SPD/BAYERN Starker Mann
Bayerns Ministerpräsident Franz Josef Strauß sprach verächtlich vom »Rotmaul«, wenn er den SPD-Fraktionsvorsitzenden im bayrischen Landtag und SPD-Landesvorsitzenden Helmut Rothemund meinte - und nicht selten fügte er mit dem ihm eigenen Sarkasmus hinzu: »Ich erwähne den Herrn ja gerne noch ein paarmal, damit er bekannter wird.«
So gedieh der fränkische Genosse, der 1976 Volkmar Gabert im Fraktionsvorsitz und ein Jahr später Hans-Jochen Vogel im Landesvorsitz ablöste, auf paradoxe Weise zum bekanntesten Unbekannten im Freistaat. Der Spötter vom Dienst beim alljährlichen Salvatoranstich auf dem Nockherberg brauchte am Ende nicht einmal mehr den Namen zu nennen - und alle wußten, daß nun der Oppositionsführer des Landes an der Reihe war.
Ein Paradoxon im politischen Leben von Helmut Rothemund, 56, war es auch, daß ihm die längsten Zeitungsberichte und die dicksten Schlagzeilen ausgerechnet nach der »schwersten Niederlage seiner Amtszeit« ("Süddeutsche Zeitung") gewidmet wurden: Der SPD-Bezirk Franken, mit 55 000 von 115 000 SPD-Mitgliedern der stärkste in Bayern, widersprach am vorletzten Wochenende einer von Rothemund geplanten Parteireform, mit der die drei aus der Kaiserzeit stammenden und in ihrem Zuschnitt längst anachronistischen bayrischen Bezirke aufgelöst werden sollten.
Als neuen Vorsitzenden der starken Franken-SPD - paradox auch dies - wählten die Genossen in Nürnberg dann ausgerechnet einen eifrigen Befürworter der Rothemund-Reform: Nachfolger des langjährigen Bezirksvorsitzenden Bruno Friedrich, 57, wurde der Landtagsabgeordnete und stellvertretende Fraktionsvorsitzende Karl-Heinz Hiersemann, 40, der damit künftig einer der starken Männer in der bayrischen Sozialdemokratie sein wird.
Der barock anmutende Zweieinhalb-Zentner-Mann, der sich mit dem saarländischen Oskar Lafontaine der Generation der jetzt an die Machthebel gelangenden »Enkel Willy Brandts« zugehörig fühlt, wird nicht nur den starken Parteibezirk Franken anführen, der mit dem Strich durch die Rothemund-Rechnung zumindest seine Veto-Potenz eindrucksvoll demonstriert hat. Hiersemann soll auch den Vorsitz der zur Zeit 71köpfigen Landtagsfraktion übernehmen. Denn am Tag nach der Nürnberger Niederlage hat Rothemund resigniert, und bei nächster Gelegenheit will er seine beiden Spitzenämter abgeben.
Hiersemann, der neue Hoffnungsträger der Bayern-SPD, ist von Beruf Rechtsanwalt und politisch geprägt von der traditionell liberalen politischen und kulturellen Szene seiner fränkischen Heimatstadt Erlangen. Als Student trat er dort in die Partei ein. Rasch wurde er herausragender Juso-Funktionär, örtlicher Parteivorsitzender und Stadtrat. Seine politische Ausgangsposition bezeichnet Hiersemann heute noch als »sicher nicht rechts«. Bei seiner politischen Karriere war er »bemüht, nicht zuviel Deformationen zu erleiden«. Heute ordnet er sich selbst »eher bei Mitte-links« ein.
Für die SPD will der Schwergewichtler - der hervorragend Mousse au chocolat oder Boeuf a la bourguignonne zuzubereiten weiß, aber auch fränkische Bratwürstl nicht stehen läßt - vor allem bei drei Zielgruppen absahnen: bei der von der CSU enttäuschten Bauernschaft sowie bei katholischen Jungwählern und Arbeitnehmern.
