GEHEIMDIENSTE Stolz auf Otto
Wie Thüringens Innenminister sich verteidigte, war das ein Lehrstück in spitzfindiger Polit-Rhetorik. »Ich kann eindeutig versichern«, tönte Christian Köckert am Dienstag vergangener Woche selbstsicher, »dass der Verfassungsschutz keinen rechtsextremen Spitzenfunktionär als Quelle führt.« Das war zu diesem Zeitpunkt wohl richtig - der stellvertretende NPD-Landesvorsitzende Tino Brandt, Anlass für Köckerts Verteidigungsrede, arbeitete vergangene Woche nicht für den Verfassungsschutz.
Nicht mehr.
Aber: Der Geheimdienst führte den Neonazi-Aktivisten und hochrangigen NPD-Funktionär Brandt in seinen Akten als V-Mann Nummer 2045, Deckname »Otto« - noch bis vor wenigen Wochen. Kleinlaut ließ Köckert am Donnerstagabend vergangener Woche dann im Landtag verbreiten, man habe eine langjährige Quelle Anfang des Jahres abgeschaltet.
Der Einsatz von Spitzen-Neonazis in Thüringen bringt nun nicht nur Minister Köckert in Bedrängnis, dessen Rücktritt die Opposition fordert. Er könnte auch das Verbotsverfahren der Bundesregierung gegen die rechtsextreme NPD belasten.
Denn »Otto« galt als Spitzenmann der Thüringer Geheimen. Allein etwa zwei Dutzend wichtigere Meldungen über die NPD und die Neonazi-Vereinigung »Thüringer Heimatschutz« reichten die Erfurter Verfassungsschützer pro Jahr stolz an ihre Kollegen im Bund weiter. Bis zu 40 000 Mark ließ sich das Amt die Arbeit des Jungrechten jährlich kosten - ein Spitzensalär für einen Spitzenspitzel.
Tino Brandt, 26, war nicht nur die Nummer zwei der rechtsextremen NPD im Lande, sondern als einer der Köpfe des »Heimatschutzes« auch an zentraler Stelle in Neonazi-Aktionen in der Region eingebunden. »Die Grenzlinie zwischen Verfassungsschutz und rechter Szene ist nicht mehr erkennbar«, urteilt der PDS-Fraktionsvize Bodo Ramelow. »Ohne das viele Geld des Verfassungsschutzes hätte Brandt nicht so effektiv agieren können.« Und NPD-Chef Udo Voigt, 49, feixt: »Die ausgesprochen konstruktive Arbeit des Kameraden Brandt hat sehr dazu beigetragen, dass der Landesverband Thüringen politisch wieder Tritt gefasst hat.« Brandt selbst lehnte vergangene Woche eine Stellungnahme ab.
Der heikle Fall könnte eine Rolle im NPD-Verbotsverfahren spielen, weil Brandt, der bei dem rechtsextremen Verlag Nation + Europa in Coburg im Buchversand arbeitete, mittlerweile in der rechten Szene bundesweite Bedeutung hat: Als die NPD im vergangenen Jahr in einen gemäßigten und einen radikalen Flügel zu zerfallen drohte, trat der Thüringer als Sprecher der »Revolutionären Plattform in der NPD« auf. Die Plattform galt den Verfassungsschützern als ein Beleg dafür, wie sehr sich die NPD für das Neonazi-Lager geöffnet hat - was ein Verbot befördern dürfte.
In einer 560-seitigen Anlage zum Verbotsantrag ("VS - Nur für den Dienstgebrauch") wird Tino Brandt als einer der Aktivisten aufgelistet, die die NPD radikalisieren. NPD-Chef Voigt sieht durch den Fall seine These gestützt, dass der Verfassungsschutz die Partei durch V-Leute in die Neonazi-Ecke treibe, auf dass sie dann verboten werden kann.
Der Kontakt der Verfassungsschützer zu »Otto« entstand 1994 noch unter dem damaligen Behördenchef Helmut Roewer. Je höher der Neonazi in der bundesdeutschen Szene-Hierarchie aufstieg, desto wichtiger wurde die Quelle. Im Mai vergangenen Jahres wurde V-Mann Nummer 2045 seinen Auftraggebern schließlich zu heiß. Selbst das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte diskret gewarnt. Die Geheimen boten ihm einen getarnten Ausstieg aus der Szene an. »Otto« lehnte ab, er wollte bei den Kameraden bleiben. Daraufhin beendete Roewer die Zusammenarbeit.
Allerdings musste der Geheimdienstchef wenig später selbst gehen - wegen eines anderen aufgeflogenen Spitzels, des Neonazis Thomas Dienel (SPIEGEL 40/2000). Kaum war der alte Chef aus dem Amt, nahmen die Geheimen den Kontakt wieder auf. Warnungen besorgter Mitarbeiter soll Köckert dabei ignoriert haben.
Als der neue Behördenchef Thomas Sippel Mitte November antrat, verkündete er noch markig: »Ein V-Mann darf nicht in der Führung ganz oben sitzen.«
Doch da war es schon zu spät. »Otto« saß ganz oben, und »Otto« lieferte wieder.
Abgeschaltet wurde er erst vor kurzem. Noch am 3. Mai trafen sich die Geheimen und ihr bester Mann in Coburg - zu einem so genannten Nachsorgetreffen.
Während sich Köckert am vergangenen Donnerstag noch in Sachen Brandt rechtfertigte, bahnte sich bereits das nächste Problem an: Ein weiterer führender Nazi-Kader, so sickerte durch, arbeitete bis vor kurzem für den Verfassungsschutz. Der Jungrechte war einer der Führer der Mitte September vergangenen Jahres verbotenen bundesweiten Szene-Organisation »Blood & Honour«. Bei einer Durchsuchung seiner Wohnung anlässlich des Verbots fanden die Ermittler allerdings fast nichts - der Neonazi habe, so heißt es bei frustrierten Fahndern, offenbar von Thüringer Kollegen eine Warnung erhalten. ALMUT HIELSCHER, HOLGER STARK,
STEFFEN WINTER