STAATSSEKRETÄRE Stander für sieben
Im Kriege kämpften sie gegeneinander, seit vorletzter Woche arbeiten sie miteinander -- Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger, 63, und sein neuer Parlamentarischer Staatssekretär Karl Theodor Freiherr von und zu Guttenberg, 45.
Der junge Rechtsanwalt Kiesinger war im Zweiten Weltkrieg als Hilfsreferent in das Berliner Auswärtige Amt dienstverpflichtet und diente dem Goebbelsschen Reichsrundfunk als stellvertretender Abteilungsleiter. Der junge kriegsgefangene Kavallerie-Offizier Baron Guttenberg volontierte auf der Gegenseite bei der britischen Propaganda-Station »Soldatensender Calais« mit Anti-NS-Berichten und Kommentaren.
In der Berufung seines einstigen Kriegsgegners Guttenberg in das Kanzleramt erblickt Kiesinger nun einen weiteren Symbolakt der Aussöhnung des deutschen Volkes mit sich selbst und seiner Vergangenheit.
An die Seite des Entspannungs-Kanzlers Kiesinger tritt mit Guttenberg ein Mann, der sich in zehn Jahren Bonner Politik einen Ruf als krasser Konservativer, als Abendländler, Kalter Krieger, Gaullist und Gegner jeder diplomatischen Öffnung gegenüber dem Osten zu verschaffen wußte.
Der fränkische Baron ist zwar nur einer von sieben Bundestagsabgeordneten, die das Kiesinger-Kabinett mit Beschluß vom Mittwoch vorletzter Woche in den faktischen Rang von Junior-Ministern erhob, wenn sie auch formell nur den Titel »Parlamentarischer Staatssekretär« tragen. Der Platz im Kanzleramt, wo die Richtlinien der Politik bestimmt werden, verleiht dem schnauzbärtigen Reichsfreiherrn -- er residiert im einstigen Dienstzimmer des Adenauer-Kanzleichefs Globke -- jedoch automatisch den Rang eines Primus inter pares«.
Außer dem CSU-Mann Guttenberg wurden aus der SPD-Fraktion berufen:
* Gerhard Jahn, 39, Rechtsanwalt aus Marburg, zu Willy Brandt in das Auswärtige Amt,
* Klaus Dieter Arndt, 40, der als Volkswirtschaftler aus der Schule seines Ministers, Professor Schiller, hervorging, in das Wirtschaftsministerium,
* Holger Börner, 36, der wie sein Minister Georg Leber als Bauarbeiter anfing, in das Verkehrsministerium.
Aus der Christdemokraten-Fraktion wurden entsandt:
* Ernst Benda, 42, Rechtsanwalt aus Berlin, als renommierter Notstandsexperte in Paul Lückes Innenministerium,
* Albert Leicht, 45, Oberregierungsrat aus dem pfälzischen Germersheim, in das Finanzministerium des Franz-Josef Strauß und
* Eduard Adorno, 46, Diplomlandwirt und Hopfenbauer aus dem schwäbischen Tettnang, in das Verteidigungsministerium.
Ohne Bedenken wegen ihres noch ungeklärten Rechtsstatus waren die SPD-Junioren schon Ende vorigen Jahres bei Bildung der schwarz-roten Koalitionsregierung zugleich mit ihren Ressortministern in die neuen Amtsstuben eingezogen.
Ihre christlichen Kollegen hingegen besetzten erst in diesen Tagen, nach formeller Ernennung, die bereitstehenden Schreibtische. Dabei war die über viermonatige Ladehemmung bei den Christdemokraten nicht zuletzt durch den Streit um die Person des CSU-Barons Guttenberg verursacht.
In der langen, entscheidenden Koalitionsnacht vom 29. auf den 30. November vorigen Jahres (SPIEGEL 50/ 1966), in der die schwarz-roten Unterhändler bis gegen drei Uhr morgens in der Bonner Berlin-Vertretung beisammensaßen, war auch die Idee geboren worden, die neue Regierung mit Ministergehilfen neuer Art zu bestücken, die als »Parlamentarische Staatssekretäre (Staatsminister)« firmieren sollten.
