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Mittelmeer Suche nach Quellen

Extreme Trockenheit an der Nordküste des Mittelmeers - eine Katastrophe droht.
aus DER SPIEGEL 34/1990

Im Parthenon-Tempel auf der Akropolis stellten die alten Athener eine Statue der Göttin Erde auf, die den »wolkenbringenden« Göttervater Zeus um Regen anflehte. Nach 2400 Jahren ist der Wunsch noch immer aktuell.

Nicht nur in Athen, sondern fast an der ganzen nördlichen Mittelmeeerküste, von Südfrankreich bis zum Bosporus, wird das Wasser knapp. Seen und Flüsse trocknen aus, Anbaugebiete veröden, die Trinkwasservorräte schwinden. Griechische Zeitungen sehen »eine Katastrophe biblischen Ausmaßes« nahen.

Schon 1989 hatte Südeuropa unter monatelanger Trockenheit gelitten, dieses Jahr aber sieht es noch schlimmer aus. In Frankreich liegt die Niederschlagsmenge in einem Drittel des Landes um 50 Prozent unter den Normalwerten. Auf Italien gingen 40 Prozent weniger Regenfälle nieder als im Vorjahr. Griechenland erlebt gar die verheerendste Trockenheit der letzten 100 Jahre.

In Istanbul fließt das Wasser nur vier Stunden täglich aus den Hähnen. Die Stadtverwaltung hat für 577 000 Dollar eine US-Firma beauftragt, die Wolken für die Stadt regnen zu lassen.

Griechische Staubecken und Wasserspeicher sind längst ausgetrocknet. In Süditalien vertrocknete die Hälfte der Oliven. Traditionelle Agrar-Exportländer müssen erstmals Obst und Gemüse importieren: Ende Juli führte Griechenland Tomaten aus Holland ein.

Hilfesuchend wenden sich die Südstaaten der Europäischen Gemeinschaft an Brüssel. Landwirtschaftliche Genossenschaften in Griechenland melden erste Dürreschäden in Höhe von 1,6 Milliarden Mark und fordern Ersatz. Werde gezahlt, argumentieren die Bittsteller listig, müsse der Brüsseler Gemeinschaftskasse letztlich ein Gewinn erwachsen, denn sie brauche ja keine Subventionen zu leisten.

Die EG-Landwirtschaftsminister vertagten ihre Entscheidung auf Ende September, bewilligten aber eine Gratislieferung von 250 000 Tonnen Gerste und 300 000 Tonnen Mais zur Fütterung griechischen Viehs.

Die Baumwollbauern im mittelgriechischen Anbaugebiet Kopais kümmert der Durst von Stadtmenschen nicht - sie pochen auf die ihnen zugesicherte Wassermenge für ihre Felder. Schon läßt die Athener Wassergesellschaft ihre Vorräte durch bewaffnete Wachtposten rund um die Uhr vor »Wasserpiraten« schützen, die nächtens Staubecken und Rohrleitungen anzapfen.

Die trockene Erde läßt Schädlinge aller Art gedeihen. In vier kretischen Landgemeinden vertilgen Würmer die Weintrauben und wühlen sich selbst in die Wohnungen vor.

Not leiden vor allem die Städter. Die Trinkwasserversorgung vieler Großkommunen am Mittelmeer steht vor dem Zusammenbruch. Jahrzehntelange Versäumnisse von Regierungen und Kommunalverwaltungen rächen sich nun.

Schuld an der Misere ist nämlich keineswegs nur der Mangel an Regen, sondern auch der schlechte Zustand des Leitungsnetzes. In Athen und Piräus gehen rund 35 Prozent des Trinkwassers durch Rohrbruch verloren. Etwa 750 000 Wasserzähler sind defekt, weswegen mehr als ein Drittel des Verbrauchs nicht in Rechnung gestellt werden kann. Fortlaufend mahnen Rundfunk- und Fernsehspots sowie Zeitungsanzeigen die Athener zum Wassersparen.

Aufgegeben wurde der Plan, Wasser aus Seen und Flüssen mit Tankern nach Athen zu befördern. Der Bau der notwendigen Hafen- und Pumpeinrichtungen sowie der Rohrleitungen würde acht Monate in Anspruch nehmen.

So blieb nur die Suche nach neuen Wasserquellen. Die Kommunalbehörden erhielten Sondermittel, um im Stadtbereich nach Trinkwasser zu bohren.

Die Wassergesellschaft heuerte gar Rutengänger an, denen ein stattliches Erfolgshonorar winkt. Aus Kreta eilte der Bauer Charalampos Lambrinidis herbei, der mit seiner Wünschelrute unter dem Athener Hausberg Hymettos einen unterirdischen Fluß entdeckt haben will; er soll die Hauptstadt vom Wassermangel erlösen.

Vor einer Rationierung des Wassers, wie sie nicht nur Istanbul, sondern auch Palermo und andere sizilianische Orte verordnet haben, raten griechische Experten dringend ab: Wird die Wasserversorgung auch nur stundenweise unterbrochen, steigt die Seuchengefahr. In die brüchigen Wasserleitungen können krankheitserregende Bakterien eindringen und, wenn das Wasser wieder fließt, direkt zum Verbraucher gelangen.

Zwar zeigte eine Erhöhung der Wassertarife um bis 400 Prozent erste Erfolge: Der Verbrauch sank um ein Fünftel. Doch auch damit ist keine wirksame Abhilfe geschaffen. Athens Vorräte reichen bestenfalls bis Ende Oktober. »Fast die halbe griechische Bevölkerung«, dramatisierte die Wirtschaftszeitung Oikonomikos Tachydromos, »wird von einem schrecklichen Massensterben bedroht, dem Dursttod in drei Monaten.«

Die Bürokratie wirkt auch in anderen Staaten beim Wassernotstand mit: In Neapel trat Bürgermeister Lezzi aus Protest zurück, weil die Regionalbehörde das schon vor drei Jahren bewilligte Geld für das letzte Stück einer Wasserleitung, die der Stadt 11 000 Liter Wasser pro Sekunde zuführen soll, noch immer nicht bereitgestellt hat. Unter der Stadt Neapel liegen 2500 Kilometer Wasserleitungsrohre, die 100 Jahre alt sind.

Mancherorts am Mittelmeer ist bereits der Wasserkrieg ausgebrochen. Französische Bauern zerstörten Wasserleitungen, die zu Städten führen. Gendarmen verplomben Bewässerungssysteme, wenn das behördlich genehmigte Wasserquantum verspritzt ist.

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