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Briefe

Staatstragend?
aus DER SPIEGEL 11/1972

Staatstragend?

(Nr. 8/1972, SPIEGEL-Gespräch mit dem Berliner Senator Stein und Frau von Brentano)

Mit großem Interesse habe ich Ihr SPIEGEL-Gespräch mit Frau von Brentano und Senator Stein gelesen. Hier zeigt sich wieder, daß eine alte sozialdemokratische Tradition bis heute weiterwirkt: man gibt sich bewußt staatstragend an der falschen Stelle.

Berlin GÜNTER KLOSE

Wenn sämtliche am Gespräch Beteiligten Scheuklappen tragen, kann wohl nicht viel dabei herauskommen. Das Ganze krankt doch daran, daß die Lehrkräfte Staatsbeamte sind und infolgedessen der Staat die Freiheit der Lehre behindert. Das ist eigentlich unglaublich in einem Lande, in dem Schiller seinen Don Carlos schrieb.

Brüssel ADOLF TIARKS

Als einer der »Väter« des Grundgesetzes, der seinerzeit besonders an der Formulierung der Grundrechte mitgearbeitet hat, kann ich die Ansicht von Frau von Brentano stützen, daß nach dem Grundgesetz »der Wissenschaftler als Person an die Verfassung gebunden ist, nicht aber der Inhalt seiner Wissenschaft«. Wir haben uns in der Tat gehütet, »zu definieren, wie Wissenschaft inhaltlich sein soll«.

Der nach Garantie der »Lehrfreiheit« am Schluß des Artikels 5 stehende Satz: »Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung« hatte während der Beratungen des Parlamentarischen Rates ein wechselvolles Schicksal. Er war umstritten, ist mehrfach gestrichen und wieder eingefügt worden. Heuss zum Beispiel erklärte es für unerträglich, eine Mißtrauensaktion gegen einen einzigen Beruf »verfassungsmäßig zu verankern«. Aber auch er hielt das Mißtrauen nach den Erfahrungen in der Weimarer Republik für »an sich berechtigt«. Die Befürworter des Satzes erklärten in verschiedenen Sitzungen, natürlich müßten juristische Dozenten das Recht haben, an der Verfassung Kritik zu üben -- so schon bei der ersten Erörterung von Mangold (CDU) und ich (SPD). Carlo Schmid sagte vor der letzten Abstimmung, der Satz sollte Kritik am Grundgesetz und an den Prinzipien, auf denen es beruht, unter keinen Umständen ausschließen; er solle aber eine hinterhältige Politik verhindern, die die Demokratie und ihre Einrichtungen nicht kritisiere, sondern verächtlich mache. -- Dies waren Motive für die Annahme des Satzes in der Plenarsitzung am 6. Mai 1949 mit 34:31 Stimmen.

Die entscheidende Bestimmung des Grundgesetzes in dieser Frage steht aber gar nicht im viel bemühten Artikel 5, sondern auf eine Anregung von mir im Artikel 18 (Verwirklichung von Grundrechten). »Wer ... die Lehrfreiheit ... zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirkt diese Grundrechte. Die Verwirkung und ihr Ausmaß werden durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen.« Das kann also nur das BVG, nicht etwa ein Kultusminister oder Universitätspräsident. Bleibt die Frage: Warum dann überhaupt der letzte Satz in Artikel 5? Mitglieder des Grundsatzausschusses jedenfalls meinten, daß ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht lange dauern könne und eine rasche Abwehrmaßnahme möglich sein sollte, gegen die der Betroffene natürlich die üblichen Rechtsmittel einlegen könnte. Die letzte Entscheidung steht nur dem Bundesverfassungsgericht zu. Auch dieses Gericht kann aber natürlich über wissenschaftliche Inhalte nicht entscheiden.

Berlin FRITZ EBERHARD*

Die Forderung nach Wissenschaftspluralismus ergibt sich aus dem Verständnis von Wissenschaft.

Münster RUPRECHT POLENZ

Gibt es denn keine dogmatischen, das heißt zur Selbstkritik unfähigen »Marxisten« an der FU und keine von »Marxisten« veranstalteten »Bibelstunden«? Wird Ernest Mandel in dieser Situation undifferenziert als »Marxist« bezeichnet, so scheint dies für seine Berufung wenig hilfreich.

Berlin DR. HELLMUTH BÜTOW Professor für Soziologie an der FU

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