Während Kiesinger laut überlegte: »Für das Kanzleramt müßte es ein CSU-Mann sein«, machte der quicke CSU-Boß Strauß sogleich einen Personalvorschlag: »Guttenberg.«
Damit steuerte Strauß das politische Ziel an, seinem Gegner Schröder -- dem beim Koalitionshandel das Verteidigungsressort zufiel, aus dem Strauß nach der SPIEGEL-Affäre verdrängt worden war -- ein entscheidendes CSU-Gegengewicht anzuhängen. Denn -- so kamen Strauß und Kiesinger damals überein -- das Ministerium Krone, dem bis dahin der Vorsitz im Bundesverteidigungsrat und damit die Koordination aller Sicherheitsmaßnahmen oblag, sei aufzulösen. Dem Koordinierungsauftrag könne sich der Freiherr zu Guttenberg als Staatsminister im Kanzleramt widmen.
Dieses glatte Kalkül stieß jedoch auf heftigen Widerstand -- ausgerechnet in der eigenen bayrischen CSU.
Die Christsozialen machten in harten internen Auseinandersetzungen eine Liste von Bedenken gegen den Baron auf. Vor allem sei er von Natur eher ein Einzelgänger und daher ungeeignet, für gute Verbindung zwischen Kanzler und Fraktions-Mannen zu sorgen. Überdies fehle ihm die nötige Loyalität gegenüber der Partei.
Den CSU-Einwänden lag die Erinnerung zugrunde, daß Guttenberg während der SPIEGEL-Krise Ende 1962 auf eigene Faust Fäden zu SPD-Wehner geknüpft und schließlich -- im Auftrag des damaligen Bundeskanzlers Adenauer -- formell über die Bildung einer Regierungskoalition mit den Sozialdemokraten verhandelt hatte, ohne seinen eigenen CSU-Parteifreunden auch nur ein Wort zu sagen.
Kanzler Kiesinger jedoch wollte von derlei Bedenklichkeiten nichts hören. Vergebens marschierte CSU-Landesgruppenvorsitzer Stücklen zweimal ins Palais Schaumburg und bot andere CSU-Leute -- den ehemaligen Justizminister Jaeger, den Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses Friedrich Zimmermann, den ambitionierten jungen Juristen Walter Althammer und die Vizepräsidentin des Bundestags Maria Probst -- als besser geeigneten Ersatz an.
Kiesinger blieb hart: »Ich will Guttenberg oder keinen.« So erlahmte schließlich der CSU-Widerstand gegen den Adelsmann.
Auch den langwierigen Status-Streit im Bundestag darüber, ob man den Ressort-Junioren ihrer Autorität zuliebe nicht doch den schlichten Titel Minister zubilligen solle, beendete der Kanzler mit einem Machtwort. Kiesinger war inzwischen klargeworden, daß die Ernennung von sieben neuen Ministern in der Öffentlichkeit schlechten Eindruck machen würde, nachdem es schon nicht gelungen war, das Bundeskabinett entscheidend zu verkleinern.
Vor dem CDU/CSU-Fraktionsvorstand tat der Kanzler deshalb bündig seinen Entschluß kund: »Wenn sie Minister heißen, ernenne ich keinen.«
So heißen die neuen Regierungsherren nun »Parlamentarische Staatssekretäre«, und über ihre wirklichen Kompetenzen schweigt sich das ihre »Rechtsverhältnisse« regelnde Gesetz in neun Paragraphen vollständig aus. Guttenberg zum SPIEGEL: »Das muß sich aus der Praxis ergeben.«
In der Praxis ist den neuen Herren auf der Regierungsbank im Bundestag eine Extra-Sitzreihe reserviert; bei Abwesenheit des Ministers besetzt der Parlamentarische -- nicht mehr wie bisher der beamtete -- Staatssekretär dessen Platz in der Frontreihe. Am Dienstwagen sollen sie einen Stander führen, der nur wenig kleiner ist als der des Ministers*« und von der Bürokratie werden sie schlicht mit »Herr Staatssekretär« tituliert.
Das Gesetz spricht ihnen 75 Prozent des Bundesministergehaltes als Entschädigung zu; das macht 5293,35 Mark Grundgehalt monatlich, und als Bundestagsabgeordnete erhalten sie noch ihre Diätenpauschale von 1590 Mark pro Monat.
