RECHT / EID Stein und Bein
Neben Blutschande und Notzucht, Ehebruch oder Sodomie gilt als abscheuliche Tat im Katalog deutscher Delikte auch ein Frevel wider die Rechtspflege: der Meineid.
Das Verbrechen ist so alt wie das Rechtsinstitut, gegen das es geht. Die Babylonier und alten Juden, die Griechen und Römer forderten und schworen den Eid. Berührten schwörende Hellenen ein Opfertier und Römer den Altar, so hielten die Germanen beim Schwur eine Hand an die Medien ihrer Geister -- an Ring oder Stab, an Schwert oder Grab ("Stein und Bein") -, die andere gen Himmel gestreckt.
Zwar stand jahrhundertelang das Gottesurteil, bei dem ein Zweikampf den »Rechtsgang« entschied, als Beweismittel neben dem Eid. Doch von Handgreiflichkeiten ließ man ab, die erhobene Hand blieb: Drei Schwurfinger symbolisieren die heilige Dreieinigkeit. Geschworen wird bei »Gott dem Allmächtigen und Allwissenden«, gefordert wird »nach bestem Wissen die reine Wahrheit«.
Über das moralische Gewicht des Eides allerdings sind die Deutschen uneins. Preußen stellten den Schwur über das Leben: Der Gehorsam eines eidbesessenen Generalfeldmarschall Paulus brachte in Stalingrad über 100 000 deutschen Soldaten den Tod.
Bayern dagegen neigen zu meineidfreudigem Prozessieren: Bayrische Politiker spreizten im Streit um die Spielbankenaffäre Mitte der 50er Jahre die Trinitätsfinger und sagten nichts als die reine Unwahrheit.
Und Bajuwaren halten es zuweilen mit den Klassikern wie Euripides ("Es schwörte nur meine Lippe, nicht mein Herz"). »Beschwor'n hab' i's aber drum wetten mag i net«, lautet ein Scherzwort der Meineidbauern« die auch imstande sind, den Eid durch die nach unten gestreckte linke Hand »abzuleiten«.
Ein Wertgefälle, wie bisher von Nord nach Süd, wird es künftig auch zwischen West und Ost geben:
* Die Bundesregierung will Meineid strenger strafen.
* Die DDR-Regierung will Eid und Meineid abschaffen.
* Paragraph 154 des Strafgesetzbuches: »wer vor Gericht oder vor einer anderen zur Abnahme von Eiden zuständigen Stelle vorsätzlich falsch schwört, wird mit Zuchthaus bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so ist die Strafe Gefängnis nicht unter sechs Monaten.«
Bonn plant den Meineidsparagraphen 154 im Strafgesetzbuch zu zerteilen*. Droht dem, der falsch schwört, jetzt noch generell Zuchthaus (ein bis 15 Jahre), so soll künftig zwischen »schwerem Meineid« und »einfachem Meineid« unterschieden werden.
Schwer wiegt nach Bonner Lesart ein Meineid zum Beispiel dann, wenn der Missetäter aus »Gewinnsucht« falsch Zeugnis wider seinen Nächsten ablegt oder ihn per Falscheid »hinter Schloß und Riegel bringt«. Dafür soll Zuchthaus bis zu 15 Jahren verhängt werden.
Andere Falscheid-Varianten werden, wenn die Reform verwirklicht wird, nur noch mit Gefängnis bestraft -- aber nicht mehr unter einem Jahr. Außer bei »tätiger Reue« sollen mildernde Umstände, die zur Zeit noch eine Haftstrafe von sechs Monaten ermöglichen, nicht mehr gelten.
Diese Härte erläutern die Bonner Ministerialen im Gesetzentwurf so: »Strafen unter einem Jahr Gefängnis, die auf der Grundlage des geltenden Rechts vielfach verhängt werden, entsprechen der Gefährlichkeit des Meineids für die Rechtspflege im allgemeinen nicht. Sie müssen daher schon kraft Gesetzes grundsätzlich ausgeschlossen sein.
Fraglos ist es Westdeutschlands Richtern so recht. Denn sie schwören auf die erhobene Schwurhand, die zum ehrfürchtigen Zeremoniell vor den Schranken paßt wie dahinter der »Zaubermantel« (so die Robe im Richter-Jargon).
Zwar magert das Eigengewicht des Eides von Jahr zu Jahr -- allein 1965 wurden vor bundesdeutschen Gerichten 666 falsche eidliche und 736 falsche uneidliche Aussagen geahndet; die Meineid-Dunkelziffer liegt nach Meinung aller Rechtskundigen weitaus höher. Wohl genügt für die Urteilsfindung der Grundsatz der ausreichenden freien Beweiswürdigung: Der Richter kann nach eigenem Ermessen durchaus gegen die Partei entscheiden, deren Sache anscheinend per Eid abgesichert ist, und dem nicht beeidigten Kontrahenten recht geben.
Dennoch halten deutsche Richter den feierlichen Schwur für unentbehrlich, der -- nach mahnenden Worten des Vorsitzenden und oft unter dem Kruzifix gemurmelt -- der Wahrheitsliebe häufig dienlicher ist als allein das Gewissen. Bonns Rechts-Professor Dr. Ernst Friesenhahn: »Entfernt man aus dem Eid das religiöse Element, so hat er seinen Sinn verloren.«
Genau das aber steht -- wie die DDR-Rechtszeltschrift »Neue Justiz« jüngst ankündigte -- im SED-Staat bevor. Zum erstenmal seit der Zeit der Germanen soll der Eid in Deutschland abgeschafft werden, sollen deutsche Richter auf den liebgewonnenen »Akt der Gottesverehrung« (Münchens Theologie-Professor Dr. Philipp Hofmeister) verzichten.
»Unter unseren Verhältnissen«, so die Begründung des Ost-Berliner Gesetzentwurfs, könne »auf den Eid als besondere Bekräftigung des Wahrheitsgehaltes einer Aussage verzichtet werden«. Statt eines Meineids werden DDR-Gerichte nur noch falsche (uneidliche) Aussagen aburteilen müssen, statt einer falschen eidesstattlichen Versicherung eine »falsche Versicherung zum Zwecke des Beweises«. Die neue Aussage-Prozedur gleicht den Verfahren in der Sowjet-Union und in etlichen anderen Ostblock-Staaten.
Die radikale Abkehr vom Schwur erschien den Genossen opportuner als eine Kompromißlösung wie etwa die eidliche Aussage ohne religiöse Formel. Denn -- so der Leiter des Untersuchungsauschusses freiheitlicher Juristen in Berlin, der frühere DDR-Oberrichter Walther Rosenthal -- »eine rein weltliche Eidesformel unter Verbot der Anrufung Gottes hätte zu Konflikten mit den Kirchen führen können«.
Durch den Verzicht auf den Gottes-Schwur freilich nähert sich das SED-Regime ungewollt christlichem Gebot. Denn in der Bergpredigt sagt Christus: »Ich aber sage euch, daß ihr überhaupt nicht schwören sollt ... Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel.«