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BUNDESLÄNDER / BODENREFORM Stilles Begräbnis

aus DER SPIEGEL 18/1969

Die Sache war delikat und vertraulich, und Baden-Württembergs Landtagsabgeordnete, die sie anging, sprachen kein einziges Wort.

Nur ein paar der 127 Parlamentarier kannten die Akten, doch alle -- Christdemokraten wie Sozialdemokraten, Freie Demokraten wie Nationaldemokraten -- stimmten für »Antrag Drucksache 732 betr. Abschluß der Bodenreform« und bewilligten 1,35 Millionen Mark -- für Johannes Prinz von Thurn und Taxis und Georg Fürst von Waldburg zu Zell, die dem Land Land vermacht hatten.

So endete als stilles Begräbnis, was gleich nach dem Kriege dem Land und den Deutschen zu neuem Leben verhelfen sollte: der Versuch, mit Paragraphen gegen Grafen und Freiherren, Fürsten und andere Grollagrarier »eine gerechtere Verteilung des landwirtschaftlichen Grundeigentums herbeizuführen« (Präambel des württembergisch-hohenzollerischen Bodenreformgesetzes von 1948).

Gesetze mit solchen und ähnlichen Formeln hatten damals die drei West-Alliierten nahezu allen Landtagen von Schleswig-Holstein bis Bayern aufgenötigt. Und die deutschen Gesetzgeber zogen mit -- die bürgerlichen Parteien, um den vertriebenen Bauern neues Land zu verheißen; die Linken, weil sie in der Reform ein Mittel zur gesellschaftlichen Umwälzung wähnten.

Dem oberschwäbischen Fürsten Waldburg-Zeil zum Beispiel wurde ein »Abgabe-Soll« von 1024 Hektar Grund und Boden auferlegt. In Bayern sollten die Großagrarier 37 000 Hek-

* Vor seinem Schloß Garatshausen am Starnberger See.

tar, 39 Prozent ihrer Flächen, abgeben. Die britische Militärregierung wollte in ihrer Zone nur noch Landbesitz bis zu jeweils 150 Hektar dulden. Für die französische und die US-Zone galten detaillierte »Landabgabetabellen«.

Anders als im sowjetisch besetzten Teil Deutschlands, wo Großgrund- und Gutsbesitzer gleich 1945 entschädigungslos enteignet worden waren, sollte im Westen die Reform regulär vonstatten gehen: gegen »angemessenes« Entgelt, berechnet nach dem Ertragswert -- Boden gegen bar.

Die meisten Land-Leute indes -- und vor allem die hektarreichen Adeligen -- verhielten sich so, daß die Münchner amerikanische »Neue Zeitung« schon 1949 »Widerstand überall« und »lustlose Tendenz« meldete.

Die Tendenz wurde bald zur Renitenz. Das Haus Waldburg-Zeil etwa ließ sich erst vier Jahre nach dem ihm zugemessenen Abgabe-Soll von 1024 Hektar Land dazu herbei, kümmerliche 20 Nektar, später weitere 133 Hektar freiwillig abzutreten -- und selbst die nicht zu dem vom Staat festgesetzten Preis, sondern nur unter dem Rechtsvorbehalt späterer Nachforderungen.

Auch andere Grundherren wollten weniger Land hergeben oder höhere Entschädigungssummen erzielen oder beides. Und dem Landessiedlungsamt beispielsweise ging sehr rasch auf, »daß die Großgrundbesitzer ... in der Regel den Rechtsmittelweg ausschöpfen«.

Am nachhaltigsten -- über 20 Jahre hinweg -- schöpften das bayrische Haus Thurn und Taxis sowie das schwäbische Haus Waldburg-Zeil:

* Zusätzlich 600 000 Mark kassierte Johannes Prinz von Thurn und Taxis, Regensburg, dank seiner Ausdauer von der baden-württembergischen Staatskasse;

* mit 750 000 Mark Steuergeldern bekommen nun Georg Fürst von Waldburg zu Zeil und Trauchburg und sein Bruder, Graf Alois, ihre Beharrlichkeit honoriert.

»Diejenigen, die am hartnäckigsten Widerstand geleistet haben und zudem noch die wirtschaftlich Stärksten sind, werden nun gegenüber allen anderen Landabgebern bevorzugt, und das empfinde ich als unbefriedigend«, kritisierte der Stuttgarter CDU-Finanzminister Robert Gleichauf jüngst in einer Kabinettssitzung. Ändern konnte aber auch er nichts mehr.

Schon in den fünfziger Jahren hatten die Bundesländer durch Parlamentsbeschlüsse oder Bodenreform-Abschlußgesetze die Landabgabeverpflichtungen immer minimaler, die staatlichen Entschädigungssummen immer generöser werden lassen. So wurden entgegenkommend alle strittigen Bodenreform-Fälle bereinigt -- bis auf die drei derer von Thurn und Taxis und von Waldburg-Zeil.

Mit Hilfe der Rechtsprechung machte das prinzlich-fürstlich-gräfliche Triumvirat den Bodenreform-Traum vollends zum Behörden-Trauma.

»Im Namen des Volkes« bestätigte der Bundesgerichtshof Ende 1966 ein Stuttgarter Oberlandesgerichtsurteil, wonach bei Bodenreform-Grundstücken nicht mehr, wie 1948 gedacht, vom bescheidenen »Ertragswert« auszugehen sei, sondern vom sogenannten »gemeinen Wert«, also dem durch Landknappheit und Bodenspekulation stark erhöhten Verkehrswert.

Da der Fürst Waldburg-Zeil überdies (in einem anderen Verfahren) beim BGH grünes Licht für beliebig viele Landaufkäufe erstritten hatte, dämmerte nun auch dem baden-württembergischen Justizministerium, daß der Bodenreform jetzt endgültig der Boden entzogen ist. Denn, so kombinierte der zuständige Ministerialreferent:

* »Eine Weiterverfolgung der Landabgabeverfahren erscheint schon deshalb nicht sinnvoll, weil als Gegenleistung der volle Verkehrswert bezahlt werden müßte, zu dem das Land jederzeit auch anderweitig landwirtschaftliche Grundstücke erwerben könnte«;

* »außerdem ist es den Landabgebern ja nicht verwehrt, die Entschädigungszahlungen für neue Landaufkäufe zu verwenden.«

Auch der CDU-Abgeordnete Gerhard Weng, Lehnsmann und Vertrauter des betroffenen Fürsten Waldburg-Zell, erkannte richtig: »Der Wind weht gegen das Land.« Und der Prinz, der Graf und der von MdL Weng beratene Fürst winkten mit Entschädigungs-Nachforderungen über 4,45 Millionen Mark zuzüglich Zinsen.

Durch solche Summen aufgeschreckt, empfanden Baden-Württembergs Regierung und Abgeordnete die Adels-Abfindung von 1,35 Millionen Mark noch als gutes Geschäft: Als letztes Bundesland wurde damit auch Deutsch-Südwest die Bodenreform los -- ohne daß die Großgrundbesitzer ihren Boden losgeworden wären.

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