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Briefe

SPLENDID ISOLATION
aus DER SPIEGEL 48/1966

SPLENDID ISOLATION

Verzeihen Sie, wenn ich, der ich nur ein schmieriger kleiner Krimineller bin (so etwa gleichlautend die National- und Soldatenzeitung und die Gräfin Dönhoff von der »Zeit« wie bayrische Justizbeamte), mir erlaube, zu Ihrem Bradfisch-Artikel einiges zu ergänzen:

Die Sonderbehandlung dieses Herrn Dr. Massenmörders steht nicht nur nicht allein, sie begann auch viel früher, als Sie es sich träumen lassen.

Massenmörder Dr. Bradfisch genoß bereits im Zuchthaus Straubing eine weitaus angenehmere Behandlung als etwa Mitgefangene, die das selbstverschuldete Unglück haben, nur schmierige kleine Kriminelle zu sein.

Auch SS-Wölffchen wurde in der Untersuchungshaft in München-Stadelheim von den Beamten mit »Herr General« angesprochen. (Wundert Sie das? Die Beamten müssen in ihm doch einen Quasi-Vorgesetzten sehen - oder ihn als ehemaligen Vorgesetzten erkennen.) Im hessischen Zuchthaus Butzbach verwaltete Euthanasie-Massenmörder Dr. Gorgass jahrelang die Bücherei, sortierte dort Bücher von Feuchtwanger als schädlich aus und propagierte Werke von Dwinger und Genossen. Gorgass wurde für solche pädagogisch wertvolle Tätigkeit von dem Oberlehrer, dem die Bücherei untersteht und der daneben »Erziehungsleiter« der Anstalt ist, oft gelobt, auf Fürsprache der Anstalt in Urlaub geschickt und später begnadigt.

Gorgass' Kamerad Professor Heyde erfreute sich, wo alle anderen schlicht mit Namen aufgerufen werden, der Anrede »Herr Professor« und durfte das Wannenbad im Lazarett benutzen, während anderen Gefangenen nur eine Dusche zur Verfügung steht. In dieser Badewanne wiederum konnte er gemütlich mit Kamerad Strippel, ehemaligem Rapportführer von Buchenwald, plaudern, denn Strippel, hattet wie die meisten anderen Nazi-Verbrecher, eine gute Position in diesem Hause: Er war Schreiber im Krankenrevier: Die hessische Justiz hat zwar nach dem Selbstmord Heydes eifrig bestritten, daß es je solch einen Posten gegeben habe das mag aber daran liegen, daß bei der Justiz die Rechte nie weiß, was die Linke tut. So wußte selbst der Leiter der Strafanstalt Butzbach nichts davon, daß einem anderen Nazi-Mörder, der in der Bauverwaltung der Anstalt arbeitete, das Mittagessen in seinem Büro serviert wurde, weil er es für unzumutbar hielt, mit den anderen, nur kriminellen Gefangenen zusammen in der Kantine zu essen.

Ich will Sie nicht mit einer noch längeren Aufzählung langweilen, ich möchte Ihnen nur sagen: Sie haben mit Ihrer Kritik an der Sonderbehandlung des Herrn Dr. Bradfisch sicherlich sämtliche Justizverwaltungen der Bundesrepublik aufs höchste irritiert. Bisher hat sich - abgesehen von nur kriminellen Häftlingen, die schon deswegen unmaßgeblich sind - fast nie jemand darüber aufgeregt, daß Nazi-Verbrecher als Sondergefangene (oder ehemalige Komplizen) betrachtet werden.

Vielleicht sollten Sie mal eine kleine Untersuchung starten: »Nazi-Verbrecher in deutschen Gefängnissen«. Ihnen würden die Augen übergehen, falls die Justizbehörden zulassen, daß Sie Ihnen aufgehen.

Berlin WOLFGANG GRAETZ

Graetz*

* Achtzehnmal vorbestrafter Autor des 20.-Juli-Stückes »Die Verschwörer« und zahlreicher Hörspiele.

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