Zur Ausgabe
Artikel 22 / 79

ZEITSCHRIFTEN Ständiges Getriebensein

Die Zeitschrift »Warum!« läßt alle Welt von Psychologen zergliedern. Konflikte scheinen unausweichlich -- das Blatt analysiert das Triebleben von Prominenten.
aus DER SPIEGEL 30/1976

Einmal im Monat kommt ganz Deutschland auf die Couch: Warum Pop-Art, Wasserski oder farbige Unterwäsche nicht mehr »in« sind, warum Lehrer schöpferisch begabte Schiller zu schlecht benoten, warum in Bayern mehr geflucht und gerauft wird als in Norddeutschland alles Fragen, über die eine neue Psychologie-Zeitschrift grübelt. Hefttitel: »Warum!«

Das in Hamburg erscheinende Seelenblatt befaßt sich mit gefallenen Mädchen wie gestürzten Größen. fragt starke Männer nach heimlichen Ängsten, Feministinnen nach Penisneid aus. Und Bonner Politik wird nicht an der Verfassung der Republik gemessen. sondern auf die innere Verfassung der Macher abgeklopft: des Kanzlers Helmut Schmidt. der »auch einmal inkonsequent und opportunistisch« wirkt. und seines Rivalen Helmut Kohl. der zur »Kumpanei-Atmosphäre« und »zum Renommieren« neigt. Bei Herbert Wehner zeigen sich »Gedrücktheits-Merkmale« (ein Graphologe). bei Franz Josef Strauß »ständiges Getriebensein«, wie es »ein im psychodiagnostischen Sinn angstfreier Mensch« nicht kennt (ein Psychotherapeut).

Das Konzept, Psychologisches in einer Zeitschrift erstmals als durchgän-

* Abtransport eines falsch geparkten Autos.

gige journalistische Methode anzuwenden, entwickelte der Hamburger Journalist Adolf Theobald, einst Gründer von »Capital« und »Twen«.

Mit der »Beschreibung dessen, was den Trieb eines Menschen ausmacht«, glaubt er, seinen Lesern »eine ungewohnte, aber wichtige Information« zu bieten -- nicht anders, als wenn »ich sein Gesicht beschreibe«. Auch das geschieht bisweilen; in der Juli-Titelgeschichte ("Was Genschers Gesicht verrät") zeigen Photos des Bonner Außenministers etwa ein »fettes, zotiges Lachen. seelische Aktivität auf dem Eis; Triebimpuls«. Bilderklärung: »Hier lacht Genscher über Strauß.«

Vom Erfolg seiner Monatsschrift

das seit letztem Herbst erscheinende Blatt steckt mit 30 000 Auflage noch in den roten Zahlen -- ist der Verleger so überzeugt, daß er sie aus seinem Privateinkommen bezuschußt: Auf seine Monatsbezuge als Fachberater für Planung und Entwicklung beim Verlag Gruner+Jahr ("Stern«, »Brigitte«, »Capital") stellt er allmonatlich Schecks fürs eigene Blatt aus.

Sanguiniker Theobald baut darauf, daß Ressentiments gegen Seelenkundliches -- »Warum!": »80 Prozent aller Männer gehen lieber zugrunde als zum Psychotherapeuten« -- langsam schwinden. Doch Schwierigkeiten des Metiers machen nicht nur den Verkäufern der Zeitschrift (Preis:

2,50 Mark) zu schaffen, sondern auch deren Verfassern -- und das ganz ungeahnt.

Denn es stellte sich heraus, daß manches. was den Blattautoren journalistisch attraktiv erscheint, juristisch problematisch ist. Es geht um die Psyche als Rechtsgut, um den Schutz der Intimsphäre, die zum blattspezifischen Handikap geworden ist -- zumal bei ausführlichen Personenanalysen, die das Blatt zunehmend über prominente Zeitgenossen veröffentlicht. Hier »muß durch sorgfältige Güterabwägung ermittelt werden«, gutachtete die Hamburger Rechtsanwältin Juliane Huth für »Warum!«, »wo die Grenze zwischen Persönlichkeitsschutz und Pressefreiheit im Einzelfall verläuft«.

Bislang ließ sich die Grenze noch meiden. Die Redaktion sicherte sich durch Genehmigungen für den Abdruck von Analysen; die Reue kam manchen Analysierten zu spät. So ließ der Frankfurter Top-Personalberater Maximilian Schubart, obwohl ihn seine Psychoanalytikerin Margarete Mitscherlich vor der »Warum!«-Veröffentlichung gewarnt hatte, ein auf ihn gemünztes Freud-Zitat durchgehen: »Er findet seine Liebesobjekte auf dem Wege des Narzißmus« -- nach dem Vorbild jenes Griechenjünglings Narzissus, »dem nichts so wohl gefiel wie das eigene Spiegelbild«.

Und in einem -- für September geplanten. bereits fertigen -- Porträt des Akupunktur-Apostels Manfred Köhnlechner zitiert »Warum!«-Psychologe Knut Hebert, 47, beziehungsvoll aus einem psychologischen Standardwerk: »Der schizoide Angsttyp streckt nur vorsichtig seine Kontaktfühler auf die Welt hin aus.« Psychologen-Hasser Köhnlechner hatte beispielsweise Themen wie Kindheit, Ehe, Sex beim 20-Stunden-interview ausgespart.

Dafür sprach der Nadelstecher, einst Bevollmächtigter bei Bertelsmann in Gütersloh, Lebensregeln in politischer Verbrämung aufs Band: »Unter der Voraussetzung einer absoluten Mehrheit und der vollen Rückendeckung des Bundeskanzlers« würde er als Finanzminister rigoros Milliarden sparen -- ein geläufiges Erfolgsschema ("Mit starker Rückendeckung hart durchgreifen"), »das pausenlos neue Freunde schafft«, so Hebert.

Es ist nicht gerade die Creme, von der bislang Zusagen für künftige »Warum!«-Porträts vorliegen, sondern ein ohnehin publicityfreudiges Völkchen: Phantast Erich von Däniken, Lautsprecher Dieter ("Thomas") Heck oder Entertainer Joachim Fuchsberger.

Doch auf die Dauer hält Theobald, der um der Bewertungsfreiheit willen künftig am liebsten auf die Textgenehmigungen verzichten würde, juristische Kollisionen für kaum vermeidlich -- zumal es den schreibenden Psychologen an Markierungen für die Grenzen des Erlaubten fehlt. »Das Problem ist völlig neuartig«, fand Juristin Huth heraus, »es gibt keinerlei Grundsatzentscheidungen zu diesem Thema.«

Zur Ausgabe
Artikel 22 / 79
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren