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BERLIN Stark unterminiert

Mit verblüffenden Offerten zum Berlin-Flugverkehr irritiert die DDR die Bundesregierung und den Berliner Senat. Die West-Alliierten blockieren eine deutsch-deutsche Luftverkehrsreform.
aus DER SPIEGEL 23/1989

Auf der Rückreise von seinem Antrittsbesuch im Weißen Haus verspätete sich West-Berlins Regierender Bürgermeister Walter Momper, 44, um anderthalb Stunden - Pan Am ließ wieder einmal warten.

»Das hat er nun davon«, spottete danach ein französischer Diplomat über den Sozialdemokraten, der sich oft über die US-Linie mit ihren klapprigen Mühlen (Momper: »Reichsbahn der Lüfte") mokiert hatte und der auch die Luftverkehrspolitik der Schutzmächte immer wieder heftig kritisiert.

Denn die West-Alliierten sichern ihren eigenen Airlines auf Kosten der deutschen Verbraucher seit Jahrzehnten ein - oft mißbrauchtes - Monopol auf den Berlin-Strecken. Schon letztes Jahr hatte sich Momper in die noch von CDU-Bürgermeister Eberhard Diepgen gestartete Kampagne zur Verbesserung der Berliner Flugverbindungen mit einer kessen Formel gemischt: Es sei kaum »einzusehen, weshalb in Zukunft nicht auch die Lufthansa Berlin-Tegel anfliegen soll«.

Säuerlich beobachten die Schutzmacht-Vertreter, wie West-Berlins Flugverkehrsreformer spürbar mehr Zuspruch aus dem Osten erhalten, seit der einstige Oppositionsführer Momper die Wahl gewonnen hat. In einem Kooperationspapier der SED, adressiert an West-Berlins Sozialdemokraten, hatte die DDR-Staatspartei bereits im Februar gemeinsame »Sondierungen« über Luftverkehrsfragen vorgeschlagen.

Ende Mai wußte die »Berliner Morgenpost« von neuen Anbahnungsversuchen um ein Luftgeschäft zu berichten: »Ost-Berlin lanciert ein Modell.« Kernpunkt: Auf einer neuen Luftstraße von Fürstenwalde bei Berlin nach Franken (siehe Schaubild) soll der bislang benutzte Weg von Ost-Berlin nach Westen, der an Prag vorbei umständlich die deutsch-deutsche Demarkationslinie umgeht, abgekürzt werden.

Mit Hilfe der neuen Route, die allen Fluggesellschaften offenstehen soll, könnte laut DDR-Offerte der Flughafen Tegel für die Lufthansa erschlossen werden - ohne Nutzung der alliierten Korridore, gleichsam hinterrücks.

Seit 1945 ist die westliche Anbindung Berlins auf die drei jeweils 32 Kilometer breiten Korridore beschränkt, die ausschließlich von alliierten Flugzeugen benutzt werden dürfen. Diese Regelung hat zwar selbst zu Blockadezeiten die ungehinderte Außenverbindung der Stadt gesichert, versperrt jedoch der Lufthansa den Zugang zur bevölkerungsreichsten Metropole des Landes.

Vor allem verschafft die derzeitige Rechtslage dem östlichen Hauptstadt-Airport Schönefeld Zulauf von jährlich rund 500 000 Passagieren aus dem Westen - obwohl West-Berliner Stellen die an Reichsbahnbrücken montierte DDR-Werbung für den Interkontinental-Startort Schönefeld mit trutziger Gegenreklame für Tegel, das »freie Tor zur freien Welt«, zu kontern versuchen.

Als Gegenleistung für eine künftige Entspannung am Himmel über Berlin erwartet Ost-Berlin von Bonn die - bislang verweigerten - Lande- und Überflugrechte für die DDR-Staatslinie Interflug. Außerdem sollen in die Abwicklung der neuen Verbindungen die Fluglotsen der DDR einbezogen werden. Das wäre für Ost-Berlin ein Einstieg in die Flugsicherung des Berlin-Verkehrs, die der DDR ebenfalls bislang verschlossen ist.

Letzte Woche wurde der DDR-Vorstoß in Bonn bestätigt: Ein DDR-Ministerialer habe Mitte April einem Beamten aus Bonns Ständiger Vertretung in Ost-Berlin die Vorstellungen der DDR-Oberen gesteckt. Auf ein Papier, das der Westdiplomat daraufhin für das Bundesverkehrsministerium fertigte, reagierten die Beamten von CSU-Minister Friedrich Zimmermann zunächst ratlos - sie reichten das Material an die Alliierten weiter. Die überprüfen es zur Zeit, was Wunder, »mit größter Vorsicht und Zurückhaltung«, wie ein Schutzmacht-Diplomat wissen läßt.

Mißtrauen weckt der Umstand, daß die DDR erst letztes Jahr mit einer offiziellen Forderung nach Beteiligung an der Überwachung des Berlin-Verkehrs bei den West-Alliierten gescheitert war. Ost-Berlins Vorschläge seien »ohne ernsthafte Prüfung zurückgereicht worden«, echauffierte sich im Herbst das DDR-Außenministerium.

Alliierter Argwohn, daß Ost-Berlin zur Erreichung des gleichen Ziels nun versuche, gemeinsame Sache mit den Bonnern zu machen, wird durch zahlreiche deutsch-deutsche Luftraum-Annäherungen aus jüngster Zeit genährt.

Diepgens Bundessenator Ludwig Rehlinger hatte schon im letzten Oktober für eine Kooperation mit der DDR und eine Erschließung von Fernflugzielen via Schönefeld plädiert. Dem damaligen Bonner Verkehrsminister Jürgen Warnke bot die DDR im Herbst vorigen Jahres Verhandlungen über eine Entlastung des bundesdeutschen Luftraums durch Ausweichen in den Osten an.

Washington sieht durch derlei »törichte« Kooperationen die Stellung der Schutzmächte »sehr stark unterminiert«, so Pierre Shostal, Leiter der Mitteleuropa-Abteilung im State Department. Senatsplanern dagegen scheint die Bewältigung des künftigen Verkehrs »nur durch Einbeziehung der unterbelasteten DDR-Flächen« möglich; mithin müsse bald das von Korridoren und Durchflugbeschränkungen geprägte »Regime im Luftraum modifiziert werden«.

Der frühere US-Gesandte David Anderson, 51, jetzt Leiter des Aspen-Instituts in Berlin, schlug sogar schon die Planung eines »Gesamtberliner Großflughafens« nördlich der Stadt vor. Der Standort, in der Nähe von Oranienburg, würde keinerlei Statusproblematik aufwerfen: Er liegt noch innerhalb der alliierten Luftkontrollzone um Berlin.

Doch das State Department sieht »keine Perspektive« für diesen Plan. Auch nach Ansicht von Momper-Beratern liegt Andersons Anregung »jenseits der Vorstellungen dieses Jahrtausends«. Alliierten Diplomaten mißfällt vor allem das Drängen der Lufthansa nach Verbindungen in die DDR und nach Berlin - Strecken, die zu befliegen Lufthansa-Vorstand Heinz Ruhnau als »unser gutes Recht« bezeichnet.

Zwar ist die Lufthansa beteiligt an der neuerdings unter französischer Regie betriebenen »Euroberlin France«. Ansonsten aber ist die deutsche Fluglinie in Berlin nur symbolisch präsent - mit einem Boeing-Oldtimer in blau-gelb-silbernem Anstrich auf dem Flughafen Tegel, einem Kudamm-Büro und durch Sponsoren-Auftritte wie beim Rot-Weiß-Tennisturnier, wo Steffi Graf einen »Lufthansa-Cup '89« entgegennehmen darf.

Die Chancen, daß die Lufthansa infolge der DDR-Vorstöße bald Berlin anfliegen darf, schätzen alliierte Diplomaten als nicht sonderlich groß ein. Ein hoher Schutzmacht-Vertreter frotzelte letzte Woche: »Der Senat möchte doch die Zahl der Tegel-Flüge verringern. Ob diesem Ziel mit zusätzlichen Lufthansa-Flügen gedient wäre?«

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