Steuern: »Da wird uns noch einiges blühen«
Der ovale Kabinettstisch im neuen Kanzleramt war für die 31 Geladenen aus Regierung und Bundestag, aus Ministerien und Bundesbank zu klein. Das monströse Möbelstück mußte um einige Meter verlängert werden.
Das Rekord-Aufgebot hatte sich Helmut Schmidt vergangene Woche ins Kanzleramt bestellt, um drei Tage lang die Sozialliberalen für den Rest der Legislaturperiode auf den rechten wirtschafts- und finanzpolitischen Kurs zu trimmen.
Doch als sich die Minister und die zahlreichen Gäste am Mittwochmorgen auf den hochlehnigen Kabinettssesseln niederließen, war die wichtigste Entscheidung bereits gefallen -- zwei Tage zuvor, im Präsidium der FDP.
Gleich zu Beginn seines Vorgesprächs beim Kanzler am Montagabend hatte Hans-Dietrich Genscher die Marschorder resümiert, die er kurz zuvor von seinem Parteigremium mitbekommen hatte: »Für uns steht fest, daß die Tarifreform zum 1. 1. 1979 kommt.« Nach dem Gespräch meldete der FDP-Chef seinen Parteifreunden, daß die Forderung der Liberalen erfüllt sei. Genscher: »Ich brauchte mit dem Bundeskanzler nicht lange zu ringen.«
Der sozialdemokratische Regierungschef erwies sich, wieder einmal, gegenüber FDP-Wünschen als überaus flexibel. Noch vor wenigen Wochen, als die Freidemokraten zum ersten Mal entsprechende Wünsche vortrugen, hatte Schmidt eine Tarifreform bereits für 1979, und nicht erst für 1980, als »Schnapsidee« abgetan. Und sein Finanzminister Hans Matthöfer hatte getönt, er werde lieber Milliarden für die Modernisierung der Wirtschaft auswerfen, als die Steuern zu senken.
Davon war nun nicht mehr die Rede. Ende letzter Woche präsentierten die Bonner dem Wahlvolk einen ansehnlichen Geschenkkorb, der kaum Brauchbares zur Konjunkturankurbelung enthält, um so reichlicher aber milde Gaben, mit denen die Sozialliberalen für sich Stimmung machen können.
Um runde zehn Milliarden Mark wird danach die Lohn- und Einkommensteuer gesenkt, über zwei Milliarden gehen für eine ordentliche Aufbesserung des Kindergeldes drauf, und über drei Milliarden sollen Westdeutschlands Unternehmer zukünftig bei der Gewerbesteuer einsparen.
Einschließlich sozialer Wohltaten -- -- längerer Mutterschutz und früherer Ruhestand für Schwerbeschädigte -- kostet das Bonner Sommerprogramm die öffentlichen Kassen 1979 runde 15 Milliarden Mark. Sie sollten zum größten Teil durch höhere Schulden, zum kleineren durch Erhöhung der Mehrwertsteuer um einen Punkt ab Mitte nächsten Jahres bezahlt werden.
Ihr Versprechen auf dem Bonner Weltwirtschaftsgipfel, bis zu 13 Milliarden für die Konjunkturbelebung auszuwerfen, haben die Gastgeber damit eingelöst.
Doch mehr noch als die Außenwirkung interessierten Helmut Schmidt die innenpolitischen Folgen seines Steuer-Spektakulums. Der Regierungschef wollte den nach den jüngsten Landtagswahlen in Existenznot geratenen Liberalen, vor allem ihrem Vorsitzenden, einen vorzeigbaren Erfolg bescheren. Ein SPD-Minister: »Dem Kanzler ging es vor allem um die Stabilisierung Genschers.«
Der wendige Liberalen-Chef, der in den letzten Wochen zusehends in den Schatten des fleißigen Wirtschaftsministers Otto Graf Lambsdorff gerückt war, fand während der Kabinettsberatungen dank Helmut Schmidt wieder in seine Rolle als oberster Kulissenschieber zurück. Häufig tuschelte er abseits der Kabinettsrunde mit dem Kanzler, ständig gab er Regieanweisungen an seine FDP-Kollegen.
Als Genscher wegen einer Uno-Sicherheitsratssitzung am Donnerstag schnell mal nach New York mußte, vertagte Schmidt die endgültige Beschlußfassung im Kabinett rücksichtsvoll bis zur Wiederkehr des Außenministers am Freitagmittag. Kurz danach forderte der Kanzler seinen Vize auf, gemeinsam mit ihm die Konjunkturbeschlüsse vor der Presse zu verkünden.
