen. Die Gestalt des SS-Mannes erschien Hochhuth »so unheimlich, so zwiespältig und abgründig, daß man sie eher bedichten als beschreiben kann«. Hochhuth baute den technischen Offizier, der nie in einer politischen Zentralbehörde des SS-Imperiums gesessen hat, zu einer Schlüsselfigur der Endlösung auf:

* Davor: KZ-Kommandant Franz Hößler, 1945.

Der Bühnen-Gerstein ist ein vielseitiger Offizier »in der Reichsführung SS«, der das Vertrauen des SD-Fuhrers Schellenberg genießt, dem Endlöser Eichmann als Mitarbeiter dient*** und in die letzten Geheimnisse Himmlers (etwa die Massenverbrennung jüdischer Leichen durch den SS-Führer Blobel) eingeweiht ist.

Hochhuths Gerstein offenbarte sich als ein derartiges Mißverständnis, daß die Eingeweihten sofort Bedenken anmeldeten. Der Pfarrer Rehling, ein Freund des Toten, monierte, Hochhuth habe Gerstein »zu einem Ur-Revolutionär, zu einem Che Guevara gemacht«.

Erst jetzt, 23 Jahre nach dem Tod Gersteins, legt ein Historiker eine wissenschaftlich fundierte Biographie vor, die helfen wird, das Rätsel Gerstein zu lösen. Der Genfer Universitäts-Professor Saul Friedländer, 36, versucht in einer Arbeit, die der SPIEGEL in einer Serie vorabdruckt, das Bild des umstrittenen Christen und SS-Mannes von allen Vergröberungen und Rechtfertigungsversuchen zu befreien.

Der gebürtige Prager Friedländer, als Jude im Zweiten Weltkrieg mit seinen Eitern von der Gestapo gejagt, durch Bücher über Hitler und Pius XII. als Kenner nationalsozialistischer Zeitgeschichte ausgewiesen, fahndete monatelang nach Dokumenten über Gerstein, interviewte dessen Freunde und sah die Akten deutscher und französischer Archive durch.

Friedländers Nachforschungen ergaben, was er »die Zwiespältigkeit des Guten« in einem totalitären Staat nennt: die Geschichte eines einsamen, von Missionsideen erfüllten Mannes, der »bald in Zusammenhang, bald in Gegensatz zu der Gesellschaft stand, aus der er hervorgegangen war« -- bis ihn das Erlebnis der Massenvergasung in einem Vernichtungslager des Ostens zum radikalen Gegner des Regimes machte.

Doch die Doppelrolle, die er sich nun aufzwang, hätte er -- so folgert Friedländer -- »nicht durchhalten können ohne eine krankhafte Fähigkeit, zwei unvereinbare Rollen gleichzeitig aufrichtig zu erleben«. Diese schizophrene Veranlagung habe Gerstein »die Paradoxie eines jeden Widerstandes innerhalb eines totalitären Systems« ertragen lassen: die Absurdität, daß Widerstand nur leisten kann, wer bereit ist, sich mitschuldig zu machen.

Friedländer formuliert: »Es hat somit ein völlig vereinsamter und vielleicht »abnormaler« Mensch das Gewissen der Welt aufzurütteln versucht, während es den »normalen« Menschen vorbehalten blieb, angesichts des Verbrechens in einem mitschuldigen oder resignierten Schweigen zu verharren.«

Der Historiker deutet damit an, daß Gersteins Doppelrolle komplizierter war, als sie bisher gedeutet wurde. Unter dieser Doppelrolle begriff man das bewußt dargebrachte Opfer eines Regime-Gegners, der in die SS eingetreten war, um den Machtapparat des NS-Staates zu blockieren.

Für den Eintritt Gersteins in die SS waren drei verschiedene Erklärungen bekannt: Gerstein habe sich zur Waffen-SS gemeldet,

* weil er 1938 aus dem KZ Welzheim nur unter der Bedingung entlassen worden sei, daß er sich zur Waffen-SS melde (Version des Gerstein-Freundes und ehemaligen Bundestagspräsidenten Hermann Ehlers),

* weil er sich 1940 nach der Nachricht von dem gewaltsamen Tod seiner Schwägerin Bertha Ebeling im Zuge des Euthanasie-Programms entschlossen habe, »auf jeden Fall den Versuch zu machen, in diese Öfen und Gaskammern hineinzu-

* SPIEGEL-Titel 17/1963.

