BERLIN Springen mit Springer
Im Januar dieses Jahres schrieben sechs Berliner Zeitungsverleger
ihrem Regierenden Bürgermeister Willy Brandt, sie seien wegen der Fernsehwerbung des Senders Freies Berlin (SFB) in eine »katastrophale Situation« geraten. Im Februar erklärten sie in einem weiteren Schreiben an Brandt, die Reklame-Spots des SBF seien »wie ein Hohn auf die Verfassung«.
Und im März schrieben sie allen Berlinern. »Das geht jeden an«, hieß es in mehrspaltigen Inseraten der Verleger. »Einige Berliner Zeitungen geraten von Tag zu Tag in immer größere Schwierigkeiten. Schuld daran ist der halbstaatliche Sender Freies Berlin. Und sein umstrittenes Werbefernsehen. Es bringt ihm Millionen ein. Gelder, die diesen Zeitungen fehlen. Dabei schwimmt der SFB im Geld. Er braucht die Werbeeinnahmen gar nicht ... Der Berliner darf nicht tatenlos zusehen, wie seine Zeitungen ruiniert werden.«
Das »Spandauer Volksblatt« nannte den SFB einen »staatlich lizenzierten Wegelagerer«, und Axel Springers Berliner Boulevard-Blatt »BZ.«, das noch vor wenigen Jahren in großer Aufmachung berichtet hatte, der SFB sei pleite, wiederholte die Verlegeranklage, der Sender wisse nicht wohin mit den Millionen.
In immer neuen Schriftsätzen an den Senat klagen die Verleger,
- ihre Vertriebs- und Anzeigeneinnahmen reichten zur Deckung der Kosten nicht mehr aus;
- die Anzeigenumsätze der sechs kleinsten Berliner Zeitungen seien zusammen nur etwa halb so groß wie der Reklame-Umsatz des SFB;
- das Fernsehen dringe immer weiter in den Informationsbereich der Zeitungen ein;
- mit überhöhten Vergütungen (Gehälter und Pensionsverträge) würden immer mehr Journalisten durch die öffentlich-rechtlichen Anstalten abgeworben.
Daher solle der Senat unverzüglich die Fernsehwerbung im SFB unterbinden und der von den Verlegern 1960 gegründeten »Fernsehgesellschaft der Berliner Tageszeitungen mbH« eine Sendelizenz erteilen.
Wort- und Schriftführer im Kampf gegen die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten ist - ebenso wie im Bundesgebiet - der Hamburger Großverleger Axel Springer, dem die drei größten Zeitungen am Ort uni zwei Drittel der Berliner Zeitungsauflagen gehören. Im Gegensatz zum Bundesgebiet, in dem eine Schädigung der Verlage durch die Fernsehwerbung nur schwer belegbar ist, bot Berlin scheinbar einen triftigen Beweis.
Anders als in den übrigen Bundesländern ist in Berlin das Verbreitungsgebiet des Fernsehens mit dem der lokalen Zeitungen identisch. Diesen Umstand machten die Verleger an einem Beispiel deutlich. Ein Werbetreibender etwa, der den Raum Bielefeld ansprechen wolle, werde am besten in der Bielefelder »Freien Presse« inserieren, da die über das ganze Land Nordrhein-Westfalen ausgestrahlte Fernsehwerbung des WDR für diesen Inserenten zu teuer sei.
Derselbe Werbetreibende aber werde in Berlin sein Publikum über das Fernsehen ansprechen, da das Verbreitungsgebiet der Zeitungen mit dem des Bildschirms übereinstimme. Mithin müsse der gesamte SFB-Reklameumsatz von brutto 23,75 Millionen Mark im vergangenen Jahr als lokale Werbung angesehen werden, die den Berliner Blättern entzogen worden sei. Das Fernsehen sei daher als »größtauflagiger Werbeträger« am Ort zu bezeichnen.
Gegen diese Interpretation des Begriffs Lokalwerbung verwahrt sich der SFB entschieden. Als solche nämlich könne nur die Fernsehreklame Berliner Firmen im SFB angesprochen werden. Tatsächlich haben örtliche Unternehmen, wie etwa die Schultheiss-Brauerei und einige Möbelhäuser, 1964 nur 312 Minuten lang im SFB geworben und dafür 1,25 Millionen Mark aufgewendet. Bei insgesamt 6060 Werbeminuten im vergangenen Jahr entspricht das einem Anteil von nur 5,2 Prozent. Die restlichen 5748 Minuten zum Bruttopreis von 22,5 Millionen Mark wurden mit Spots überregional verbreiteter Markenartikel aus dem Bundesgebiet gefüllt.