Die Rücksicht auf den Chefliberalen und die Seinen ging noch weiter. Ohne Gegenwehr nahmen die Sozialdemokraten hin, daß liberale Propagandisten schon am Mittwoch, während das Kabinett noch tagte, in Bonn verbreiteten, die FDP habe sich voll durchgesetzt. Genscher selbst hatte aus dem Kanzleramt die Erfolgsmeldung an die Parteizentrale durchtelephoniert: »Es läuft alles.«
Großzügig glaubte sich Schmidt auch deswegen geben zu können, weil Demoskopen ihm exzellente Umfrageergebnisse gemeldet hatten. Nach den Recherchen von »Infas« und des Mannheimer Meinungsforschers Rudolf Wildenmann führt der Gipfel-Kanzler gegenwärtig mit Längen vor CDU-Chef Helmut Kohl.
Bei seiner Fürsorge für Hans-Dietrich Genscher nahm Helmut Schmidt sogar Ärger mit den eigenen Genossen in Kauf. Als sich einer beim Regierungschef wegen der Parteinahme für die Freidemokraten beschwerte, stellte der vor dem Kabinettsforum klar, worum es geht: »Ich bin der Kanzler einer Koalitionsregierung.«
Am meisten mußte Hans Matthöfer unter der Liaison Schmidt/Genscher leiden. Der Kanzler hatte den Finanzminister nicht von seiner Montags-Absprache mit Genscher unterrichtet, die Tarifreform schon 1979 voll durchzuziehen. So trug Matthöfer am Mittwochmorgen im Kabinett ganz arglos einen Zweistufenplan vor, wonach die Einkommensteuerreform auf die beiden nächsten Jahre verteilt werden sollte.
Darauf meldete sich sogleich Genscher: »Warum wollen Sie das in zwei Stufen machen?« Es sei doch politisch viel wirksamer, alles in einem Aufwasch zu erledigen. Der Kanzler widersprach nicht, Matthöfer mußte seinen Stufenplan wieder einpacken.
Während der Finanzverwalter auch sonst auf seine Kabinettskollegen unsicher und unvorbereitet wirkte, spielte Schmidt virtuos seine in langen Finanzminister- und Kanzlerjahren erworbene Sachkenntnis aus. Der Regierungschef jonglierte mit Zahlen, machte sich ständig Notizen und wurde nicht müde, bei den Experten Rückfragen zu stellen.
Dabei hatte vor allem Schmidt bis zuletzt bezweifelt, daß Steuersenkungen gegenwärtig für die Konjunktur sinnvoll seien. Intern erklärte er in den Tagen vor der Kabinettssitzung immer wieder: »Meine erste Priorität ist, nichts zu tun.« Allenfalls könnten, die zweite Priorität, nach dem Stabilitäts- und Wachstumgesetz die Steuern, zeitlich begrenzt, gesenkt werden.
Ökonom Schmidt hätte bei seinem Nein bleiben sollen. Denn keines der in den letzten Jahren lancierten Milliardenprogramme zauberte die gewünschten Wachstumsraten herbei. Offenkun-
* v. l. Finanzminister Hans Matthöfer, Finanzstaatssekretär Günter Obert. Bundesbankpräsident Otmar Emminger, Wirtschaftsstaatsekretär Otto Schlecht und wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff.
dig läßt sich kein Unternehmer von geringfügigen Entlastungen dazu bewegen, eine Investition zu wagen, die ihm ansonsten wenig gewinnbringend erscheint. Und kaum ein Arbeitnehmer stürzt sich, läßt ihm der Staat einige Mark mehr auf dem Konto, in einen Konsumrausch.
Solange die Kapazitäten nicht ausgelastet seien, Geld genug vorhanden und der Zins niedrig sei, könne man, so Bundesarbeitsminister Ehrenberg noch kürzlich, »nur schwer überzeugende Begründungen vorbringen, wie zusätzliche Steuererleichterungen ein kräftigeres Wirtschaftswachstum herbeiführen sollen«.
Gegen ein Konjunkturprogramm sprach auch, daß die bundesdeutsche Wirtschaft gegenwärtig von selbst besser in Schwung kommt. Das Geschäftsklima, so erkundete das Münchner Ifo-Institut, habe sich weiter verbessert, die Auftragsbücher füllten sich, »was darauf hindeutet, daß die konjunkturelle Schwächephase überwunden ist«.
Sogar für den Arbeitsmarkt gibt es leichte Hoffnung: In den vergangenen Jahren war die Zahl der Stellungslosen im Juli regelmäßig deutlich gestiegen. In diesem Jahr blieb sie konstant. Die Lage habe sich, so interpretieren die Experten der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit den Trend, »ein bißchen« gebessert.
Statt, wie sonst, Steuererleichterungen mit dem flotten Verlangen nach noch mehr Hilfen zu beantworten, reagieren Wirtschaftsvertreter dieses Mal denn auch eher vorsichtig. Sie befürchten, daß Bonns Geschenkprogramm -- weitgehend über eine höhere Verschuldung finanziert -- den Kapitalmarkt zu sehr belasten und die Zinsen in die Hohe treiben könnte (siehe Seite 23). Immerhin: Ein Prozent Zinssteigerung kostet die Wirtschaft rund sieben Milliarden Mark -- weit mehr, als die Manager aus Bonn erwarten können.
