NAHOST Steine rühren
Eine arabische Geschichte: Eine Mutter rührt geschäftig in einem Topf, während ihre hungrigen Kinder nach Essen schreien. Die Frau läßt sich nicht erweichen, bis die Kinder erschöpft einschlafen. Als jemand die hartherzige Mutter zur Rede stellt, zeigt sie ihm den Topf -- er enthält kein Essen, sondern nur Steine.
»Wir rühren ständig in einem leeren Topf«, resignierte vorige Woche ein zum geplanten Gipfeltreffen bereits nach Kairo angereister arabischer Diplomat. »Die Palästinenser sind die hungrigen Kinder, aber die lassen sich nicht einlullen.«
Ganz im Gegenteil. Während Ägyptens Regierung Kairos Nile Hilton und Shepheards Hotel für das arabische Gipfel-Topfrühren requirierte, schlugen die Palästinenser wieder einmal zu: Kommandos überfielen die syrischen Botschaften in Rom und im pakistanischen Islamabad.
Im Libanon, ihrem letzten Zufluchts-Ort, wehrten sich Fedajin-Truppen mit einem verzweifelten Gegenangriff gegen den Würgegriff von Syriens Armee und libanesischen Christen-Truppen. Dennoch eroberten syrische Panzerverbände Palästinenserfestungen an der strategisch wichtigen Straße von Damaskus nach Beirut.
»Syriens Attacke soll dem Gipfeltreffen unmöglich machen, eine Lösung im libanesischen Bürgerkrieg zu finden«, kabelte PLO-Chef Arafat den arabischen Staatschefs. Eine Lösung war auch ohne den jüngsten Großangriff der Syrer nicht in Sicht.
Denn der Libanon-Konflikt hat längst die Gegensätze unter den Araber-Staaten verschärft. So
* zog Libyen aus Protest gegen Syriens Eingreifen im Libanon seine Diplomaten aus Damaskus zurück;
* befehden sich Ägypten und Syrien, die »ewigen Waffenbrüder« aus dem Oktober-Krieg von 1973;
* bedroht der Irak mit Truppenaufmärschen an den Grenzen den syrischen Nachbarn.
Den Preis für die Zwietracht unter den Brüdern zahlen vor allem die Palästinenser. Denn ihr Krieg gegen Syrer und Libanon-Rechte kostet mehr Opfer als der Kampf gegen Israel.
Lange hatten die Palästinenser in Syrien einen Herrn und im Libanon ein Sprungbrett in ihrem Ringen gegen den jüdischen Staat gesehen. Doch als sie begannen, nicht nur einen Staat im libanesischen Staate zu bilden, sondern auch die zuvor absolute Schirmherrschaft der Syrer abzuschütteln, reagierte Damaskus scharf. Denn Syriens Staatschef General Hafis el-Assad fürchtet, radikale Palästinenser könnten einen neuen Nahost-Konflikt anzetteln, für den sich Syrien noch nicht gewappnet fühlt.
Im Juni dieses Jahres -- den die Palästinenser »schwarzer Juni« nennen -- schickte Assad seine Truppen gegen die unbotmäßigen Palästinenser. Für die Fedajin wurde der einstige Kampfgefährte daraufhin zum Verräter an der palästinensischen Sache. Rückendeckung fand die PLO vor allem in Kairo, weniger aus Liebe zur PLO denn aus Haß gegenüber Damaskus.
Solange Syrien und PLO sich nicht offen bekämpften, hatte Ägypten wenig für die Palästinenser getan und sogar ihre Rundfunkstation geschlossen. Dem Einmarsch syrischer Truppen im Libanon folgte jedoch eine sofortige Versöhnung zwischen Ägypten und Arafats Fatah. Denn, mahnte Präsident Sadat, »Syriens verräterische Invasion dient weder der arabischen Einheit noch den palästinensischen Zielen, sondern ausschließlich dem gemeinsamen Feind Israel«.
Halbherzige Versuche der Arabischen Liga. den Krieg im Libanon zu stoppen, müßten bei soviel Zwietracht unter den 21 Mitgliedstaaten scheitern. So entging der Liga-Beauftragte Choli kürzlich in Beirut nur knapp einem MG-Attentat. Soldaten einer panarabischen Friedenstruppe wurden immer wieder beschossen.
Einheiten der Friedenstruppe, vorrangig Soldaten aus Libyen und dem Irak, griffen in den letzten Wochen auf seiten der Palästinenser direkt in die Feindseligkeiten ein und bekämpfen nunmehr die 24 000 Mann starken syrischen Kampfverbände. Schon sind mindestens zwei Dutzend Libyer und gut hundert Iraker im Ringen gegen die Syrer gefallen, die ihrerseits Hunderte Opfer zu beklagen hatten.
»Es sind noch viel zuwenig arabische Truppen im Libanon«, klagte vorige Woche der Führer der libanesischen Linkskoalition von Moslems und Palästinensern, Kamal Dschumblat, gegenüber dem SPIEGEL. »Ich fordere die Entsendung von Kampftruppen, die auf unserer Seite eingreifen ... Aber arabische Länder, die einmal zu Reichtum gekommen sind, verhalten sich wie wohlhabende Bourgeois, die sich zu Hause ausruhen und von den Leiden der anderen nichts hören wollen.« Dschumblat verglich den Einmarsch der Syrer im Libanon mit der Invasion der UdSSR in der Tschechoslowakei.
Daß sich die Palästinenser überhaupt noch halten konnten, verblüfft selbst ihre Gegner. Denn israelische und syrische Patrouillenboote hatten vor der libanesischen Küste jeden Nachschub gestoppt, und auf dem Lande kontrollieren Libanon-Christen und Syrer die Wege zu den eingeschlossenen Palästinensern und Linken.
Der Grund des palästinensischen Widerstandes: Ihnen waren die Armeedepots der südlibanesischen Orte Mardschajun und Sarba sowie West-Beiruts in die Hände gefallen. Darüber hinaus hatten sie die Ausrüstungen der Syrer-freundlichen Palästinenser-Organisation Saika erbeutet.
Syriens Armee scheute sich, die Palästinenser völlig aufzureiben. Präsident Assad fürchtet nicht nur die Reaktion der arabischen Welt, sondern auch den Druck der Russen: Seine Armee ist fast völlig mit sowjetischen Waffen ausgerüstet.