Prozesse Stolz auf Defizite
Gerhard Mayer-Vorfelder, badenwürttembergischer Finanzminister und Präsident des VfB Stuttgart, erfreut sich nicht nur an den Schlachtgesängen der Fußballfans. Auch anspruchsvolleren Klängen lauscht er hin und wieder gern.
Begeistert applaudierte der CDU-Mann vor zwei Wochen bei den Ludwigsburger Schloßfestspielen dem Dirigenten Professor Wolfgang Gönnenwein, 63. Er habe, schwärmte Mayer-Vorfelder beim Empfang nach der Verdi-Oper »Il Corsaro«, »den Abend genossen«.
Auch Gönnenwein fühlte sich sehr wohl. Nicht nur wegen des Lobes. Noch lieber vernahm der ehemalige Generalintendant der Stuttgarter Staatstheater beim Umtrunk auf der Hinterbühne einen Verriß, der anderen galt.
Der Minister erregte sich über die allzu emsige Staatsanwaltschaft der Landeshauptstadt. Er habe »keinerlei Verständnis« dafür, so ein zorniger Mayer-Vorfelder, daß die Justiz »hochrangige Persönlichkeiten als Experimentierfeld benutzt«.
Die Juristen haben Gönnenwein mit einer Anklage überzogen, die von Finanzexperten mit großem Interesse verfolgt wird. Der Musiker muß sich von Dienstag dieser Woche an wegen Haushaltsuntreue vor einer Wirtschaftsstrafkammer des Stuttgarter Landgerichts verantworten.
Der Fall gilt als eine Art Pilotverfahren. Sollten Gönnenwein und der mitangeklagte frühere Verwaltungsdirektor der Bühnen, Rolf Quati, verurteilt werden, ist republikweit eine Flut ähnlicher Prozesse denkbar.
Die Ermittler werfen Gönnenwein und Quati vor, »entgegen ihrer vertraglichen Stellung« die ihnen übertragenen Aufgaben »nicht ordnungsgemäß ausgeführt zu haben«. In »über 2000 Einzelakten«, von der Handwerkerrechnung bis zu Honorarverträgen für Stargäste, hätten sie Steuermittel ohne die erforderliche Genehmigung durch das Finanzministerium ausgegeben.
Die Staatsanwaltschaft überprüfte das Finanzgebaren der Theaterleiter zwischen 1985 und 1990. Vor Gericht wird jedoch lediglich das Haushaltsjahr 1990 verhandelt. Insgesamt, so die Anklage, habe das Duo 4,3 Millionen Mark nicht vorschriftsgemäß für die Kunst verpraßt.
Für Mayer-Vorfelder, dessen Ministerium die Finanzmittel für die Staatstheater veranschlagt, sind das offenbar läßliche Sünden. Er spendete dem Verdi-Interpreten Gönnenwein demonstrativ Trost: »Stehen Sie's durch, und lassen Sie sich auch nicht drausbringen, wenn's ein paar Verrückte gibt.«
Die Superkarriere des Kunstschaffenden Gönnenwein begann 1985. Der damalige Ministerpräsident Lothar Späth wollte die Stuttgarter Staatstheater weltberühmt machen. Was Daimler-Benz für die Wirtschaft war, das sollten Schauspiel und Oper für die Kultur werden: internationale Spitze. Nebenbei ließ sich damit der Ruf des Ministerpräsidenten, ein kunstsinniger Mensch zu sein, beträchtlich mehren.
»Der Lothar Späth hat halt an der Kunscht einen Narren gefressen«, so beschreibt der Stuttgarter Oberbürgermeister Manfred Rommel (CDU) eine der Leidenschaften des Ex-Regierungschefs: »Von Gönnenwein wurde Großes erwartet.«
Laut Gönnenwein verlangte Späth von ihm, »die Qualität von Oper und Schauspiel, zusammen mit Schauspieldirektor Ivan Nagel, zu steigern und die stilistische Breite des Repertoires zu erweitern«. Und das sei auch gelungen.
Obwohl die Stadt Stuttgart und das Land Gönnenweins Vertrag bis 1997 verlängern wollten, gab der Generalintendant 1992 auf. Grund waren persönliche Differenzen mit der SPD-Politikerin Brigitte Meyer-Soyka, die 1992 Kunstministerin in der Großen Koalition geworden war.
Seitdem konzentriert sich Gönnenwein auf die Ludwigsburger Schloßfestspiele, die er schon seit 24 Jahren leitet.
