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»Stehen Sie auf, es ist soweit!«

aus DER SPIEGEL 15/1979

Sechs Mandanten des Pariser Strafverteidigers Philippe Lemaire, 44, wurden zum Tode verurteilt, fünf begnadigt. Seinen wegen Beteiligung an Mord und Geiselnahme verurteilten Mandanten Roger Bontems, dessen Begnadigung Staatspräsident Pompidou abgelehnt hatte, begleitete der Anwalt 1972 zur Guillotine. Lemaire zum SPIEGEL:

Manchmal kommen die Beamten

auf Filzpantoffeln zur Todeszelle, damit sich der Verurteilte vor dem Gang ans Beil nicht unnötig erschreckt. Wir kamen im Morgengrauen. Schweigsam, unangenehm berührt, verstört.

Mein Mandant kannte das Datum seines Todes nicht. Auch ich hatte nur am Abend zuvor vom Staatsanwalt erfahren: morgen früh um vier Uhr in der Santé, einem der Pariser Gefängnisse. Da standen wir nun vor der Zelle, weiß im Gesicht. Ein Beamter öffnete die Tür, der Staatsanwalt, der die Todesstrafe im Prozeß gefordert hatte, erklärte: »Stehen Sie auf, es ist soweit!«

Waschen durfte er sich noch. Auch für einen Brief an die Eltern blieb Zeit. »Beeilen Sie sich«, forderte einer der Wächter. Eine Unterschrift war noch zu leisten, sozusagen die formale Bestätigung für die Bürokratie »Ich bin nicht mehr im Gefängnis'.

Ein Mann allein vor allen, die seine Haut wollen. Ein Wort mit dem Priester, dann der Weg ins Nichts. Im Hof wartete der Henker, damals 73 Jahre alt. Während der Vollstreckung nahm er den schwarzen Hut nicht ab. Der Gefängnishof ist durch Sichtblenden abgeschirmt, damit die Bewohner der Neubauten nebenan nicht zusehen können.

Warum dies alles, frage ich mich einmal mehr, während die Henker meinem Mandanten die Hände auf dem Rücken zusammenbinden und dann die gefesselten Füße und die Arme mit einem Strick zusammenzerren. So wird ein Mensch zum Flitzebogen, damit der Staat sich rächen kann. Wenn wir abschrecken wollen, warum köpfen wir dann nicht öffentlich auf der Place de la Concorde? Wenn es Rache sein soll, warum nicht im Fernsehen?

Meinem Mandanten wurde das Haar am Hinterkopf abgeschnitten, damit das Beil freien Fall hat. Das Hemd wird am Kragen aufgerissen, nichts soll stören.

Wer gesehen hat, wie der Kopf in die Wanne fällt, wenn ein Stück Metall das Haupt von Leib und Leben trennt, kann diese Strafe nicht wollen. Dem Hingerichteten wird der Kopf zwischen die Beine geklemmt, Tradition, sagen die Henker, die für ihre Arbeit mehrere tausend Franc kassieren und ihre Assistenten das Blut aufwischen lassen.

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