SCHWEIZ / AFFAÄREN Stadt am Strom
Polizeikorps aus vier eidgenössischen
Kantonen schwärmten aus, um einen Professor zu verhaften, den der Paneuropäer Richard Graf Coudenhove -Kalergi vor Jahren in einer Laudatio als »dreidimensionale Persönlichkeit« gepriesen hatte.
In der dritten Dimension war der Altphilologe Professor Dr. Walter Will, 66, vom Wege der Wissenschaft abgeirrt. Er gedachte als moderner Städtegründer in die Geschichte einzugehen. Jetzt streiten sich die Untersuchungsbehörden mit seinen Anwälten darüber, ob der gelehrte Vergil-Interpret als Betrüger im Gefängnis oder als Geisteskranker im Park einer privaten Heilanstalt seine Tage beenden wird. Unentwegt glaubt der Professor, daß er wie Vergils Äneas eine große Mission zu erfüllen hat*.
Diese Idee reifte in ihm schon vor Jahrzehnten, als er am »Lyzeum
Alpinum« in Zuoz reiche Bürgersöhne unterrichtete. Damals eroberte er die verwitwete Mutter eines seiner Lateinschüler - die schöne Helena von Kapff. geborene Franck - im Sturm. Mit der Heirat wurde er in die Industriellen-Familie Franck aufgenommen, die einen stattlichen Lebensmittelkonzern besitzt.
Eine Zeitlang befriedigte Will seinen Ehrgeiz mit Vorlesungen an der Berner Universität, die ihn 1933 als außerordentlichen Professor für lateinische Philologie berufen hatte. Aber dann zog es ihn zum Kapitol des Franck -Konzerns. Er schaltete dort im Vorstand auf altrömische Art, bis ihn die Verwandtschaft nach heftigen Differenzen mit sechs Millionen Franken bar und zwei Millionen in Sachwerten verabschiedete.
Um der Sippe seine verkannte Manager-Tüchtigkeit zu beweisen, eröffnete er 1957 die Investment Bank Zürich und erwarb 1,2 Millionen Quadratmeter unerschlossenes Gelände vor den Toren Montreals, wo auf dem Südufer des Sankt-Lorenz-Stroms ein neuer Stadtteil entstehen soll. Dann gründete er den Montreal-Immobil-Anlagefonds (Montim) und gab auf das Bauland Zertifikate aus, die in der Schweiz und in Westdeutschland schnell Absatz fanden und ihm rund zehn Millionen Mark einbrachten.
Wilis Grundstücks-Spekulanten sollten nach fünf bis sieben Jahren ihr Geld mit hohem Gewinn zurückerhalten. Inzwischen wollte der Professor das Land parzelliert zu Höchstpreisen weiterverkaufen und sich selbst als Baulöwe betätigen. Vorsorglich organisierte er in der Schweiz einen Baukonzern. Der Eidgenosse hatte ein Patent für die Herstellung neuartiger Quadern erworben, die ohne Mörtel aufeinandergeschichtet werden. Sobald ein Stockwerk steht, wird Beton in die Hohlkanäle gegossen, die vertikal durch alle Steine laufen. -
Plan und Wirklichkeit paßten aber schlecht aufeinander. Will geriet mit der Rückzahlung der Fonds-Beträge in Verzug, denn niemand wollte seine kanadischen Bauparzellen kaufen.
Um das Tief zu überbrücken, jagte Will in Israel einer Fata Morgana nach. Ein phantasiebegabter Fabrikant aus Tel Aviv, Berei Ranani, hatte ihm die Idee eingegeben, mitten in der Negev -Wüste eine neue Stadt zu bauen. Ranani projektierte gleich mehrere Fabriken, die im Gelobten Land Wilis Patentbausteine am Fließband produzieren sollten, und stellte in Aussicht, daß sich der Staat an den Betrieben beteiligen werde.
Der Professor gab seinem neuen Freund eine Million Mark Kredit in Wechseln, nachdem ihm der Mann aus Tel Aviv eine Millionenforderung an die Lloyds-Versicherung abgetreten hatte. Die Zession erwies sich aber als wertlos; der hochverschuldete Israeli hatte den Eidgenossen hereingelegt.
Kurz darauf geriet Wili wegen seines Montim-Abenteuers in Schwierigkeiten. Der Berliner Steuerberater und Diplom kaufmann Dr. Fritz Götte erstattete bei der Staatsanwaltschaft Bern Anzeige wegen Betruges, Untreue und arglistiger Täuschung. Er hatte einer kleinen deutschen Geldanleger-Gruppe die Montim -Zertifikate wärmstens empfohlen und auch selbst Wilis Papiere gekauft. Als der Berliner nach acht Jahren schwer enttäuscht die ertraglosen Scheine abstieß, verlor er über die Hälfte des investierten Geldes.
Die Züricher Bezirksanwaltschaft fahndet jetzt nach neun Millionen Schweizer Franken, die der kühne Professor bei dem Zertifikat-Verkauf verdient hat. Er erwarb das kanadische Terrain für rund 2,3 Millionen Franken, verkaufte aber die Zertifikate des Montim-Fonds für 11,4 Millionen.
Seit der Verhaftung ihres Oberhauptes überlegt die Familie Wili, wie sie den Rest ihres Vermögens retten kann. Frau Helena erwog, ihrem Gatten einen Psychiater in die Untersuchungszelle zu schicken, dessen Gutachten den Professor vielleicht vor dem Strafrichter bewahren wird.
Städtegründer Wili
Geschäfte in der dritten Dimension
* Nach Vergil wurde Rom von dem Trojaner Äneas gegründet, dem in Italien noch weitere Pioniertaten zugeschrieben werden.