PROZESSE Steinchen auf Steinchen
In memoriam scheint die neueste Anklageschrift von Berliner Staatsanwälten verfaßt. Von Fritz Teufels legendärer »Kommune 1« ist da die Rede und vom »Zentralrat der umherschweifenden Hasch-Rebellen«. Die »Vorgeschichte« des deutschen Terrorismus wird aufgearbeitet von 1967 bis zum Drenkmann-Attentat und zur Lorenz-Entführung im vergangenen Jahr.
Steinchen auf Steinchen haben die Strafverfolger ihr Anklagegebäude errichtet, in dem Andreas Baader und Michael Baumann, Ralf Reinders und Inge Viett, kurz die gesamte RAF sowie die »Bewegung 2. Juni«, untergebracht sind. Berge von Akten sollen beigezogen, 137 Zeugen -- unter ihnen das ehemalige Stadtoberhaupt Heinrich Albertz und CDU-Führer Peter Lorenz -in der jüngst beantragten Verhandlung vor der Berliner Staatsschutzkammer vernommen werden.
Der Aufwand aber täuscht. Kein harter Kern wird diesmal bezichtigt, es geht vielmehr um angebliche Kärrner, um Zuträger und Helfershelfer aus dem Terroristen-Umfeld: Christina Doemeland, Gisela Kuehl, Waltraud Siepert, Susanne Wotschke, Raphael Kreß, Karsten Mocken, Horst Müller-Klug, Hendrik Reinders, Erhard Oestreich und Paul Revermann. Diese zehn Beschuldigten -- sieben von ihnen seit vergangenem Herbst in Haft-sollen nach den bisherigen Ermittlungen teils Wohnungen, teils Autos oder auch Personal- und Kfz-Papiere beschafft, eine kriminelle Vereinigung »unterstützt« und somit die Entführung des Berliner Unionsvorsitzenden Lorenz ermöglicht haben.
Und eben jener Vorwurf der Unterstützung, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bedroht, macht das Gewese der Strafverfolger wieder plausibel. Denn sie sind in gesetzlich programmierter Beweisnot: Während Frontkämpfern durchweg auch mit handfesten Vorschriften über Raub oder Totschlag beizukommen ist, muß der Etappe laut Paragraph 129 des Strafgesetzbuches nachgewiesen werden,
* daß die »unterstützte« Organisation, in diesem Fall die »Bewegung 2. Juni«. tatsächlich darauf »gerichtet« war, »Straftaten zu begehen«, und
* daß etwaige Gefälligkeiten oder Handreichungen vorsätzlich geschahen.
In diesem Detail aber können die Staatsanwälte keineswegs durchgängig mit eindeutigen Belegen aufwarten. Hendrik Reinders beispielsweise soll zwei Garagenboxen angemietet haben. in denen gestohlene Kraftfahrzeuge umgebaut worden seien -- zur Benutzung bei Banküberfällen und auch bei der Lorenz-Entführung. Nur seiner Mutter zuliebe habe er den Vertrag ursprünglich geschlossen, hält Reinders dagegen, damit nicht so viel Werkzeug in der Wohnung herumliege. Später sei er dann von einem Mann namens »Peter« gebeten worden, gegen jeweils fünf Monate Mietzins im voraus die Räumlichkeiten abzutreten.
Bei der Festnahme eines Ronald Fritzsch« der zur Bewegung gezählt wird, wurde der Reisepaß des nun beschuldigten Revermann gefunden -- in Originalausgabe, aber verfälscht mit dem Lichtbild des festgesetzten Fritzsch. Revermann dazu: Er habe seinen Reisepaß im Frühjahr 1975 ordnungsgemäß bei der Gemeinde Steinhagen verlängern lassen und ihn seither weder benötigt noch gesehen.
Als Juliane Plambeck wegen vermutlicher Beteiligung an der Lorenz-Entführung gegriffen wurde, besaß sie einen Berliner Personalausweis der angeklagten Wotschke -- mit Plambeck-Lichtbild. Sie habe ihren Ausweis während einer Irland-Reise daheim in der Brieftasche gelassen, sagt Frau Wotschke.
In der Brieftasche des festgenommenen Ralf Reinders wiederum steckte der Berliner Ausweis des angeklagten Mocken -- das Lichtbild wies Reinders aus. Er habe das Personalpapier bei einem Umzug im September 1974 verloren, erinnert sich Mocken, dem allerdings insgesamt sieben Berliner Personalausweise abhanden kamen. Auch über einen Reisepaß mit seinem Bild verfügte Reinders, doch mit den persönlichen Daten des angeschuldigten Kreß. Kurz vor der Befreiung von Andreas Baader, während eines Karate-Kurses, sei ihm der Paß entwendet worden -- so bestreitet Kreß jeglichen Hilfsdienst.
Der Student Müller-Klug schließlich soll sein »Honda«-Motorrad Inge Viett zur Verfügung gestellt haben. Er habe die Maschine selber von einer »Karin« im August vergangenen Jahres erworben. erläutert nun der Beschuldigte, und der Frau bis zur Bezahlung des Kaufpreises von 1700 Mark die Maschine belassen.
Zwar wurden hier und da auch Fingerabdrücke der Beschuldigten in sogenannten konspirativen Wohnungen gefunden. Zwar stellte die Polizei nicht nur verfälschte Personalpapiere, sondern auch »Legenden« über die familiären Verhältnisse der verfremdeten Personen sicher. Und ohne Zweifel klingen die Zufallsgeschichten über verlorene Papiere und vermietete Mietgaragen alles andere denn glaubhaft. Nur: Zu widerlegen, wie es im Sinne des Gesetzes notwendig wäre, sind sie allem Anschein nach schwerlich.
Auffällig genug andererseits, aber womöglich doch auch wieder Zufall, daß der nach der Lorenz-Entführung festgenommene Fritzsch laut Ermittlungsergebnis Notizen über die beiden jetzt angeklagten Wotschke und Müller-Klug bei sich hatte. Und: In den von Hendrik Reinders gemieteten Garagen wurden zwei Kopfstützen und fünf Autositzfelle aus jenem Ford Consul (B-VE 314) gefunden, der bei der Lorenz-Entführung benutzt worden sein soll.
Dennoch scheinen die Staatsanwälte vorerst eher auf ihre Einschätzung als auf Beweise zu bauen. »Unwahrscheinlich«, »unglaubhaft«, »Schutzbehauptung« heißt es häufiger als üblich in Anklageschriften. Und so gesehen, steht bei, der gerichtlichen Auseinandersetzung mit dem Randgeschehen auf der Terror-Szene tatsächlich ein Grundsatzverfahren an -- über den Grundsatz: Im Zweifel für den Angeklagten.