ENGLAND / DIMBLEBY Stimme der Nation
Wenn wir jemals ein Staatsereignis ohne seinen Kommentar erleben sollten« - so umschrieb das britische Massenblatt »Guardian«, was der bullige Mann mit Doppelkinn dem Inselvolk bedeutet -, »dann müßten wir vermuten, das Ende der Monarchie stehe unmittelbar bevor.« Seit Ende letzten Monats bleiben seine Kommentare aus.
Richard Dimbleby, 52, beliebtester Fernseh-Kommentator Großbritanniens, als Urbild des souveränen, unerschütterlichen TV-Sprechers nicht nur in England bewundert, schickte am Freitag vorletzter Woche seinen Sohn vor die BBC-Kameras, eine Botschaft auszurichten: Er, Richard Dimbleby, habe sich operieren lassen. »Sie sollen wissen«, ließ er den Sohn David, 27, sagen, »daß ich Krebs habe.«
Am Sonnabend erschien die Nachricht auf den Frontseiten britischer Zeitungen, neben den Schlagzeilen zum Rhodesien-Konflikt. Mit Hunderten von Briefen und Anrufen im Londoner St.-Thomas-Hospital erwies das Zuschauervolk seine Anteilnahme.
Auffälligstes Merkmal des britischen TV-Idols ist seine Unauffälligkeit, mit der er vor die Kamera tritt: »Ölig, füllig, das joviale Antlitz in die stets gleichen feierlichen Falten gelegt« - so beschrieb die Schweizer »Weltwoche« sein Auftreten. Die britische »Daily Mail« ergründete das Geheimnis seiner
Wirkung: »Für Millionen Menschen kündigen sich große Ereignisse mit Dimblebys Stimme an - er faßt ihrer aller Gedanken in Worte.«
Er tut es seit nahezu 30 Jahren. Bereits 1936 schlug Dimbleby, der eigentlich Chirurg hatte werden wollen, der British Broadcasting Corporation vor, das Nachrichtenprogramm durch Reportagen zu beleben. Erster BBC-Reporter wurde Dimbleby selbst; sein erster Interview-Partner war die wegen extremer Milchleistungen preisgekrönte Kuh »Cherry«.
Seither sprach Dimbleby - nebenher Filmproduzent und Herausgeber mehrerer Provinzzeitungen - bei nahezu allen geschichtsträchtigen Zeitereignissen aus, was die Nation bewegte: Er beschrieb die europäischen Kriegsschauplätze, den Übergang britischer Truppen über den Rhein und den Fall Berlins. Sein Fernseh-Debüt hatte er bereits 1938 in einer Versuchssendung gegeben: Er interviewte den Premierminister Chamberlain, als der von seinem historischen treffen mit Hitler aus München zurückkehrte.
Dimbleby schilderte die Krönung der Königin Elizabeth II. und die Weihe des Papstes Johannes XXIII. Einstimmig wählten ihn die Eurovisions-Sender zum Sprecher, als 1962 zum erstenmal TV- Eurovisions - Programme über den Satelliten »Telstar« zwischen den USA und Europa ausgetauscht wurden. Gelassen, als plaudere er mit Freunden am Kamin, erstattete er einem 200 - Millionen - Publikum Bericht: Während ringsum die Techniker an ihren Kontrollschirmen nervös dem sich von Minute zu Minute hinauszögernden technischen Jahrhundertereignis entgegenharrten, stand Dimbleby, eine Hand lässig in der Seitentasche seines glanzlosen Zweireihers, vor der Kamera und sagte: »Es wird noch etwas dauern, bis dahin möchte ich Ihnen erzählen...«
Als »Meister in der Kunst des Improvisierens« bestaunen ihn seine deutschen TV-Kollegen. Das Meisterstück im Überbrücken toter Zeit gelang ihm bei einer Live-Sendung anläßlich der Margaret-Hochzeit Im Mai 1960: 55 Minuten lang hielt er das TV-Volk mit Hofklatsch bei Laune und am Bildschirm.
Seit fünf Jahren, so wurde jetzt bekannt, weiß Dimbleby von seiner Krankheit. »Daß Ich in all diesen Jahren nie davon gesprochen habe«, so ließ er jetzt durch seinen Sohn mitteilen, »hat einen einfachen Grund: Ich konnte immer meine Sendung machen und habe keinen einzigen Tag gefehlt.«
BBC-Reporter Dimbleby: »Ich habe Krebs«
* Bei einer Fernsehsendung über das Kanalisationssystem in London.