»Strauß- und Dregger-Reden studieren«
Schon als Student mußte ich mit Empörung erleben, wie die intellektuellen Väter der Frankfurter Schule in ihren Lehrveranstaltungen von den intellektsfeindlichen »studentischen Aktionisten« terrorisiert wurden. Adornos posthum erschienener letzter Text »Marginalien zur Theorie und Praxis« setzt sich mit diesen »Aktionisten« auseinander. Auch Habermas« gesammelte Texte »Protestbewegung und Hochschulreform« sprechen den Diffamierern um Strauß und Dregger hohn, die den Terrorismus als Vorwand nehmen, um kritisches Denken in Deutschland auf Index zu setzen.
In Göttingen mußte ich als Professor selbst Objekt des Psychoterrors der neuen Aktionisten, der stalinistischen K-Gruppen« werden, die ebenso wie Strauß und Dregger die Frankfurter Schule am liebsten verbieten würden. Als ich meine Hauptvorlesung im Wintersemester 1976/77 »Einführung in die Kritische Theorie der Frankfurter Schule« ankündigte, rief der Göttinger Kommunistische Bund Westdeutschlands (KBW) zur Störung meiner Vorlesung auf. Auf einer der Wandzeitungen war zu lesen:
Wir müssen dieses Denken der Frankfurter Schule an unserem Fachbereich vernichten.
Habermas sieht korrekt bei Strauß und Dregger eine Manier, »die sonst nur noch im Einflußbereich stalinistischer Bürokratien Anklang findet«.
Als ich meine Entscheidung für Deutschland als Wahlheimat traf, dachte ich an ein Land, in dem kulturell Hegel und Marx und in deren Tradition stehend die Frankfurter Schule wirkten und in dem ein liberaler Rechtsstaat mit vorbildlichem Grundgesetz auf den Trümmern des Faschismus sich zu konstituieren begann. Ein solches Land hatte ich in Gedanken, als ich mich entschied, ein deutscher Staatsbürger zu werden und als Preis dafür sogar sämtliche Kosten meiner Ausbildung mit Zinsen zu zahlen.
Wenn ich die Diffamierungen der Intellektuellen durch Strauß und Dregger höre und lese, frage ich mich, ob ich richtig entschieden und gehandelt habe; ich denke mit Habermas dann darüber nach, »wie es sich in einem Lande lebt, wo sich der physische Terror der einen im verbalen Terror der anderen spiegelt«. Zuerst waren Brandts Parole »mehr Demokratie wagen« und die durch die sozialdemokratischen Reformen gewonnene Liberalität Ursachen des Terrorismus.
»Nun ist also die »Frankfurter Schule« dran«, wie HaL-ermas nach den propagandistischen Äußerungen eines Dregger vernimmt, übrigens ein Politiker, der noch vor wenigen Monaten laut »Frankfurter Rundschau« das despotisch regierte Persien nach einem Besuch als Vorbild für die »Freie Welt« angab. Brandt, der »mehr Demokratie« in Deutschland wagen wollte, muß sich von Strauß eine »ich darf sagen, deutschfeindliche Haltung« vorwerfen lassen. Die intellektuellen Väter der Frankfurter Schule, die, wie Brandt, nach 1933 Deutschland verlassen haben, weil es nicht mehr das Land war, dem sie sich verbunden fühlten, werden auch vielleicht als »deutschfeindlich« angesehen. War Brandts Demokratisierung Ursache des Terrorismus, so ist nun die Anstrengung des Begriffes durch Horkheimer und Adorno schuld daran.
Nicht ein von barbarischer Geistfeindschaft und Volksjustiz beherrschtes« nicht ein nach dem Wollen Dreggers und Strauß« geformtes Deutschland, sondern ein Land, in dem Hegel und Marx, Adorno und Horkheimer wirkten und in dem Grundrechte unaufhebbarer Bestandteil der Verfassung sind, motivierte mich, ein deutscher Staatsbürger zu werden.
Auch ich werde wie Habermas die Reden von Strauß und Dregger studieren und deren Verhalten beobachten, um zu wissen, wann ich meinen Koffer packen muß, um eine andere Wahlheimat zu suchen. Göttingen PROF. DR. BASSAM TIBI geboren als Araber