Obwohl des Kanzlers Milliarden-Gabe der Konjunktur kaum hilft, obwohl sie womöglich die Zinsen nach oben treibt -- das Präsent für die Welt draußen und die Koalition drinnen bringt gleichwohl auch Gutes unters Volk.
Die Reform der Lohn- und Einkommensteuer etwa war dringend geboten. Bislang springt der Steuersatz, sobald das Einkommen 16 000 Mark bei Ledigen und 32 000 Mark bei Verheirateten übersteigt, von 22 gleich auf 30,8 Prozent. Da fast die Hälfte aller Arbeitnehmer diese 1974 festgelegten Einkommensgrenzen inzwischen überschritten hat, nahm der Unmut über den plötzlichen Zugriff des Staates in den letzten Jahren stetig zu. Jetzt soll die Progression von 22 Prozent an gleichmäßig nach oben gehen.
Vernünftig erscheint auch die Korrektur des Kindergeldes, das vom 1. Januar 1979 an für das dritte und jedes weitere Kind um 45 Mark auf 195 Mark und von 1980 an für das zweite Kind um 20 auf 100 Mark angehoben werden soll.
Vertretbar schließlich sind die sozialen Komponenten des Bonner Programms: Wenn der Mutterschutz verlängert wird (von zwei auf sechs Monate nach der Geburt) und wenn Schwerbeschädigte künftig schon mit sechzig Jahren in Rente gehen können (statt wie bisher mit 62), dann dürften dadurch auch einige Stellen auf dem Arbeitsmarkt frei werden.
Schwerer als mit diesen Beschlüssen taten sich die Koalitionäre bei der geplanten Steuerentlastung für die Wirtschaft. Zwölf Stunden lang beschäftigten sich die Minister mit der sogenannten Lohnsummensteuer. Mit dieser Variante der Gewerbesteuer knöpfen vor allem Großstädte in Nordrhein-Westfalen ihren Betrieben Geld ab. Das Besondere: Die Höhe der Steuer ist abhängig von der Höhe der Lohnzahlungen -- ein Kuriosum in einer Zeit, da für die Schaffung neuer Arbeitsplätze vom Staat Milliarden ausgeschüttet werden.
So einhellig jedoch Sozial- wie Freidemokraten dafür plädierten, diese widersinnige Steuer abzuschaffen -- keiner wußte so recht, wie die betroffenen Gemeinden entschädigt werden könnten. Noch am Mittwoch hatte der nordrhein-westfälische Finanzminister Diether Posser (SPD) in einem Brief an seinen Bonner Kollegen Matthöfer gewarnt, die Abschaffung der Lohnsummensteuer sei »nur im Rahmen einer Gemeindefinanzreform möglich, keinesfalls aber im Zuge einer kurzfristigen konjunkturpolitischen Steuersenkungsaktion«.
Die Bonner sahen schließlich ein, das Posser recht hat. Bund, Länder und Kommunen müssen nun darüber verhandeln, wie die Gemeinden, die einen Teil ihres Budgets aus der Lohnsummensteuer betreiben, schadlos gehalten werden können.
Daß sie trotz eines zermürbenden Verhandlungsmarathons, zu dem am Freitagmorgen noch die sozialdemokratischen Länderfinanzminister nach Bonn beordert worden waren, keine endgültige Entscheidung über die Abschaffung der Lohnsummensteuer treffen konnten, tat der Siegesstimmung von Schmidt und Genscher freilich keinen Abbruch.
Vor den Bonner Journalisten präsentierten sich der Chef und sein Vize am Freitagmittag wie zwei unzertrennliche Brüder. »Durchaus zufrieden« gab sich Schmidt da, und er verriet über seinen Gemütszustand: »Ich fühl« mich durchaus heiter.«
Das wird wohl nicht lange anhalten. Denn noch ist keineswegs sicher, daß die Sozialdemokraten im Bundestag bei der Absegnung des Pakets geschlossen mitziehen. Vor allem den Linken dürfte kaum entgehen, daß von der Tarifreform die liberale Mittelstandsklientel besonders profitiert. Einem verheirateten Arbeitnehmer mit einem Kind, der 2000 Mark im Monat verdient, bringt die Reform im Monat 14,17 Mark, wer bei gleichem Familienstand 10 000 Mark im Monat brutto macht, hat von der Tarifreparatur stattliche 150,17 Mark.
Ärger gibt"s gewiß auch mit der Unionsmehrheit im Bundesrat. Die Christdemokraten kündigten bereits an, daß sie bei der Mehrwertsteuer mauern werden. Ohne den zusätzlichen Punkt Mehrwertsteuer aber ist das aufwendige Programm kaum zu bezahlen.
Der Parlamentarische Staatssekretär im Finanzministerium, Rolf Böhme, kann daher auch des Kanzlers Euphorie nicht teilen. Böhme säuerlich: »Da wird uns noch einiges blühen.«