** Günther Stoll als Gerstein und Erich Weiher als Nuntius in einer Aufführung des Hamburger Thalia-Theaters, 1964.

*** Eichmann erklärte noch 1960, er kenne keinen Mann namens Gersteln.

schauen, um zu wissen, was dort geschieht« (so Gerstein 1945),

* weil sich bei ihm, nicht zuletzt »nach seinen eigenen Erlebnissen im KZ, schon damals die Überzeugung durchgesetzt hatte, die Bildung einer inneren Front gegen den Nationalsozialismus sei notwendig geworden« (so die Witwe Gersteins).

Allen diesen Erklärungen ist die Vorstellung gemeinsam, daß Gerstein als bewußter Gegner des NS-Regimes den Weg in die SS eingeschlagen habe. Der Historiker Friedländer aber breitet mit der ihm eigenen Behutsamkeit Materialien aus, die den Schluß erlauben, Gerstein habe als gläubiger Nationalsozialist oder zumindest als anpassungswilliger Bürger die Welt der SS betreten.

Denn: Bis zum Erlebnis des Massenmordes im Vernichtungslager Belzec 1942 hatte sich Kurt Gerstein nicht schlüssig werden können, wie er sich zu dem Staat Adolf Hitlers stellen solle. Widerstand gegen die Religionspolitik des Nationalsozialismus hielt sich in ihm mit NS-konformer Hitler-Begeisterung die Waage.

Elternhaus, Erziehung und Jugenderfahrung formten den am 11. August 1905 in Münster geborenen Gerstein zu einem typischen Zögling jenes deutschnationalen Bürgertums, das den »Führer« als eine Art Ersatz-Kaiser mißverstand und die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten als Befreiung von Parteiengezänk und demokratischer Unordnung begrüßte. Die Gersteins, seit Jahrhunderten Ärzte, Juristen und Unternehmer, waren »national bis auf die Knochen« wie man damals in diesen Kreisen sagte, sie pflegten einen vermeintlich kultivierten Antisemitismus und glaubten unerschütterlich an Preußens Gloria.

Die autoritär-nationalistische Familientradition wurde noch durch den starren Vaterlandsbegriff von Gersteins Vater forciert, der nicht nur äußerlich dem deutschnationalen Parteichef Hugenberg ähnelte. Der Landgerichtspräsident Ludwig Gerstein predigte ein Obrigkeitsdenken, das ihm zur Selbstverständlichkeit geworden war, seit er einer politischen Justiz diente, deren erste Regel besagt, der Staat habe immer recht.

Nichts schien ihm natürlicher, als sich für das Vaterland zu opfern. Aus dem Feld schrieb der Hauptmann Gerstein 1918 über einen Angriff deutscher Infanteristen: »Wie weitet sich das Herz, wenn man neben so vielem Grauenvollen so viel Schönes und Erhabenes sieht und erlebt! Das Pflichtbewußtsein, das sittliche Gebot: Du mußt! steckt mehr oder weniger in jedem einzelnen.«

Stolz ließ sich Ludwig Gerstein 1919 von den französischen Besatzern aus Saarbrücken vertreiben, eifrig stellte er seine Dienste zur Verfügung, als die Spionageabwehr der Reichswehr einen V-Mann suchte. Und gläubig vertraute er den neuen Herren, die seit dem 30. Januar 1933 den deutschen Staat lenkten.

Geschlossen ließ Vater Gerstein seine Söhne am 1. Mai 1933 in die NSDAP eintreten. Auch sein jüngster Sohn Kurt ging in die Partei, fünf Monate später trat er sogar der SA bei. Wie alle Gersteins wurde er von der Begeisterung über die »nationale Revolution« Hitlers mitgerissen, von den Nationalsozialisten erhoffte er sich die Beendigung des »nationalen Selbstmords« der feigen Verneinung der Daseinsberechtigung unseres Volkes«, wie er in einem Artikel ("Um einen neuen Wehrwillen") schrieb.

