WINTEX 71 Staatskrise (Üb.)
Mitten im Dritten Weltkrieg bekam Bundeskanzler Hans Arnold Thomsen Streit mit seinem Obersten Heerführer. Beide wollten kommandieren -- der eine berief sich auf das Grundgesetz, der andere auf militärischen Sachzwang.
Das Grusical spielte Ende Januar im Eifelbunker der Bundesregierung bei Ahrweiler anläßlich des Nato-Planspiels »Wintex 71«. Draußen waren die Manöverfronten geklärt, die »Spannungszeit« abgelaufen. Übungskanzler Thomsen, sonst Ministerialdirektor für Zivilschutz im Bonner Innenministerium, hatte den »Verteidigungsfall« ausgerufen.
Gemäß Artikel 115 b des Grundgesetzes ging damit der Oberbefehl über die Bundeswehr vom Verteidigungsminister auf den als »Bundeskanzler (üb.)« titulierten Thomsen über. Doch noch am gleichen Tage meldete sich bei Thomsen Generalinspekteur Ulrich de Maizière, Wintex-Chef für den deutschen Nato-Bereich und in der Übung -- wie in Wirklichkeit -- Bonns oberster Soldat.
Maizière -- oder »Maizière (üb.)« -- verlangte vom Manöverkanzler, er solle die gerade erlangte Befehlsgewalt umgehend an den »Verteidigungsminister (üb.)«, den Ministerialdirektor Ernst Wirmer aus Helmut Schmidts Ministerium, rück-delegie-
* Bei Ahrweiler in der Eifel.
ren. Bislang, so Maizière, sei das immer geschehen. Der General später: »Ich kenne die Frage, seitdem es die Verfassung gibt, das Problem ist bei jeder Fallex-Übung überspielt worden -- und mit Recht.«
Thomsen, von Manöver-Veteranen präpariert, lehnte ab und verwies auf seinen ehemaligen CDU-Amtschef Paul Lücke, der 1966 als Manöverkanzler ebenfalls die Selbstentmachtung verweigert hatte. Schlimmer noch: Der abgeblitzte General wurde vom »Vorgesetzten (Üb.)« Thomsen angewiesen, sogleich für eine tägliche Kanzler-Lagebesprechung und laufende Unterrichtung der Regierungszentrale zu sorgen.
Maizière übte Protest. Der Führer der technisch hochentwickelten Bundeswehr meinte, im Verteidigungsfalle sei eine ständige Verbindung zum Kanzleramt technisch zu kompliziert.
Thomsen ("Ich habe Wert darauf gelegt, meinen Standpunkt durchzusetzen") blieb standhaft. Zwar wollte er die Einwände des Generals »in seinem Herzen bewegen«, doch sei die Technik wohl kein ernsthaftes Problem, im übrigen auch kaum ein Kriterium. Immerhin gehe es ums Grundgesetz. Thomsen hinterher: »Ich stand mit beiden Beinen auf der Verfassung.«
Nach diesem Auftritt wurde dem Kanzler-Darsteller unheimlich in seiner Rolle. Um sich bei seinem zivilen Widerstand gegen einen Vier-Sterne-General abzusichern, ließ er seinen »Chef des Kanzleramtes (Üb.)«, den Brigadegeneral und Militärexperten des Palais Schaumburg, Dr. Johannes Gerber, beim wirklichen Amtsinhaber Horst Ehmke anrufen. Thomsen zu Gerber: »Sie kennen ihn doch.«
Brandts Hausmeier ließ Thomsen und Gerber ins Kanzler-Palais kommen und Vortrag halten. Ehmke entschied: »Der Helmut ist gerade Im Hause, da wollen wir ihn doch einfach fragen.«
Die echten Minister Helmut Schmidt und Ehmke entschieden schnell: Der Oberbefehl müsse im Krieg selbstverständlich verfassungsgemäß beim Kanzler bleiben. Schmidt: »Ehmke und ich waren uns völlig einig.« Staatsrechts-Professor Ehmke: »Helmut und ich waren uns in einer Minute einig.«
Der SPD-Verteidigungsminister kann sich vorstellen, wie reibungslos verfassungsgemäßes Regieren im Krieg sein könnte: »Wenn das Brandt und Schmidt beträfe, dann würde der Kanzler natürlich jeden Tag eine Lagebesprechung veranstalten und den Schmidt dabeihaben. Und im übrigen würde er sagen: »Nun siegt mal schön.«
General de Maizière indes, der für den Rest von Wintex 71 den Kanzler-Teil des Eifel-Stollens mied, ist weiterhin der Meinung, daß die Frage des Oberbefehls im Kriege »nicht in erster Linie eine juristische ist«. Der Generalinspekteur scheint das Grundgesetz im Kriegsfall eben nur für bedingt anwendbar zu halten: »In dieser Übung ist eine Regelung getroffen worden, aber das muß im Ernstfall nicht so sein.«