Der Frage, ob die gesamte Reklame im SFB als Lokalwerbung anzusprechen ist oder nicht, messen die Verleger aus rechtlichen Gründen entscheidende Bedeutung bei.
Tatsächlich müssen öffentlich-rechtliche Anstalten, die als gemeinnützige Anstalten Steuerfreiheit genießen, nach einem Urteil des Oberlandesgerichts München aus dem Jahre 1957 sich im Wettbewerb mit privaten Unternehmen so verhalten, daß keine »ernstliche Gefährdung« des Konkurrenten eintritt. Andernfalls ist, so das OLG München, die wirtschaftliche Betätigung der öffentlich-rechtlichen Anstalten als unlauterer Eingriff in die private Konkurrenzsphäre anzusprechen.
Bereits im Januar setzte Willy Brandt eine Senatskommission ein, die den Wettbewerb zwischen den Medien Fernsehen und Presse untersuchen soll.
Berlins Zeitungsverleger mochten sich allerdings nicht entschließen, diesem Gremium mit einschlägigem Material über ihre Auflagen- und Inseratenentwicklung seit Beginn des Werbefernsehens im Jahre 1956 zu dienen. Vielmehr reichten sie der Kommission, der Berlins Senator für das Post- und Fernmeldewesen Klaus Schütz vorsitzt, lediglich Unterlagen über den Rückgang der Markenartikel-Insertion ein, die Berlins Blättern nur 20 Prozent der Werbeumsätze ausmacht.
In Gegeninseraten und Fernsehkommentaren erwiderte der SFB, nicht er, sondern die von Axel Springer verursachte Konzentrationsbewegung innerhalb der Berliner Presse sei schuld an der Zeitungsmisere. Springer grabe, so hieß es in einem Fernsehkommentar des SFB, den übrigen Zeitungsverlegern »das Wasser ab«.
In der Tat hat Springer seine Berliner Konkurrenten wirtschaftlich weit mehr bedrängt, als es der SFB je vermochte.
Mit insgesamt zehn Morgen-, Mittags - und Abendzeitungen und einer Gesamtauflage von rund einer Million Exemplaren ist die Presse in der ehemaligen Reichshauptstadt erheblich überbesetzt. Zudem fehlt den Verlagen seit dem Mauerbau jede Ausdehnungsmöglichkeit. Allein durch die gewaltsame Teilung ging den Blättern wegen des Ausbleibens der Grenzgänger eine tägliche Auflage von insgesamt etwa 40 000 Exemplaren verloren.
In den wirtschaftlich schwachen Berliner Zeitungsmarkt hatte sich Axel Springer schon vor Jahren zielsicher eingekauft. Bereits 1956 erwarb er einen Anteil von 26 Prozent an der damaligen Ullstein AG. Bis zum Sommer 1960 baute er seine Sperrminorität auf ein Mehrheitspaket von 83 Prozent aus.
Durch den Zukauf fielen ihm die größten Berliner Zeitungen, das alte Boulevardblatt »BZ« und die Abonnementszeitung »Berliner Morgenpost« zu, die im vierten Quartal 1964 Verkaufsauflagen von 323 898 und 241 800 Exemplaren erzielten. Springers Marktanteil in Berlin wuchs von 15 Prozent, die er bereits 1956 mit der »Bild«-Zeitung sowie der »Welt« erobert hatte, auf mittlerweile 68 Prozent.
Mit der Berlin-Ausgabe der »Bild« Zeitung (Verkaufsauflage: 107 780) hält der Großverleger auch noch den dritten Rang in der ehemaligen Reichshauptstadt besetzt, und die Berlin-Ausgabe der »Welt« (Auflage etwa 40 000) rangiert immerhin noch auf dem achten Platz. Die konzernfreien Tageszeitungen hingegen drängen sich auf den unteren Rängen:
- »Der Tagesspiegel« (mit einer verkauften Auflage von 91 328 Exemplaren),
- »Telegraf« (82 083),
- »Der Abend« (70 163),
- »Nacht-Depesche« (49 039),
- »Spandauer Volksblatt« (26 976),
- »Der Kurier« (23 018).
Schon seit vielen Jahren stärkt Bonns Gesamtdeutsches Ministerium den Überlebenswillen dahinsiechender Blätter mit monatlichen Geldzuwendungen. So kassiert »Der Kurier« des CDU-Bundestagsabgeordneten Dr. Johann Baptist Gradl jährlich 1,5 Millionen Mark aus allgemeinen Steuermitteln, und Arno Scholz, Herausgeber des »Telegraf«, holt sich jeden Monat einen 40 000-Mark -Scheck in Erich Mendes Ministerium ab.
