AUTO-KOSTEN Steigen gewaltig
Für Johann Heinrich von Brunn, Präsident des Verbandes der Automobilindustrie, ist die Lage schon heute »ganz katastrophal«. Und Hans-Jürgen Linden. Verwaltungsdirektor des Automobilclubs von Deutschland (AvD), hat »manchmal den Eindruck, als wollte man das Autofahren abschaffen.«
Der düstere Verdacht des Frankfurter Clubmanagers ist nicht unbegründet. Denn Jahr für Jahr müssen die über 15 Millionen Pkw-Besitzer tiefer in die Tasche greifen, um sich ihr höchstes Vergnügen das Autofahren -- leisten zu können.
In den sechziger Jahren war die Teuerung noch maßvoll ausgefallen. Nach den Berechnungen des Allgemeinen Deutschen Automobil-Clubs (ADAC) stiegen die Gesamtkosten für den Unterhalt beispielsweise eines Kleinwagens von 1,1 Liter Hubraum von 1965 bis 1970 um etwa 15 Prozent auf 214 Mark monatlich. Autos wurden nur um 7,5 Prozent teurer, und die Kraftstoffe verbilligten sich sogar um 0,2 Prozent.
Für Ärger am Steuer sorgten andere: Die Reparaturwerkstätten kassierten 40,3 Prozent mehr; Wagenvermieter, Wagenwäscher und Fahrlehrer ließen sich um 36,1 Prozent höhere Honorare auszahlen als 1965. Mit rund 15 Prozent höheren Durchschnittsprämien -- 263 statt 228 Mark -- gab sich Westdeutschlands gutverdienende und vermögende Assekuranz noch bescheiden.
Doch dann schlug die Branche zu. Anfang August dieses Jahres setzten Westdeutschlands Versicherungen ihre bereits zum Jahresbeginn um 22 Prozent erhöhten Prämien um weitere 15 Prozent herauf. Im Eilverfahren ließ sich das dem Bonner Stabilitätsgaranten Karl Schiller unterstehende Berliner Bundesaufsichtsamt für das Versicherungs- und Bausparwesen von den Schadensstatistikern der Versicherungen so beeindrucken, daß die Beamten widerspruchslos eine Erhöhung der Durchschnittsprämien auf 345 Mark, gültig bis Ende 1972, genehmigten. Schillers Grundsatzabteilungsleiter Otto Schlecht, der durch Gesetzesänderung derartige Pauschalgenehmigungen künftig ausschließen will, resignierte: »Da führt kein Weg vorbei, die haben uns überrollt.« Und Götz Weich vom ADAC-Generalsekretariat klagt·. »Das war noch happiger, als wir befürchtet hatten.«
Den Versicherern ist es noch nicht happig genug. Sie haben dem Berliner Amt vorsichtshalber noch eine sogenannte »Katastrophenklausel« abgehandelt. Bei hohen Unfallzahlen und Effektiv-Lohnsteigerungen im Reparaturgewerbe von mehr als zehn Prozent im Jahr 1972 können die Herren nochmals um staatlich sanktionierte Prämienzuschläge nachsuchen.
Die Katastrophe wird kaum ausbleiben. Rolf Dieter Binnenbrücker, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbandes des Kfz-Handwerks, rechnet noch für das laufende Jahr damit, daß der Preis für Karambolagen und Motordefekte um etwa elf Prozent steigt.
Auch unbeschädigte Karossen werden teurer. Einer schlechten Tradition gemäß werden in diesem Herbst die Konzerne nach den Werksferien mehr Geld für neue Modelle oder geringe Retuschen unter oder über der Motorhaube verlangen. Da Schiller die sogenannte Tagespreisklausel (Autokäufer müssen bei Auslieferung ihrer Wagen häufig wegen inzwischen erhöhter Listenpreise mehr bezahlen als bei Vertragsabschluß ausgemacht) verbieten will, werden die Autofabrikanten überdies vorsorglich Zuschläge für spätere Kostenerhöhungen eintreiben.
VDA-Präsident von Brunn rechnet damit, daß die Branche schon vor der Metall-Lohnrunde im Herbst eine »Verdachtsquote« einkalkuliert: »Man muß Preise festsetzen, die das etwas vorhalten, was im Herbst kommt.« Laut von Brunn werden die Kfz-Preise ohnehin »langfristig gewaltig steigen«. Bis Ende dieses Jahrzehnts prophezeit er allein aufgrund der strengeren Sicherheitsvorschriften einen Aufschlag von etwa 50 Prozent der heute gültigen Preise. Hinzu kommt der Mehrbedarf an Kraftstoff von 30 Prozent für den Betrieb der sicheren, aber auch schwereren und leistungsstärkeren Limousinen.
Auch der Staat beteiligt sich an der Teuerung. Mitte Juli verteuerte Verkehrsminister Georg Leber die bunten Plaketten der Technischen Überwachungs-Vereine TÜV um 20 Prozent. in den nächsten Jahren will er die Mineralölsteuer -- und damit den Benzinpreis -- um zehn Pfennig pro Liter heraufsetzen, ohne den Autofahrern durch ein attraktives Eisenbahn- und Nahverkehrssystem den Verzicht auf die teure Blechkiste zu erleichtern.
Die Jagd auf den Autofahrer ist inzwischen so hektisch geworden, daß selbst unlängst errechnete Teuerungsprognosen nach oben korrigiert werden müssen. Sagte ADAC-Rechner Weich noch im Mai 1971 eine Erhöhung der Gesamtkosten für die Kfz-Haltung bis 1975 um 45 Prozent voraus, so kam er letzte Woche auf »mindestens 50 Prozent«, im »ungünstigsten Fall« sogar auf 65 Prozent gegenüber 1970.