Dennoch hatte der alte Gerstein schon früh gespürt, daß ihn etwas von seinem Sohn trennte. In der Familie galt Kurt als »das schwarze Schaf«, wie sich ein Freund erinnert, und auch ein Bruder Gersteins weiß noch heute von »mancherlei Spannungen« zu berichten: »Er ging von jeher in besonderem Maße seinen eigenen Weg, so daß der Zugang zu ihm nicht eben leicht war.«

Was Kurt Gerstein seiner Familie vollends entfremdete, war das Erlebnis der Religion. Die Gersteins hatten für Kirche und Religion nur Spott übrig, Kurt aber kam Mitte der zwanziger Jahre auf dem Gymnasium in Neuruppin mit der evangelischen Jugendbewegung in Berührung, die seine Sehnsucht nach Mystik und Gemeinschaft ansprach und den impulsiv-leidenschaftlichen Romantiker in die Kirche zurückbrachte.

Einflußreichste Organisation dieser Jugendbewegung war der »Bund Deutscher Bibeikreise« (BK) der sich seit Ende des 19. Jahrhunderts zum Ziel gesetzt hatte, »Deutschlands studierende Jugend für Jesus« zu gewinnen. Trotz seines frommen Namens wußte der BK vor allem Schüler der höheren Lehranstalten durch Ausflüge, Lager-Romantik und Geländespiele für sich zu engagieren.

Wie fast alle Jugendbünde Deutschlands in de« Weimarer Republik war der BK rechtsgerichtet und huldigte neben dem Pietismus, wie sein Chronist Manfred Priepke berichtet, »einer Ideologie, die sich in den Begriffen »Frontsoldat -- Preußentum -- Deutsches Reich -- soziale Gerechtigkeit« erfassen läßt«. Man wollte nationalistisch, aber auch gut evangelisch sein -- und an diesem Widerspruch scheiterte später im Dritten Reich nicht nur der BK, an ihm ging auch letztlich Gerstein zugrunde.

Je mehr sich der Nationalsozialismus ausbreitete, desto stärker sah sich der junge Gerstein in die Existenznöte des BK verwickelt. Nach dem Abitur in Neuruppin hatte er sich zum Studium des Bergfachs entschlossen und auf den Hochschulen Marburg, Aachen und Berlin studiert; gleichzeitig stieg er immer höher in der Hierarchie der evangelischen Jugendbewegung: 1927 wurde er stellvertretender Führer der BK-Gruppe Aachen, 1929 fungierte er als Kreisleiter der »Deutsch -- Christlichen Studentenvereinigung« in Berlin-Charlottenburg, 1933 trat er in die Reichsführung des BK ein.

Der Machtantritt der Nazis stellte den BK und auch den Diplomingenieur Gerstein vor ein unlösbares Problem. Im politischen Programm der Hitler-Partei fanden sie kaum einen bedenklichen Punkt. Einige »Alte Kämpfer« stammten aus den Reihen des BK, der zu 80 Prozent nationalsozialistisch war. Aber: Gerade die enge Zusammenarbeit mit der Partei hatte die BK-Führer die antichristlichen Pläne der NSDAP durchschauen lassen.

Vor allem der Reichswart Udo Smidt, seit 1930 Führer der Bibelkreise, befürchtete einen Generalangriff des braunen Neuheidentums auf die Kirche und ihre Jugendbewegung. Die Jugendführer der Kirche bereiteten sich in ihrer Art auf die Auseinandersetzung vor: Sie »dankten Gott für diese wunderbare Wendung in der deutschen Geschichte« (wie eine Jugendzeitschrift Hitlers Machtantritt umschrieb), forderten jedoch gleichzeitig, das Eigenleben der evangelischen Jugendbewegung müsse unangetastet bleiben.

Doch ungerührt von solchen Bekenntnissen holte das Regime zum Schlag aus. Im Sommer 1933 zwang die Partei den kurz zuvor zum Reichsbischof der evangelischen Kirche gewählten Pfarrer Bodelschwingh zum Rücktritt; an seine Stelle rückte der Exponent der nazistischen »Deutschen Christen«, der Wehrkreispfarrer Ludwig Müller. Die Kirche spaltete sich, die Gegner des Hitler-Bischofs bildeten Aktionsgruppen, die sich später zur Bekennenden Kirche formierten.

Kaum war der erste Schlag gegen die Kirche gelungen, da folgte ein zweiter. Reichsjugendführer Baldur von Schirach proklamierte Anfang Oktober auf einer Gebietsführer-Tagung der Hitler-Jugend (HJ) den Großangriff auf den BK und andere Gruppen: Auflösung aller freien Jugendverbände, Eingliederung in die Zwangsorganisation der HJ.

