AFFÄREN / GEFALLENENEHRUNG Steinerner Trost
Propst Wilhelm Knuth, 61, hatte es abgelehnt, einen Festgottesdienst anläßlich der Hundertjahrfeier des Füsilier-Regiments »Königin« Nr. 86 in der ehemaligen Flensburger Garnisonskirche St. Marien so abzuhalten, wie es die in einem Traditionsverband formierten Füsilier-Veteranen wünschten. Der Gefallenen gedenken wollte der Propst zwar, doch zu einer Heldenfeier im alten Stil zu »Ehren dieses vor fast 50 Jahren aufgelösten Truppenteils« (Knuth) war er nicht bereit.
Die Ex-Füsiliere ·setzten sich mit Kranz und Schleife in die Nikolai-Kirche ab und grollten seitdem der Geistlichkeit von St. Marien.
Um die Gegner miteinander zu versöhnen, lud der erste Sprecher der »Landesarbeitsgemeinschaft der Kriegsopfer- und Kriegsteilnehmerverbände« (180 000 Mitglieder), Friedrich Ferdinand Prinz zu Schleswig-Holstein-Glücksburg, zu der Aussprache im »Walfisch« ein. Doch der Sprecher der 86er Füsiliere, Oberst a. D. Freiherr von Rosen, attackierte sogleich die Schwarzröcke. Dabei entschlüpfte ihm das Wort »Partisanen«.
Propst Knuth fuhr hoch, verbat sich derartige Bezeichnungen und verließ das Lokal. Ihm folgten seine drei Pastoren Dr. Oswald Krause, 55, Wolfgang Friedrichs, 44, und Gerhard Jastram, 31.
Das geschah im Dezember 1966. Seither hat es in Flensburg noch keinen Frieden zwischen den Männern der Waffe und der Bibel gegeben. In der Marienkirche.
Und schon wird auch in anderen Teilen der Bundesrepublik darüber gestritten, ob und wie die evangelische Kirche Gefallene anders ehren soll als andere Tote. Der Militärbischof Hermann Kunst sprach sich für, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Bischof Scharf, eher gegen die Tradition aus.
Angefacht hatten den Streit die drei Pastoren von St. Marien. Ihnen paßte es nicht, daß nach dem Exodus aus dem »Schwarzen Walfisch« vier Wochen später in der Gaststätte »Neue Harmonie« die Abgesandten von Truppe und Kirche Stillschweigen vereinbart hatten.
Das Pastoren-Trio hielt sich nicht daran und erweiterte das Thema. Es wandte sich nun nicht mehr nur gegen fromme Heldenfeiern, sondern gegen jede Kriegerehrung in Gotteshäusern -- beispielsweise auch gegen Tafeln mit den Namen Gefallener.
Ihre Ansichten brachten die Pastoren erst im Gemeindeblatt zu Papier, dann in einer öffentlichen Kundgebung zu Gehör. An die Gäste wurde ein Merkzettel verteilt, auf dem unter der Überschrift »Gefallenenehrungen haben in der Kirche keinen .Platz!« fünf Thesen standen -- mit der Bitte, im Falle eines Irrtums »uns mit den Gründen der Heiligen Schrift zu widerlegen«.
Die Thesen gipfelten in der Behauptung, daß »für den Glaubenden eine Unterscheidung zwischen Kriegstod und gewöhnlichem Sterben« nicht bestehe.
Die Geistlichen beriefen sich auf einen noch gültigen Beschluß ihrer Landeskirche aus dem Jahre 1951: »Grundsätzlich gehört eine Gedächtnisstätte mit den Namen der Gefallenen nicht in den Kirchenraum, keinesfalls aber in den Altarraum.«
In Leserbriefen an Kieler und Flensburger Tageszeitungen empörten sich Schleswig-Holsteiner über die »geistlichen Bilderstürmer«. So schrieb
> ein Oberstleutnant Liske: »Wir Soldaten sind sichtlich empört! Sind wir denn Außenseiter christlicher Gemeinschaft?«
> ein »Protestantischer Patronatsherr« Diedler-Heinersdorf: Die Bischöfe würden »hoffentlich diese drei »entgleisten Seelsorger« wieder auf Vordermann bringen. Der Reformator Dr. Martin Luther würde sich im Grabe umdrehen.«
Der zuständige Landesbischof D. Reinhard Wester, der bald in den Ruhestand tritt, geriet in Verlegenheit. Weder mochte er seine Pastoren öffentlich rügen, noch wollte er die Öffentlichkeit schockieren. Doch Bundesjustizminister Heinemann, als Mitglied des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland selber engagierter Protestant, zeigte sich in einem Brief an die drei Geistlichen über ihre Haltung erfreut und bat sie, »bei Ihrer Sache zu bleiben und sie in ruhiger Klarheit zu vertreten«.
Die aktiven Soldaten hingegen gingen zum Großangriff über, angeführt von dem Befehlshaber im Wehrbereich I, Konteradmiral Helmut Neuß. Gegen »Intoleranz und Eiferertum« der Pastoren verwahrte sich der hohe Seemann.
Flankenfeuer gaben 15 Flensburger Pastoren. Sie beklagten die Helden-Entmythologisierung durch ihre Amtsbrüder und nannten es eine »Unterstellung, daß solches Totengedenken In dem Raum, in dem Kreuz und Auferstehung Jesu Christi verkündigt wird, nur ein steinerner Trost sei, der den Schmerz betäube«.
Tags darauf reihten sich 13 andere ortsansässige Geistliche in die Gegenfront ein; Kern ihrer Kampfschrift: »Wir machen das Bekenntnis unserer Kirche unglaubwürdig, wenn wir immer noch in unseren Kirchen Ehrenmale dulden, die aus einem dem Evangelium widersprechenden Geist errichtet wurden.«
Der Landesvorsitzende des »Verbands der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen«, Karl Kappert, stellte -- vergebens -- Strafantrag gegen die drei Marien-Pastoren wegen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener, wegen Gotteslästerung und wegen Störung der Totenruhe. Und »ein Bürger aus Köln« wünschte den drei Pastoren ("Schweine! Schweine! Schweine!") in einem Brief baldige Einweisung in ein Arbeitslager.
Letzte Woche verschärfte sich die Fehde noch. Bis dahin hatte sich der Volkszorn gegen die drei Pastoren gerichtet, die ihrem Kirchenvorstand lediglich vorgeschlagen hatten, das Gefallenen-Ehrenmal in St. Marien -- einen Sarkophag mit einem liegenden Granitsoldaten -- irgendwann abzutragen.
Doch nun ging der Vorstand der Flensburger St.-Johannis-Gemeinde viel weiter. Mit zehn Stimmen bei einer Gegenstimme beschloß er, ein Kriegerdenkmal an der Südwand der Kirche einzureißen: Sockel, Stahlhelm, Schwert und die Inschrift »Unseren im Weltkrieg gefallenen Helden« sollen verschwinden.
Die Begründung des St.-Johannis-Pastors Heinz Fast, 35: Der deutsche Protestantismus sei nicht mehr »monarchistisch gesonnen, deutschnational und kriegsbegeistert« wie zu der Zeit, als das Denkmal gebaut wurde.