Hiersemann, Sohn eines früh verstorbenen Geschäftsführers der Inneren Mission, hofft, daß die Katholiken nach ihrer »totalen Enttäuschung über die Bonner Sozialpolitik« gleich zur SPD überlaufen und sich nicht nur der Stimme enthalten: »Das wäre zwar auch ein Plus für die SPD, aber ein Minus für die Demokratie.«
Auf die christlichen Wähler im Lande, die »nach 28 Jahren einer alles durchdringenden Allmacht der Ellenbogenpartei CSU« doch allmählich Gewissensbisse bekommen müßten, setzt auch der konfessionslose SPD-Bundestagsabgeordnete Rudolf Schöfberger, 49. Der »rote Rudi«, der 1972 nach heftigen Flügelkämpfen Hans-Jochen Vogel als Münchner Parteivorsitzenden ablöste, hat sich am schnellsten als Kandidat für das Amt des Landesvorsitzenden gemeldet. Seine Kandidatur ist bereits mit Vogel, Hiersemann, Rothemund und sogar mit Willy Brandt besprochen.
Damit bei der innerlich kampferprobten bayrischen Genossenschaft nicht gleich alles wie geschmiert geht, hat sich zwei Tage nach Schöfberger auch seine Bundestagskollegin Anke Martiny-Glotz, 45, Ehefrau des SPD-Bundesgeschäftsführers
Peter Glotz, als Gegenkandidatin für den Parteivorsitz gemeldet - der »Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen« (ASF) »ein politisches Fanal«.
Während die aus Dortmund stammende Genossin als Zugezogene in ihrer Wahl-Heimat zuweilen auf emotionale Barrieren stieß, ist der »rote Rudi« hingegen ein Experte für das von der CSU rücksichtslos eingesetzte »Lederhosen-Bajuwarentum«, und wie kein anderer hat er den Hang der Bayern zum Konservativen historisch ausgelotet.
Geformt worden sei die politische Kultur des Freistaats, meint der Abgeordnete, nach einem 1300 Jahre währenden klösterlichen Grund- und Bildungsmonopol und einem eher sanftmütigen Regiment des Königshauses der Wittelsbacher von einem sanften Übergang zur Spätindustrialisierung »ohne soziale Vewerfungen und ohne Frostaufbrüche«. Nun habe sich beim bayrischen Bürger zweierlei breitgemacht: eine ambivalente, zwischen Bewunderung und Respektlosigkeit schwankende Einstellung zur Obrigkeit - und ein »Leck-mich-am-Arsch-Gefühl gegen jede Veränderung«.
Ebenso wie Hiersemann, der das Ergebnis einer parteiinternen Kommission zur Stärkung und Effektivierung des Landesvorstands abwarten will, möchte sich Schöfberger zunächst auf die Erneuerung der Parteiorganisation stürzen. Über ein Drittel aller selbständigen Gemeinden in Bayern hätte keinen SPD-Ortsverein. Der Münchner Genosse beim Blick auf die weißen Flecken auf der Landkarte der Partei: »Da ziag'n se no ganze Weißwürscht durch die Gegend.«
Schöfberger möchte, wenn er auf dem Parteitag im September in Hof gewählt wird, mit den Bezirksvorsitzenden wie mit 130 Mandatsträgern und Meinungsführern aus Landtag, Bundestag und Kommunalparlamenten engen Kontakt halten. Vor »Meinungssteuerung und Parolenausgabe an die Basis« will er nicht zurückschrecken. Und Demütigungen von Strauß mag er schon gar nicht hinnehmen: »Da werd' sich der mit mia härter doa - samt sei'm spitznasigen Stoiber.«
Doch Schöfberger, der gerne mit seinen zwei Buben Kilian, 11, und Florian, 14, in den Dolomiten kraxelt, kennt auch die Grenzen sozialdemokratischer Aufstiegschancen. Selbst wenn in den nächsten vier Landtagswahlen »erdrutschartige Ergebnisse« zugunsten der SPD einträfen, sei in Bayern wohl »erst im Jahr 2000 mit einem Machtwechsel zu rechnen« - dann wäre Franz Josef Strauß immerhin 85.