Eine zentral gelenkte Kampagne gegen die evangelische Jugend begann. Immer häufiger kam es zu Schlägereien zwischen der HJ und dem BK, immer stärker wurde die kirchliche Jugend in ihrem Spielraum eingeengt. Versammlungs- und Aufmarschverbote hagelten auf den BK nieder, ihm wurden Vereinsräume gesperrt, Gelder entzogen.

Da erwuchs der evangelischen Jugend in dem künftigen Bergassessor Gerstein ein unermüdlicher und couragierter Helfer. Mit seltener Beredsamkeit, ohne Furcht vor den HJ-Rollkommandos, trieb er seine Freunde im BK zum Widerstand an.

»Er war einfach irgendwie da«, erinnert sich Gerstein-Freund Franz, »und wo er war, da war auch die Jugend und umringte ihn, weil er sie mit einer unglaublichen Faszination an sich zog.« Er hatte eine Mission gefunden, die ihn wie einen Besessenen von Jugendgruppe zu Jugendgruppe trieb.

Er war von seiner Bedeutung so durchdrungen, daß er von sich selbst oft nur noch in der dritten Person sprechen konnte: »Kurt Gerstein ist bei seinen alten Freunden und Kameraden wie je zuvor.« Franz berichtet: »Er hetzte Tag und Nacht tausend Hunden nach, kannte keine Minute der Entspannung, empfand etwa jede künstlerische Betätigung, z. B. mit Musik, als vergeudete Zeit.« Essen und Trinken schienen ihm lästige Unterbrechungen, über eine verlorene Geldbörse wollte er sich nicht länger als fünf Minuten ärgern, weil er einfach keine Zeit habe, solchen Dingen nachzuhängen.

Ihn dünkte, es sei seine geschichtliche Aufgabe, die deutsche Jugend zum Glauben an Christus, zur Opferbereitschaft für das Vaterland und zu sexueller Reinheit zu führen.« Ehre und Reinheit« waren seine häufigsten Vokabeln; vor allem die Sittenreinheit beschäftigte ihn ständig.

Gerstein-Biograph Friedländer entdeckte an ihm eine seltsam »reizbare Prüderie«, die in dem Historiker den Verdacht weckte, hier walte bei Gerstein ein Schuldgefühl. Er ging an keiner zotigen Wandinschrift vorbei, ohne sie sofort wegzuwischen, und seine wichtigsten Schriften, die er zum Teil selber verlegte, behandelten das Thema der unbedingten »Keuschheit«.

Er ließ vermeintlich pornographische Plakate von Berliner Häuserwänden herunterreißen. Er schnauzte einen SA-Mann an, der einen Jungen belästigt haben sollte. Und noch vor dem Parteigericht verteidigte er sich später mit dem Hinweis: »Das Innenministerium ist im Besitz von Akten über meinen unaufhörlichen Kampf gegen die skandalösen Umtriebe galizischer Juden und ihre Versandstellen 'Fromms Act' und 'Prim Eros'.«

Doch sein Ein-Mann-Feldzug konnte den Untergang der Bibelkreise nicht verhindern. Der nazihörige Reichsbischof Müller, Oberherr der evangelischen Jugendgruppen, stimmte der Eingliederung auch des BK in die Hitler-Jugend zu. Der oppositionelle Reichswart Smidt konnte Anfang 1934 nur noch mit der Auflösung seines Bundes antworten, um dem BK zumindest optisch die Kapitulation vor der HJ zu ersparen. Die Masse der evangelischen Jugend trat in die HJ ein nur ein harter Kern des BK blieb den Jugendpfarrern treu.

Gerstein aber kämpfte weiter, jetzt im Vorstand der neugegründeten »Reichsgeschäftsstelle für Bibelarbeit«. Im Juni 1934 hörte Hitlerjunge August Hoppe, »die BKs kämen jeden Montag zusammen, um unter dem Decknamen einer »Bibelstunde« ihren Interessen weiter zu dienen«. Er ging zu einer solchen Tagung und prallte auf den Redner Gerstein.