Die größten Vergünstigungen aber werden dem Hamburger Verleger Axel Springer durch jenes Gesetz zur Förderung der Berliner Wirtschaft zuteil, das der Bundestag 1962 verabschiedete. Von jenen rund 70 Millionen Mark, die Springer in sein neues Verlagszentrum an der Kreuzberger Sektorengrenze investierte, darf er binnen drei Jahren 75 Prozent, das sind 52,5 Millionen Mark, von der Steuer absetzen.
Überdies bekam Springer, dessen Konzern 1964 einen Bruttogewinn von 100 Millionen Mark machte, für die bisher in Berlin angeschafften »beweglichen Wirtschaftsgüter«, so zum Beispiel Druckmaschinen und Büroeinrichtungen, aus Bonn einen Barzuschuß von zehn Prozent aus Steuergeldern.
Neben 20 Prozent Nachlaß auf die Körperschaftsteuer profitiert der Großverleger ebenso wie seine Konkurrenten schon seit vielen Jahren von der Umsatzsteuerbefreiung für jene Druckaufträge, die er für westdeutsche Firmen ausführt. Springers Ullstein-Verlag etwa druckte bis ins vergangene Jahr VW-Kataloge, ohne dafür Umsatzsteuer zahlen zu müssen.
Insgesamt hat der Hamburger Großverleger die Steuerpräferenzen des nicht auf ihn gemünzten Berlinhilfe -Gesetzes weit besser auszunutzen vermocht als seine Berliner Konkurrenten, die mangels Kasse nicht investieren konnten und mithin auch wenig Steuern einsparten.
Um seine Übermacht nicht allzu deutlich werden zu lassen, hatte der Hamburger Konzern bislang in seiner Berliner »Welt«-Ausgabe auf lokale Anzeigen verzichtet. Doch- um die Jahreswende ging das Gerücht um, auch die »Welt« wolle in Berlin lokale Inserate aufnehmen - ein Vorhaben, das die wirtschaftliche Basis der konzernfreien Zeitungen, insbesondere der »Welt«-Konkurrenz »Tagesspiegel«, weiter eingeengt hätte.
Als zum Jahresbeginn der Sturm
aller Berliner Zeitungs-Verleger gegen die TV-Werbung einsetzte, kolportierte der SFB, Springer habe mit der Ankündigung, Berliner Inserate in die »Welt« einzurücken, seine Kollegen zur Attacke auf den SFB gezwungen.
In seinem Fernseh-Kommentar äußerte der SFB-Intendant Walter Steigner die »Sorge, daß hier einem Dirigenten gehorcht wird. Springer befiehl, wir springen«.
Die Not der Berliner Verleger ist dem Hamburger Zeitungsfabrikanten nur vom Hörensagen bekannt. Das Abonnementsblatt »Berliner Morgenpost« allein erzielte im vergangenen Jahr
nicht viel weniger Anzeigenumsatz als der SFB.
Springers »BZ« hat wegen der mächtigen Anzeigenplantagen jeweils zum Wochenbeginn 44 bis 48 Seiten Umfang. Seit 1962 ist der Inseraten-Umsatz der »BZ« sprunghaft angewachsen. »Die Berliner Morgenpost« gar ist an manchen Tagen gezwungen, 72 Seiten zu drucken. Beide Blätter zusammen haben an der gesamten Berliner Zeitungswerbung einen Anteil von gut 70 Prozent.
Trotz der behaupteten ruinösen Konkurrenz des SFB vermochten Springers Berliner Blätter allein ihre Markenartikel-Insertion von sieben Millionen Mark im Jahre 1960 auf zehn Millionen im vergangenen Jahr zu steigern. Das entspricht in etwa dem Verlust, den die übrigen Blätter in Berlin seither erlitten haben. Trotzdem steht auch Axel Springers Name unter jenem Brief an Willy Brandt, in dem die »katastrophale Situation der Berliner Tagespresse« beklagt wird.
Auch vom Auflagenrückgang der Berliner Blätter blieb die Springer-Presse verschont. Die »BZ« vermochte seit dem zweiten Quartal 1961 - dem letzten Erhebungszeitraum vor dem Mauerbau - ihre Auflage um 22 000 zu steigern. Seit 1956 wuchs die verkaufte Auflage der Springer-Blätter um 125 000. Die übrigen Zeitungen dagegen verloren 45 000.
SFB-Intendant Steigner
Bringt die Fernsehwerbung ...
Verleger Springer
... Berlins Zeitungen den Ruin?
Springer-Blätter in Berlin
Zuwachs trotz Mauer
Berliner Zeitungen
Verluste wegen Springer