Zur Ausgabe
Artikel 75 / 90

Briefe

STADTBILD
aus DER SPIEGEL 43/1966

STADTBILD

Die Berliner Story habt Ihr herrlich hingekriegt. Ihr habt, verdammt noch mal, nichts lokalpatriotisiert, nichts vergessen, nichts zweckverschwiegen oder verniedlicht. Für den dabei aufkommenden bitteren Mandelnachgeschmack, ja dafür können Sie wirklich nicht. Soviel Puderzucker gibts im ganzen Hamburger Pressehaus nicht, um den zu übertönen. - Nicht einmal für hochprozentige SPIEGEL-Käufer. In West -Berlin.

Berlin W. K. G. MOEBES

Mit Deinem Bericht hast Du Tabus in die Spree geworfen und gewisse Klischeevorstellungen berichtigt. Dies dankt Dir ein noch junger Berliner.

Berlin LUTZ MEERLENDER

Wenn's auch manchmal ein bißchen bitter geschmeckt hat: Danke schön!

Berlin HOLGER HÜBNER

Anläßlich der Lektüre der Titelgeschichte fiel mir die Bemerkung meines alten Deutschlehrers ein: »Gute Sachen soll man loben, auch wenn sie nicht von einem selbst sind.«

Berlin JÜRGEN ENGERT

Nachdem ich soeben mit der Lektüre Ihres Berlin-Aufsatzes fertig bin, bedauere ich mich selbst. So abgestorben ist also der Ast, auf dem ich sitze! Wissen Sie, ich bin 31 Jahre alt, hier geboren und habe viele Verwandte und Bekannte, auch im Osten. Den Gesamteindruck, den Sie vermitteln, hat keiner von uns.

Berlin RUDOLF FECHNER

Während Ihr Artikel über Berlin, ohne die Schwierigkeit etwa zu unterdrücken, in der sich Berlin befindet, die geistigen Möglichkeiten und die Spannung, die sich in dieser Stadt manifestieren, in glänzender Weise zum Ausdruck bringt und damit die Möglichkeit der positiven Aufrechterhaltung dieses Wartezustandes anspricht, zerstören Sie mit der Preisgabe der ursprünglichen Fassung »Stirbt West-Berlin?« die in Ihrem Artikel zumindest offen gelassene politische positive Entscheidung.

Berlin DR. DIETRICH WEYERMANN

HERZLICHEN DANK FÜR DEN AUSGEZEICHNETEN ARTIKEL ÜBER BERLIN. WAS NOCH FEHLT, IST DIESES: MINUTENANDACHTEN IN DER KAISERWILHELMGEDÄCHTNISKIRCHE UND DER TELETROST UNTER DER FOLGENDEN NUMMER

6 87 66 66. ERST DANN IST BERLIN EINE REISE WERT.

Berlin HEINRICH GIESEN

Pastor

Der devisenbringende Tourismus aus der Provinz ist für Berlin sicher als willkommen zu bezeichnen. Aus guten Gründen aber sollte die Presse zum Beispiel Lokale wie »Why not«, »Dicke Wirtin« und so weiter verschweigen. Denn das Publikum das sie mit ihren Berichten über sie anlockt, zerstört einfach jede Atmosphäre. Diese westdeutschen Rudel, in mustergültige Konfektion gehüllt, aus hohlen Köpfen gaffend, vermiesen einem die nächtlichen Freuden in Berlin regelrecht vollständig.

Berlin CLAUS-H. KORTH

Daß Sie das »Why not« anpreisen, zeigt, daß Ihr Redakteur noch nie in einer richtigen Weltstadt war; denn an dem Lokal ist nun wirklich nichts Besonderes.

Berlin PETER H. VOGEL

Die westdeutschen Arbeitnehmer, die zur Zeit in Berlin beschäftigt sind, stellen ein ernstes und zugleich kurioses Problem dar. Schon fast drei Jahre befinde ich mich in diesem riesigen Provinznest. Wenn man hier tatendürstig ankommt und glaubt, freudig empfangen zu werden, dann irrt man gewaltig. Vorher glaubte ich an den Slogan: »Berlin braucht jede Arbeitskraft.« Doch dann wird man leicht irritiert durch Fragen, wie: »Was wollen Sie eigentlich hier?« - Wenn man die Deutschen nach ihrer politischen Mentalitat aufgliedern würde, dann gäbe es wirklich drei deutsche Staaten. Hier denkt und handelt man anders. Die Westdeutschen leben hier isoliert und unter sich. Wenn man als Hamburger mit der U-Bahn fährt und hört zwei Bayern ihre Mundart pflegen, dann freut man sich darüber, als wären es heimatliche Klänge.

Berlin H. KARSTEN

Als Berliner, der seit einem halben Jahr in Dortmund lebt, habe ich einigen Abstand von der Frontstadt und muß Ihnen wohl oder übel zustimmen in Ihrem kritischen Bild.

Wichtig erscheint mir ein Satz, in dem Sie Berlin welthaltiger als jede westdeutsche Stadt bezeichnen. Das kann man nur unterstreichen. Viele »Großstädte« hier im Rumpf-Deutschland sind in ihrem Habitus tiefste Provinz. Das Gegenteil macht Berlin so anziehend für junge Menschen, nicht nur die gewonnene Wehrdienstzeit. Wo gibt es so viele Theater, Opern, Bildungsmöglichkeilen? Trotz Ihrer Schwarzmalerei gehen von, Berlin doch noch viele Impulse für Deutschland und die Welt aus. Leider nicht im Fußball, dafür aber bestimmt in der »Umgangssprache«.