Hoppe meldete seinem Bannführer: »Was sich dieser Jüngling an Aussprüchen leistete, grenzt schon an Frechheit. Nicht nur, daß Maßnahmen der Regierung zur Befriedigung der kirchlichen Verhältnisse bekrittelt wurden, daß Führer wie Hosenberg und Schirach als unchristlich verschrien wurden, die man folglich ablehnen müsse, der Jg. Gerstein steigerte seine Frechheit, indem er den anwesenden HJ-Anwärtern Anweisung gab, aus der HJ wieder in kirchliche Organisationen zu kommen und auch die noch gebliebenen zum Austritt zu bewegen.«

Zum offenen Zusammenstoß aber kam es am 30. Januar 1935, als das Hagener Stadttheater das antichristliche Theaterstück »Wittekind« aufführte. Ein Schauspieler deklamierte eben: »Wir wollen keinen Erlöser haben, der jammert und schreit«, da sprang Zuschauer Gerstein auf und schrie: »Das ist unerhört! Wir lassen unseren Glauben nicht unwidersprochen öffentlich verhöhnen.«

Parteigenossen stürzten sich auf ihn, später notierte HJ-Gefolgschaftsführer Baukloh, Streifenführer im Bann 135: »Der Erfolg dieser Störung war eine anständige Tracht Prügel.« Gersteins Gesicht war entstellt, ein Auge verletzt, einige Backenzähne waren ausgeschlagen.

Der Christ Gerstein ließ sich nicht einschüchtern. Er nahm Kontakt zu alten BK-Kameraden auf, die jetzt an der Spitze der Bekenntniskirche standen, unter ihnen Martin Niemöller. ehemaliger BK-Landesführer Berlin, und Hermann Ehlers, ehemaliger Geländesportleiter und Schatzmeister des BK. Mit ihrer Hilfe organisierte Gerstein evangelische Ferienlager, die prompt von der Gestapo durchsucht wurden.

Im Sommer 1936 plante er einen großangelegten Aufklärungsfeldzug gegen die Kirchenfeinde in der NSDAP. Er verfertigte 1000 Briefe an hohe Ministerial- und Justizbeamte, die er über den Kirchenkampf informieren wollte -- durch vier Schriften der Bekenntniskirche, die jedem Brief beigelegt wurden. 7000 weitere Briefe sollten später abgeschickt werden.

Die Idee stammte von Gersteins Freund Immer, Pfarrer an der Gemarker Kirche in Wuppertal. Die beiden Bekenntniskirchler, so las es sich später in einem Beschluß des Gaugerichts Westfalen-Süd, waren sich über die dringende Notwendigkeit einer objektiven Aufklärung der deutschen Richter« einig und »daraufhin übereingekommen, daß Gerstein die Anschriften sämtlicher höheren deutschen Justizbeamten besorgen solle, während Pastor Immer die Zusendung des entsprechenden Aufklärungsmaterials durch den Verlag 'Unter dem Wort' veranlassen sollte«.

Schon hatte Gerstein 380 Richter-Briefe abgeschickt, da wurde er das Opfer seiner eigenen Späße. Gerstein, inzwischen zum Bergassessor der Saargrubenverwaltung in Saarbrücken avanciert, hatte von Oberberghauptmann Schlattmann Order erhalten, die Hauptversammlung des »Vereins Deutscher Bergleute« vorzubereiten. Jedem Einladungsschreiben fügte er einen Umschlag mit dem Aufdruck »Reiseerleichterungen« bei, darin steckten zwei selbstentworfene Plakatzettel. Auf dem einen stand »Abteil für Reisende mit tollwütigen Hunden«, auf dem anderen: »Abteil für Reisende mit ansteckenden Krankheiten«.

Ein Parteiorgan nahm an der Scherz-Aktion Gersteins Anstoß und alarmierte die Gestapo, die ihn am 24. September 1936 verhaftete. Die Briefe mit den Schriften der Bekenntniskirche wurden beschlagnahmt, Gerstein kam in Untersuchungshaft, beschuldigt der »Massenvertreibung verbotener staatsfeindlicher Druckschriften«.