Als Generalintendant, verteidigt sich Gönnenwein, sei er sich zwar der »künstlerischen und wirtschaftlichen Gesamtverantwortung bewußt« gewesen, habe sich »jedoch nicht als mein eigener Oberbuchhalter« verstanden. Für die Finanzen der Theater sei vor allem der frühere Verwaltungschef Quati verantwortlich gewesen.
Der weist die Vorwürfe zurück. Er habe Gönnenwein mehrmals auf die Probleme aufmerksam gemacht und gewarnt. Der Generalintendant habe jedoch nicht sparen wollen.
Ein Hauptproblem aus Sicht von Gönnenwein: »Haushaltsjahr und Spielzeit waren nie deckungsgleich.« Dem versuchte der Künstler laut Anklage, immer häufiger durch nicht genehmigte Millionenvorgriffe auf den nächsten Etat abzuhelfen. »Wir haben da«, sagt Gönnenwein heute, »so eine Bugwelle vor uns hergeschoben.«
Die Politiker seien aber stets über die finanziellen Engpässe informiert worden. Vor allem Lothar Späth sei in unzähligen Telefonaten und Gesprächen immer wieder auf die »strukturelle Unterfinanzierung« der Theater angesprochen worden.
Gönnenwein fühlt sich von der Staatsanwaltschaft denn auch unschuldig verfolgt: »Ich habe keine Untreue begangen, ich habe kulturellen Mehrwert geschaffen.« Daß die »Kulturexpansion« in Stuttgart finanzielle Folgen hatte, sei »politischer Wille« gewesen. Der Landtag habe die beanstandeten Ausgaben »im nachhinein gebilligt«.
Zur eigenen Entlastung verweist der Ex-Intendant auf andere Kulturzentren der Republik. In München etwa seien die Politiker »stolz, daß die Kultur Defizite macht. Da wird jede Mehrausgabe genehmigt«. Auch in Hamburg oder Berlin produzierten die Bühnen Riesendefizite.
Manfred Rommel, als Vertreter der Stadt im Verwaltungsrat der Staatstheater, springt dem Angeklagten bei. Gönnenwein habe »nichts verschwiegen«, ihn jetzt strafrechtlich zu belangen, sei »außerordentlich problematisch«. Was Gönnenwein angelastet werde, sei schließlich überall im Staat gang und gäbe.
Genau das könnte für Bürgermeister, Finanzdezernenten, Minister oder Intendanten quer durch die Republik zum Problem werden, sollte Gönnenwein verurteilt werden. Denn wie der ehemalige Generalintendant Stuttgarts gehen auch andernorts nicht nur Kulturschaffende, sondern auch Beamte oder öffentliche Bauherren häufig allzu freihändig mit Steuergeldern um.
Bislang, beklagt Freidemokrat Werner Schmidt-Hieber, seit 1994 Oberbürgermeister von Waiblingen und davor Oberstaatsanwalt in Stuttgart, sei meist nur dann ermittelt worden, »wenn es um kleine Summen und machtlose Täter« ging - etwa bei einem Lehrer, »der mangels anderweitiger Deckung Geld für eine Fortbildungstagung aus der Portokasse der Schule nimmt«.
Daß es kaum Anklagen wegen Haushaltsuntreue gebe, hänge damit zusammen, daß »die Justiz vor Politik und Parteien einen übergroßen Respekt zeigt«. Der Fall Gönnenwein ist der erste, in dem es einen Prominenten trifft.
Schmidt-Hieber fordert Gleichbehandlung für alle; es sei nicht akzeptabel, daß etwa Minister unbehelligt blieben, »wenn sie den vorgegebenen Betrag für ihren Dienstwagen wesentlich überschreiten«.
Auch das sogenannte Dezemberfieber in den Behörden hält der Waiblinger OB für ein Phänomen, das Juristen prosaisch als Haushaltsuntreue einstufen könnten.
In Verwaltungen ist es seit Jahrzehnten üblich, kurz vor Jahresende sämtliche noch vorhandenen Mittel auch für unnütze Anschaffungen auszugeben, damit der Etat im Folgejahr nicht gekürzt wird. Franz-Reinhard Habbel, Sprecher des Deutschen Städte- und Gemeindebundes in Düsseldorf, schwant: »Das ist wohl ein Thema, mit dem wir uns verstärkt befassen müssen.«
Lothar Späth, Manfred Rommel und Gerhard Mayer-Vorfelder haben demnächst Gelegenheit, ihre Interpretation von Haushaltsuntreue öffentlich vorzutragen. Sie sind als Zeugen im Gönnenwein-Prozeß geladen.