* Bei Dienstfahrten führt der Bundeskanzler einen Wagenstander von 30 mal 30 Zentimetern, jeder Bundesminister einen Stander von 25 mal 25, jeder Staatssekretär -- gleich ob parlamentarisch oder beamtet -- einen Stander von 18 mal 25 Zentimetern.
Es ist den Junior-Ministern nicht verboten, nebenher noch einen Beruf zu betreiben. Aber, so Innen-Benda an seinem ersten Amtstag zum SPIEGEL: »Dazu wird einem wohl kaum Zeit bleiben.«
Den Reichsfreiherrn von und zu Guttenberg brauchen Geld- und Berufsfragen freilich nicht zu scheren. Er ist im Fränkischen ("Meine Familie sitzt seit Urzeiten in der Gegend von Kulmbach") reich begütert, und seine Frau Rosa Sophie, geborene Prinzessin und Herzogin von Arenberg, brachte ähnlichen Reichtum in der Pfalz in die Ehe ein.
Die Verwaltung seiner Kurbetriebe, seiner Forsten, Land- und Weingüter überließ der Baron schon 1957, als er in den Bundestag einzog, einem Generalbevollmächtigten: »Der macht das wahrscheinlich besser als ich.« Denn: »Meine Passion ist die Politik.«
Als Politiker -- zumal als außenpolitischer Experte -- ist Guttenberg Autodidakt. Nie hat er eine Universität besucht. Die Fähigkeit, sich die Kenntnis komplizierter historischer und politischer Zusammenhänge im Selbststudium anzueignen, führt er auf die Jesuiten zurück, deren Internatsschulen in Feldkirch (Österreich) und St. Blasien er besuchte. Guttenberg: »Es waren gute Schulen. Da mußte man lernen, lernen.«
Bereits mit 16 Jahren machte Guttenberg das Abitur, trat mit 17 aktiv beim Kavallerieregiment 17 in Bamberg ein und ritt als Spähtruppführer im Polenfeldzug mit. Später wurde er Panzeraufklärer. Schon aus Familientradition -- sein Vater war Anführer der bayrischen Königstreuen -- geriet der Baron mit dem NS-Staat in Konflikt.
Nach dem 20. Juli 1944, in den fast die ganze kompliziert weitverzweigte Familie verwickelt war (Guttenberg: »Onkel Stauffenberg war der Vetter des Mannes der Schwester meines Vaters"), fürchtete er selbst Verhaftung. Als Oberleutnant geriet er in Nordfrankreich in englische Gefangenschaft.
Dem Briten-Angebot, als Rundfunkmann »zur Beendigung des Krieges beizutragen« (Guttenberg), willfahrte der adlige Gefangene zunächst bei der BBC, dann bis Kriegsende beim »Soldatensender Calais«. Guttenberg: »Er wurde mir als ein Sender geschildert, der das deutsche Volk achten, der Nazi-Regierung aber auf die Füße treten würde -- das war genau das, was ich wollte.«
Als Schloßherr im Oktober 1945 nach Guttenberg heimgekehrt -- sein Vater und sein älterer Bruder waren gefallen -, besorgte der 24jährige sich zunächst einmal ein Auto, fuhr nach München und importierte von dort die CSU in seine fränkische Heimat. Er wurde Landrat, blieb es fünf Jahre und schaffte schließlich den Sprung in den Bundestag.
Nach zwei Jahren in Bonn -- 1959 -- hatte sich der Baron als brillanter, aber scharf antisozialistischer Rhetor mit heftigen Attacken gegen die Deutschland-Politik der SPD so hervorgetan, daß der Sozialdemokrat Helmut Schmidt persönlich wurde:
»Es fällt schwer ... nicht zu beklagen, daß die Deutschen niemals eine Revolution zustande gebracht haben, die dieser Art von Großgrundbesitzern die materielle Grundlage entzogen hätte.«
Der so Angefeindete (Guttenberg: »Ich finde gar nicht, daß ich reich bin") heute über sein Verhältnis zum Kanzler der Großen Koalition: »Zwischen Kiesinger und mir besteht ungewöhnliche Übereinstimmung unserer politischen Ansichten.«