Nach sechs Wochen Haft war Gerstein wieder frei, ein Verfahren fand nicht statt. Dennoch war er von nun an ein gezeichneter Mann: Die Saargrubenverwaltung hatte ihn wegen staatsfeindlicher Tätigkeit entlassen, der Stellvertretende Gauleiter von Westfalen-Süd seinen sofortigen Ausschluß aus der NSDAP verfügt. Jetzt freilich offenbarte sich, daß sich Gersteins Kampf nicht gegen das Regime gerichtet hatte, sondern nur gegen dessen Kirchenpolitik,

Darin unterschied er sich kaum von der Bekenntniskirche, deren Führer immer wieder wie im November 1933 betonten, sie stünden »unbedingt zu dem Führer des Volkes Adolf Hitler«, ja sie würden sich »schämen, daß sie durch kirchliche Gegner genötigt werden, diese Selbstverständlichkeit überhaupt auszusprechen«. Als man Niemöller nahelegte, die Partei zu verlassen, ließ er erklären: »Ein Austritt aus der NSDAP kommt nicht in Frage, da unser Protest nicht gegen die Partei, sondern gegen den Reichsbischof geht.«

Auch Gerstein gehörte zu den »Phantasten und Naiven«, von denen Pastor Dietrich Bonhoeffer im April 1934 geschrieben hatte, sie glaubten »immer noch, die wahren Nationalsozialisten

* 3. v. r,: Generalsuperintendent Otto Dibelius, der das Paar traute.

zu sein«. So ließ Gerstein denn auch nicht ab, gegen seinen Parteiausschluß zu protestieren. Unablässig bestürmte er die NSDAP-Führung« ihn wieder aufzunehmen.

»Ich habe innerhalb der Bekenntniskirche«, schrieb er im Januar 1937 an das Oberste Parteigericht in München, »der Gruppe junger Leute als Wortführer angehört, die, feind jeder Reaktion, immer wieder betont haben, daß wir wirkliche Christen und wirkliche Nationalsozialisten zu sein wünschten und eine evangelische Kirche in und mit dem Staat Adolf Hitlers haben wollten.«

Er könne deshalb »nicht zugeben, daß ich der nationalsozialistischen Bewegung die Treue gebrochen und mich auf die Seite derjenigen Gegner gestellt habe, die sich darum bemühen, das Werk des Führers zu sabotieren«. Im Gegenteil: »Ich besitze einen leidenschaftlichen Willen, dem Werke Adolf Hitlers mit meiner ganzen Kraft, Gut und Leben zu dienen.«

Solche Bekenntnisse erklärten sich Gersteins Freunde später mit dem Druck, den Vater und Brüder auf ihn ausübten. »Meine Familie zwingt mich hier quasi zur Unaufrichtigkeit. Deswegen bin ich äußerst mieser Stimmung«, schrieb er seiner künftigen Frau. der Pastorentochter Elfriede Bensch. Dem Biographen Friedländer will jedoch dieser Erklärungsversuch »als unzureichend erscheinen«.

Friedländer: »Es läßt sich nicht ausschließen, daß der Nationalsozialismus zu jener Zeit auf ihn wie auf die große Mehrzahl der Deutschen eine echte Anziehung ausübte.« Gersteins Regimetreue wäre schon jetzt offenkundig geworden, hätte ihn nicht ein Zufall in einen neuen Konflikt mit der Gestapo versetzt.

Nach seiner Heirat im August 1937 hatte der stellungslos gewordene Gerstein sich zum Medizinstudium am Deutschen Institut für Ärztliche Mission in Tübingen entschlossen und war dabei in einen Kreis deutschnationaler Hitler-Opponenten geraten, deren Oberhaupt der völkische Parteiführer und ehemalige Reichstagsabgeordnete Reinhold Wulle war. Ihre Widerstandsarbeit bestand freilich nur darin, »daß man in vornehm gepflegter Form zusammenkam und sich die damals allgemein kursierenden Witze über das System erzählte« -- so Franz.

Die Gestapo witterte mehr dahinter und verhaftete die vornehmen Opponenten, unter ihnen auch Gerstein. Der Oberstaatsanwalt am Landgericht Stuttgart hielt für erwiesen, daß Wulle versucht habe.« mit zuverlässigen Personen eine Art Auffang-Organisation für den erwarteten Fall eines politischen Umsturzes zu bilden und die monarchische Staatsform vorzubereiten«.

