GEMEINDEN Statt Briefträger
Seit vorletzter Woche erledigen einige hundert Beamte, Angestellte und Arbeiter der Stadtverwaltung von Hagen eine Sonderaufgabe. Sie suchen meist nach Feierabend rund 130 000 Bürger zu Hause auf und überbringen Briefe. Inhalt: die neuen Lohnsteuerkarten für das Jahr 1979.
Die Eintragungen auf den Karten werden dann gleich an Ort und Stelle überprüft. Für viele Steuerpflichtige entfällt damit der sonst schon einmal nötige Gang zur Amtsstube oder die zeitraubende Korrespondenz mit den Kommunalbehörden, die sich ihrerseits auf diese Weise entlasten.
»Wir haben uns bemüht, einen vernünftigen Service für den Bürger aufzubauen«, sagt Klaus Müller, Oberstadtdirektor von Hagen, »wir konnten nicht damit rechnen, dafür als Gesetzesbrecher belangt zu werden« -- eine Rechnung ohne die Deutsche Bundespost, die den Dienst am Bürger unbedingt verhindern wollte.
Im vergangenen Jahr waren nämlich mehr als 130 000 Empfängern im westfälischen Hagen die Lohnsteuerkarten für 1978 von städtischen Beamten, Angestellten und Arbeitern und nicht durch die Post zugestellt worden. Damit sollte, so Müller, »Verwaltungsökonomie praktiziert« werden.
Immerhin waren auf jeder zwanzigsten Lohnsteuerkarte Änderungen notig, sei es beim Familienstand oder bei der Anschrift, sei es hei Religionszugehörigkeit oder Steuerklasse. Die Empfänger konnten ihre Karten dann umgehend beim Arbeitgeber einreichen, ohne nachträglich mit Rückfragen oder Beanstandungen behelligt zu werden.
Vor allem aber sparte die Stadt Hagen rund 60 000 Mark. Weil die Umschläge mit Lohnsteuerkarte und Merkblatt ein bißchen mehr als 20 Gramm wiegen, hätten sie mit einer 80-Pfennig-Briefmarke frankiert werden müssen -- das wären rund 105 000 Mark Portokosten gewesen.
Die kommunale Zustellung kam billiger: Obwohl die städtischen Bediensteten für ihre Nebentätigkeit bezahlt wurden, mußten dafür -- bei durchschnittlich 31 Pfennig je Zustellung -- nur 42 500 Mark aufgewendet werden. Prompt nahm die Bundespost Anstoß.
Im Mai dieses Jahres schickte die Oberpostdirektion (OPD) Dortmund der Stadtverwaltung Hagen einen Bußgeldbescheid über 10 000 Mark zuzüglich 503 Mark Gebühren, weil die kommunale Zustellpraxis »einen schwerwiegenden Verstoß« gegen das Postgesetz darstelle.
Die OPD berief sich auf Paragraph 2 Absatz 1 des Postgesetzes, der den Beförderungsvorbehalt der Bundespost regelt. Darin ist bestimmt, daß »das Errichten und Betreiben von Einrichtungen zur entgeltlichen Beförderung von Sendungen mit schriftlichen Mitteilungen oder mit sonstigen Nachrichten der Deutschen Bundespost ausschließlich vorbehalten« ist.
Oberstadtdirektor Müller erhob Einspruch gegen den Bußgeldbescheid, aber die OPD gab nicht nach. Weil auch andere, bisher nicht belangte Städte in der Bundesrepublik die Lohnsteuerkarten durch städtisches Personal austragen lassen, »sollte mit uns offenbar eine Art Musterverfahren durchgezogen werden«, vermutet Referent Jürgen Mensendiek vom Verkehrs- und Werbeamt der Stadt Hagen.
Listig legten die Hagener in der Begründung ihres Einspruchs den Postparagraphen so aus, daß nur das »Errichten und Betreiben« von Beförderungseinrichtungen unzulässig sei, jedoch »nicht die Beförderung als solche«. Daher liege im Fall Hagen kein Verstoß gegen das Postgesetz vor, denn der Versand erfolge nicht durch eine spezielle und konkurrierende Einrichtung, sondern durch den eigenen kommunalen Apparat. Zugestellt werde im zulässigen Rahmen einer Nebentätigkeit der Kommunalbediensteten, für die nach den einschlägigen Bestimmungen auch ein Entgelt bezahlt werden dürfe.
Zugleich berief sich die Stadt Hagen auf eine wesentliche Voraussetzung für die Verteilung in eigener Regie: Die städtischen Beamten und Angestellten, die im Amt die Steuerkarten selber sortierten und kuvertierten, hätten »die Möglichkeit und die Fähigkeit, neben einfacher Zustellung sachdienliche Ermittlungsarbeit zu leisten«, wozu Briefträger von der Post weder juristisch befugt noch zeitlich imstande seien.
Die OPD Dortmund freilich leitete den Vorgang an die Staatsanwaltschaft mit dem Einwand weiter, die Stadt Hagen habe »gegenüber den bei Beförderung von Lohnsteuerkarten durch die Deutsche Bundespost zu entrichtenden Gebühren erhebliche Einsparungen erzielt« -- der Gebührenausfall für die Post betrage »mindestens 54 000 Mark«.
Das für diese Bußgeldsache zuständige Amtsgericht Dortmund fand das nicht verwerflich. Es hielt die Praxis der Stadt Hagen vielmehr für bürgerfreundlich und kommunalpolitisch
* An der Columbia Universität in New York.
sinnvoll. Der Anspruch der Bundespost wurde abgewiesen, dem Einspruch der Stadtverwaltung stattgegeben.
Damit war auch die diesjährige Zustellaktion gesichert, und inzwischen haben bereits diverse westdeutsche Städte um Zusendung des kommunenfreundlichen Urteils gebeten, zwecks Nachahmung eines rechtlich abgesicherten Beispiels. Und was bei Steuerkarten recht ist, könnte bei anderen städtischen Sendungen bald auch billig sein.
Allerdings, so behauptet Jürgen Mensendiek, »hätten wir auch weiterhin nicht über die Post verteilt, wenn die Stadt zur Zahlung des Bußgelds gezwungen worden wäre«. Denn: »Auch mit Bußgeld wäre unsere Methode immer noch billiger und besser.«