Dortmund MANFRED MÜLLER

Einem in dieser Stadt geborenem und großgewordenern ist es fast schmerzlich, zu Ihrem Berlin-Artikel dreimal »ja« sagen zu müssen.

Wahrheiten sind ja nie bequem, aber es war und ist schon lange Zeit, dieser Pseudo-Berlinromantik mit traurigem Mauerblick und anschließendem Kurfürstendammbummel einmal mit klaren Tatsachen in das Gesicht zu sehen. Eine dieser Tatsachen ist die immer mehr in das Auge springende Vergreisung. Dieses Heer alter Damen bewohnt die schönsten und größten Wohnungen in den alten traditionellen Wohnvierteln von West-Berlin - vermietet für fast Wucherpreise die für sie überflüssigen Räume und blockiert mit alten erworbenen Rechten die Vergabe von Telephonanschlüssen für dringendere Aufgaben wie Kaffeeschwätzchen.

Jedem Menschen sei der geruhsame Lebensabend gegönnt - nur, gibt es wirklich an diesem Nervenstrang, zwischen Ost und West dafür keine anderen Wohnformen wie diese mit parasitärer Garnierung?

Frankfurt

GOTTFRIED GERHARD BOUVAIN-SCHLEGEL

Wenn man als professioneller Provinzler, Stunde um Stunde auch mit der Zonengrenze konfrontiert, und als Beute-Bayer (wir Franken sind nun mal keine Bayern) nach bestem Wissen und Gewissen einen Vergleich zwischen der heimlichen und der unheimlichen Hauptstadt anstellt, dann fällt, dieser zugunsten von Berlin und der Berliner aus, denen ich eine schier unnachahmliche Originalität im deutschen Stammes-Eintopf bescheinigen muß.

Hof (Bayern) ERICH ROHLEDER

Der Berlin-Report war erste Klasse, ein Liebeslied ohne Schmalz, Sentimentalität und Pathos, dennoch voller Wehmut und Sehnsucht nach der Vergangenheit, die man sich als Zukunft wünscht.

München WERNER A. FISCHER

ICH DANKE IHNEN FÜR IHREN BERLIN-AUFSATZ.

z. Z. Lissabon BALDUIN BAAS

Ein Bravo dem SPIEGEL für seine Berlin-Nummer und Schmach und Schande auf das patriotische Gefühl der Westdeutschen für ihre frühere Reichshauptstadt, die aber immer schon einen Spießer-Tick ihr eigen nannten und die geistige Ausstrahlung dieser Stadt nie begriffen haben.

Niederhöchstadt (Hessen) ERIKA LAUE

Sie beklagen, daß kein Inder im Burnus durch die Stadt gehen könne, ohne von Gaffern verfolgt zu werden. Nun ist der arabische Burnus für einen Inder ein ebenso typisches Kleidungsstück wie etwa ein Baströckchen für einen Eskimo oder ein Frack für einen Amazonas -Indianer. Die erstaunte Reaktion der Berliner auf derart verfremdete Exoten ist also nicht ganz unverständlich.

Letter (Nieders.) MANFRED RÖMERMANN

Weltstadt Berlin? Dort gaffen die Leute genauso hinter den wenigen Mädchen in Miniröcken her wie in Pinneberg; und Leute, die in Kudammlokalen Hummercocktail essen oder Birnen flambieren lassen, werden bestaunt wie Exoten.

München JÖRG ROTH

Nichts entlarvt die wehmütig stimmende Belanglosigkeit der heutigen Stadt rücksichtsloser als der rührend-tapfere Temperamentausbruch gegen »westdeutsche Boofkes« und Münchens »unbedarften Aufhupferl-Sex«.

Gütersloh HANS RAUSCHNING

Wenn Du mich schon zitierst, dann bitte im Zusammenhang und nicht verstümmelt. Das sentimentale plus selbstironische plus optimistische Berlin-Gedicht aus meinem Buch »Zwischen sämtlichen Musen« lautet wie folgt: Auch ich bin so ein ewiger Berliner.

Am Alexanderplatz war ich zu Haus

und zog dann wie die meisten Geldverdiener

entwurzelt nach dem »Goldenen Westen« aus.

Der Vater liegt in Ost-Berlin begraben,

nicht weit vom letzten Dichter Bertolt Brecht

Der Osten soll auch meine Asche haben,

dafür hab ich im vorhinein geblecht.

Ich hab den Draht mit Stacheln nicht erfunden

Ich lieb noch immer den Gendarmenmarkt

und diese Haupt-Stadt voller Blut und Wunden,

auch wenn mein Auto falsch (im Süden) parkt.

Die Reste von Berlin: mir sind sie lieber

als selbst die funkelndste Provinz ...

Auch Haß wird bloß ... Es gibt kein Dauer -Fieber,

und kein Dornröschen gibt es ohne Prinz.

(Falls Sie nicht märchengläubig sind ich bin's.)

Montreux (Schweiz) GÜNTHER SCHWENN

Sicher kann Berlin nicht hoffen, die Hauptstadt von Deutschland zu werden, da die Männer von Bonn in den Begriffen von 1866 denken und handeln. Aber genauso, wie die Hauptstadt von USA, Washington, auf dem separaten »District of Columbia« liegt, kann Berlin im Jahre 2066 die Hauptstadt der »Vereinigten Staaten von Europa« werden.

Montagnola (Schweiz) DR. KURT KAUFFMANN

Berlin-Titel

Zur Ausgabe
Artikel 75 / 90
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren