FERNSEHEN / MENGELE Spur nach Eldorado
Der mürrische Mann im weißen Freizeithemd stutzte, als er die Kamera auf sich gerichtet sah. Dann wandte er sich ab und enteilte.
Den so auf einem Meter Film festgehaltenen Flüchtigen haben Zeugen inzwischen identifiziert -- als den einstigen KZ-Chefarzt Josef Mengele, dem Massentötungen in Auschwitz vorgeworfen werden und den die Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft mit einem Kopfgeld von 50 000 Mark sucht.
Das erste authentische Bilddokument vom flüchtigen KZ-Mediziner wird in dieser Woche auf dem Internationalen Fernseh-Festival in Prag vorgeführt. Es ist das Kernstück des Dokumentarfilms »Die Spur führt nach Eldorado«, mit dem die Tschechoslowakei beim Festival konkurriert.
In Eldorado, einer nordargentinischen, vorwiegend von Deutschstämmigen bewohnten Kleinstadt, war Mengeles Dreieinhalb-Sekunden-Auftritt gefilmt worden. Der brasilianische Journalist und TV-Reporter Adolfo Cicero kam im März letzten Jahres mit einer 16-Millimeter-Mitchel-Kamera zum Schuß -- unter bondesken Umständen.
Cicero hatte eruiert, daß Mengele zweimal wöchentlich mit seinem Motorboot über den Rio Parana nach Eldorado schippert. Am Paraná stoßen, nach Art eines Dreiländerecks, die Grenzen Argentiniens, Paraguays und Brasiliens zusammen.
Am vierten Wartetag legte das Boot an, aber Cicero hatte die Sonne gegen sich, als Mengele mit einer Leibwache an Land ging. Am nächsten Tag erspähte er seinen Filmhelden von einem Taxi aus -- er ließ sich an ihm vorbeifahren und drehte.
Mengele, der in Auschwitz als Selektierer mit Benzin-Injektionen und Menschenversuchen die Heilkunst pervertierte, lebt seit rund 20 Jahren in Südamerika. Er besitzt einen argentinischen Personalausweis mit der Nummer 3 940 484, seit 1959 ist er naturalisierter Paraguayaner; ein Regierungsdekret (Nummer 809 vom 27. November 1959) hat die Einbürgerung autorisiert.
Deutschland stellte mehrmals (erfolglos) Auslieferungsantrag, so 1959 an Argentinien und 1962 an Paraguay. Und wie Martin Bormann gibt Mengele journalistischen Bravados immer wieder Stoff für Reportagen; Adolfo Cicero hat ihn als erster gefilmt.
Das Prager Fernsehen erwarb die Rechte am Meter Mengele und startete im Herbst letzten Jahres eine vierteilige TV-Reihe über den KZ-Arzt; für das Festival fertigten die Autoren, Miroslav Stráfelda und Vlastimil Vávra, nun einen 35-Minuten-Digest.
Stráfelda, der als Korrespondent der tschechoslowakischen Nachrichtenagentur CTX in Bonn und Brasilien arbeitete, sorgte sich vor allem, die Identität des Film-Mengele zu sichern. Er hat inzwischen »rund 100« zustimmende Zeugen-Zeugnisse, so von ehemaligen Auschwitz-Häftlingen, wie dem Tschechen Filip Müller, der das Gaskammer-Sonderkommando überlebte, und dem tschechischen Arzt Dr. Milek, der Mengele in Auschwitz unterstand.
Auch der Interpol-Chef von 550 Paulo, sagt Stráfelda, hat die Filmfigur als Mengele erkannt, und der Eichmann-Jäger und Leiter des jüdischen Dokumentations-Zentrums in Wien, Simon Wiesenthal, sprach zu den Tschechen: »Meine Herren, ich gratuliere. Das ist Mengele.«
Mit einem TV-Team reiste Stráfelda auch ins schwäbisch-bayrische Günzburg, der Geburtsstadt Mengeles und Standort der Landmaschinenfabrik »Karl Mengele & Söhne«. Einer von Karls drei Söhnen ist der flüchtige Josef.
Mit zum Teil versteckten Kameras und Mikrophonen fahndete Stráfelda nach Günzburger Spuren des verlorenen, aber offensichtlich nicht armen Sohnes: Von Nonnen der Liebfrauenkirche erfuhr er, daß die Söhne »in Gottesfurcht« aufgewachsen waren, ein Briefträger nannte die Mengele-Familie »geizig«, und ein Ladenmädchen enthüllte ihm, daß die Mengeles alle Einkäufe im nahen Augsburg tätigten.
Ein Mann in einem »strahlendweißen Mercedes 220 SE« (Stráfelda) wußte mehr: »Wenn man nur auspacken könnte, hören Sie, der verschlingt die ganze Mengele-Ausfuhr nach Südamerika ... das weiß hier bei der Firma jedermann. Und im Hotel »Zur goldenen Traube«, beim siebenten Bier, bekannte ein Bursche. » Der Mengele, der KZ-Lagerarzt, war hier in 59 zum Begräbnis seines Alten.«
Stráfeldas Zweifel an dieser Nachricht zerstreute der Biertrinker: »Fragen Sie mal jedermann hier in Günzburg! Übrigens, meine Mutter hat ihn dabei auch erkannt, und die ist mit ihm zur Schule gegangen.« Vor der Kamera wollte sich der Bursche allerdings nicht wiederholen: »Seid Ihr doof? Ich bin doch Günzburger.« Stráfeldas Erklärung: »Von den 13 000 Einwohnern Günzburgs arbeiten 1400 bei Mengele.«
Mit dem Cicero-Film gastierte Stráfelda sodann heim Frankfurter Generalstaatsanwalt Fritz Bauer und erfuhr: »Wir werden nicht nur Mengeles Auslieferung beantragen, sondern auch unsere eigenen Mittel verwenden, um ihn zu identifizieren.« Ciceros Film hat den unermüdlichen Bauer inzwischen zu »erneuter Aktivität« angespornt; »zumindest ein Zeuge« hat den KZ-Arzt schon wiedererkannt.
In der Ferne gedenkt auch Josef Mengele der Vergangenheit, Sein Motorboot trägt den Namen der Waffen-SS-Division, der Mengele als Hauptsturmführer angehörte: »Wiking«.