Gerstein, am 14. Juli 1938 verhaftet, wurde in das Konzentrationslager Welzheim gebracht und erlitt einen Schock, von dem er sich lange Zeit nicht mehr befreien konnte. »Ich kann diese Erniedrigungen, Mißhandlungen, diesen Hunger, diese Zusammenpferchung im engsten Raum mit Zuhältern und Verbrechern nicht schildern«, erinnerte er sich.« Haftgenossen, die vorher im Zuchthaus gewesen waren, kannten nur den einen Wunsch: Wären wir nur wieder zurück im Zuchthaus! Läuse, Wanzen, Milben, Hunger, Zwangsarbeit und eine Behandlung, die nicht zu schildern ist.«

Doch er fand einen unerwarteten Helfer, der ihn nach sechseinhalbwochiger Qual befreite. Dem Kriminalsekretär Ernst Zerrer, Sachbearbeiter in der Gestapo-Leitstelle Stuttgart, imponierte die Zivilcourage Gersteins derart, daß er die Schriften des Häftlings seinem Sohn zu lesen gab und Gerstein jede mögliche Hafterleichterung gewährte.

Zerrer wollte Gerstein den Rückweg in die Partei ermöglichen und stellte ihm ein günstiges Urteil aus. Der Gestapo-Mann war es denn auch, der Gerstein nahelegte, in die bewaffnete SS einzutreten.

Gerstein konnte sich zunächst nicht entscheiden. Er wollte nach Amerika auswandern, auch eine Emigration nach England erwog er, dann kam ihm der Gedanke, ins Bergwerk zurückzukehren. Was immer er tun würde, eines war ihm gewiß: »Eine dritte Verhaftung würde für mich zweifellos bedeuten, daß ich nicht weiterleben kann.«

Ohne einen Entschluß gefaßt zu haben, trat er zunächst im Herbst 1938 eine lange Mittelmeer-Reise an. Als er zurückkehrte, drängte der Vater ("Bekenne mich rückhaltlos zur Hakenkreuzfahne") seinen Sohn, endlich das Verhältnis zur Partei zu klären. Wieder appellierte Gerstein an das Parteigericht, die Ausschlußverfügung rückgängig zu machen.

Im Juni 1939 verwandelte das Oberste Parteigericht den Ausschluß in eine mildere »Entlassung aus der Partei«. Doch Gerstein ließ nicht locker, er wollte völlig rehabilitiert werden. Da die Kriegsanstrengungen es der NS-Führung als ratsam erscheinen ließen, die Kampagne gegen die Kirche einzustellen, sah Gerstein kaum noch einen Grund, dem Regime seine Mitarbeit zu versagen.

Seine alten Gegner boten ihm die Hand: Die HJ-Führung, in der jetzt mancher Freund aus der evangelischen Jugendbewegung saß, war nicht unfroh, einen Idealisten von der Schwungkraft Gersteins an sich zu binden.

Mit der HJ war Gerstein durch mancherlei Kontakte schon lange Zeit verbunden. Einer seiner ältesten Freunde, Karl Börngen, gehörte seit 1928 der Hitlerjugend an -- es war jener Jungbannführer, über den Gerstein 1937 dem Parteigericht zu berichten hatte, er habe ihn »in vollem Ausmaß wieder in die nationalsozialistische Verantwortung zurückgeholt«. Über Börngen fand Gerstein Eingang zur HJ-Führung, die ihn in ihre Dienste nahm.

»Mir sind große Möglichkeiten geboten«, vertraute er einem Freund am 14. Mai 1940 an, »in großem Stile wichtige Lebensgebiete für die ganze deutsche Jugend literarisch zu behandeln bzw. derartige Aufgaben zu organisieren, und zwar Im Rahmen der HJ von sehr hoher Stelle aus.«

Hatte er keine Bedenken mehr? Gerstein: »Was ich an hohen Stellen der HJ erlebt habe, zwingt mich, ohne irgendwie an meinen Überzeugungen Verrat zu üben, mitzuhelfen. Ich darf die prächtigen Leute, mit denen ich Freundschaft geschlossen habe, nicht im Stich lassen.«

Im August 1940 versuchte er erneut, seine Wiederaufnahme in die Partei durchzusetzen. Er fuhr in das Braune Haus, die Münchner Zentrale der NSDAP, und wollte dort den »Stellvertreter des Führers«, Rudolf Hell, um einen Gnadenakt bitten; doch die Parteibürokraten erklärten ihm, über Parteiausschlüsse befinde allein Hitler, der sich jedoch zur Zeit keine Gnadengesuche vorlegen lasse.

Darauf wandte sich Gerstein am 17. August 1940 an den Probeassessor Arlt vom Obersten Parteigericht, der seinen Fall bearbeitete. Als Gerstein.-Aussage hielt Arlt fest: »Zur Zeit des Entlassungs-Urteils im Jahre 1939 habe er sich schon längst wieder vom Bekenntnischristentum abgewandt gehabt, und heute sei er völlig bekehrt. Er habe inzwischen klar die Fronten erkannt und wisse, daß sein Idealismus nur durch das Gedankengut der NSDAP befriedigt werde.«

Doch auch Parteijurist Arlt konnte Gerstein nur die Auskunft geben, es sei »noch eine längere Bewährungsfrist erforderlich«, bevor ihn die Partei wieder In Ihre Reihen aufnehme. Gerstein schöpfte neuen Mut. Arlt erfuhr, er, Kurt Gerstein, wolle »versuchen, sein Vorbringen möglichst glaubhaft zu machen«.

Wie aber konnte man der NSDAP seine Treue beweisen? Nur durch einen Eintritt in die Gardetruppe der Partei, jene militärische Einheit, die gerade im Sommer 1940 begonnen hatte, in der HJ für sich zu werben: die Waffen-SS.

Am 15. August hatte Heinrich Himmler befohlen, ein Führungshauptamt (FHA) zu errichten, mit dem er die junge SS-Truppe leiten und verwalten wollte. Zu diesem Hauptamt gehörte auch eine Sanitätsinspektion; sie unterhielt außerhalb des FHA ein Hygiene-Institut, das über die Gesundheit der Waffen-SS wachen sollte.

Für eben dieses Institut interessierte sich der ehemalige Medizinstudent Gerstein, nachdem er sich entschlossen hatte, in die Truppe des Schwarzen Ordens einzutreten. Ihn dünkte es politisch ungefährlich, sich um die Laufbahn eines sogenannten Fachoffiziers der Waffen-SS zu bewerben -- Techniker, Mediziner und Gesundheitsspezialisten würden schwerlich mit den Schattenseiten des NS-Regimes in Berührung kommen.

Im September 1940 reichte Kurt Gerstein seine Bewerbung ein. Doch noch ehe er zum 10. März 1941 in die Waffen-SS einberufen wurde, hatte ihn eine Nachricht erreicht, die seine SS-Karriere in ein völlig neues Licht tauchte: Adolf Hitlers geheime Kampagne zur Zwangstötung »unwerten Lebens« (Euthanasie) brachte auch die Familie Gerstein in Berührung mit dem Vernichtungsmechanismus des Dritten Reiches.

Die Tötung seiner Schwägerin Bertha Ebeling in der Euthanasie-Anstalt Hadamar warf den anpassungswilligen SS-Bewerber Gerstein wieder aus dem Gleichgewicht; jetzt wollte er »in diese Ofen und Gaskammern hineinschauen«, in denen Menschen wie seine Schwägerin ermordet worden waren.

Gerstein kam in das Hygiene-Institut der Waffen-SS, dessen oberster Chef, der Reichsarzt-SS und Polizei Dr. Grawitz, von Himmler den Befehl erhalten hatte, die technischen Vorbereitungen für den letzten Akt der Endlösung einzuleiten. Auch das Hygiene-Institut nahm daran teil: Es sollte die Blausäure beschaffen für die Vernichtungslager im Osten.

Für die Lieferung aber war kein anderer zuständig als der Leiter der Instituts-Abteilung für Gesundheitstechnik, der SS-Untersturmführer Gerstein. Von Stund an notierte er, was er in den Lagern des Schreckens sah, schockiert, empört, beschämt. Er kannte nur noch eine Mission, eine Aufgabe: die Welt zu alarmieren, das Grauen zu stoppen.

Gerstein später: »Ich nahm also ohne die geringsten Skrupel den Auftrag (zur Beschaffung der Blausäure) an, der mir erteilt worden war. Jeder andere hätte ihn in dem von der SS gewünschten Sinn erfüllt. Ich dagegen konnte die Verwendung der Blausäure für die Tötung von Menschen verhindern.«

Damit begann die eigentliche Geschichte des Kurt Gerstein, die Geschichte des Kronzeugen der Endlösung. Über sie wird der Chronist Saul Friedländer berichten: in der nächsten Nummer des SPIEGEL.

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