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Südafrika - Rückzug ins Laager?

Verzweifelt suchen in Pretoria die Außenminister der fünf Westmächte, darunter auch Bonns Genscher, Südafrika von seinem Plan abzubringen, dem ehemaligen Deutsch-Südwest gegen den Willen der Uno im Alleingang die Unabhängigkeit zu geben. Scheitert die Mission, dürfte die Uno Sanktionen beschließen, die auch den Westen träfen.
aus DER SPIEGEL 42/1978

Pretoria sonnte sich in ungewohntem Glanz. Südafrikas Regierungssitz, sonst eher bieder-konservativ, schien den Einheimischen Ende vergangener Woche geradezu dem »Wien des vorigen Jahrhunderts« zu gleichen, wie ein entzückter Lokalkolumnist schrieb -- so viele wichtige Politiker kamen in die Buren-Metropole.

Beschirmt von Dutzenden vierschrötiger Männer reisten die »dicken Fünf«, so die südafrikanische Presse, ans ferne Kap: die vier Außenminister Gyrus Vance (USA), Donald Jamieson (Kanada), David Owen (Großbritannien), Hans-Dietrich Genscher und der französische Staatssekretär Olivier Stirn. Pretorias »Burgers Park« vermietete 125 Zimmer, allein 80 an die Amerikaner und 30 an die Deutschen.

Nie zuvor hatte der Westen derart geeint und hochkalibrig, zumal in Afrika, um eine friedliche Lösung gerungen. »Wer hätte schon gedacht, daß die fünf mächtigsten Nationen der Erde eines Tages zum Aussätzigen der Welt gekrochen kämen?« verwunderte sich Johannesburgs »Financial Mail«. Die liberale Zeitung kannte den Grund: »Es ist der Ausdruck ihrer Verzweiflung.«

Wohl wahr. Südafrikas Absicht, in der Namibia-Frage allein, ohne Beteiligung der Uno, vorzugehen, machte die konzertierte Minister-Aktion nötig. Denn am 23. Oktober läuft eine Frist ab, die die Uno Südafrika gesetzt hat. Beharrt Südafrika auch dann noch auf den für den 4. Dezember angesetzten Wahlen für eine verfassunggebende Versammlung im früheren Deutsch-Südwest, dürfte die Weltorganisation Sanktionen beschließen, die nicht nur den Kap-Staat, sondern auch den Westen treffen würden.

Denn gerade die Industrien der »dicken Fünf« sind in Südafrika mit Milliarden-Investitionen engagiert. Fast 20 Milliarden Mark legten allein die Briten an, die Jobs von 70 000 Arbeitern des Vereinigten Königsreiches hängen direkt vom Südafrika-Handel ab.

»Verrückt« nannte Londons Botschafter in Pretoria, Sir David Scott, die Boykott-Forderungen der Dritten Welt. Selbst Amerikas hitzköpfiger Uno-Botschafter Andrew Young beurteilte Sanktionen als »ziemlich schwierig«.

Schwierig wären sie nicht allein für den Westen, sondern auch für afrikanische Staaten, die auf den Handel mit Südafrika angewiesen sind. Das Beispiel Sambias, das jüngst seine Grenzen zu Rhodesien wieder öffnete (siehe Seite 143), zeigt, wie sehr die Nachbarn eines wirtschaftlich wenig bedeutenden Binnenlandes wie Rhodesien unter Sanktionen zu leiden haben.

So wäre ganz und gar ungewiß, wer kurzfristig Südafrikas Rolle als Nahrungsmittel-Lieferant etlicher schwarzafrikanischer Staaten, so etwa Zaires, übernehmen könnte. Das Bewußtsein, daß auch die Gegner ihrer Politik in einer Zwangslage sind, erleichtert es den Südafrikanern, hart zu bleiben.

Dabei hatte es zunächst so ausgesehen, als verlaufe alles wunschgemäß. Bis vor dreieinhalb Wochen schien die sonst so störrische Burenmacht, die Namibia wie eine heimische Provinz verwaltet, auf die Angebote und Garantien der fünf Westmächte eingehen zu wollen: Die Uno sollte mit Soldaten und Zivilpersonal freie Wahlen und die Machtübergabe an die schwarze Mehrheit sicherstellen.

Doch als die zwischen den Westmächten und Südafrika ausgehandelte Namibia-Einigung, vom Sicherheitsrat modifiziert, als »Waldheim-Plan« veröffentlicht wurde, wähnte sich die Pretoria-Regierung betrogen: Statt der mündlich verabredeten 2000 bis 3000 Mann wollte die Uno nun 7500 Blauhelme ins Wüstenland schicken, was nach Südafrikas Ansicht eine Stärkung für die von ihm bekämpfte linke Befreiungsorganisation Swapo bedeuten würde.

Mit Zugeständnissen bei der Truppenzahl wollen die Außenminister dem neuen Premier Pieter Willem Botha entgegenkommen. Doch damit allein sind die Südafrikaner wohl kaum umzustimmen. Aus strategischen Gründen nämlich möchten sie in Windhuk um jeden Preis eine ihm genehme Regierung der »Demokratischen Turnhallen-Allianz« (DTA) haben.

Diese Dachorganisation von elf ethnischen Gruppen Namibias, benannt nach der ehemaligen deutschen Turnhalle in Windhuk, in der von 1975 an ihre konstitutionellen Gespräche stattfanden, besteht auf Wahlen, so wie Südafrika sie will.

DTA-Sprecher Dirk Mudge, der vergangene Woche noch in Bonn vorsprach: »Ein Aufschub der Wahlen würde die Südwestafrikaner enttäuschen.«

Er hat es eilig. Denn »das Ansehen der Swapo steigt«, lautete vergangene Woche eine Schreckensmeldung in Windhuk: Die militanten, von der Uno als Gesprächspartner akzeptierten Nationalisten wurden durch weitere Verhandlungen, bei denen Südafrika zurückstecken mußte, aufgewertet, weitere Monate Verzögerung würde die DTA wertvolle Stimmen kosten.

Deshalb hatte Südafrika den Alleingang gut vorbereitet: Entgegen dem dazumal noch gültigen westlichen Friedensplan wurden in Namibia schon seit Monaten Wähler registriert. Allerdings kam es in einigen Wahlkreisen zu peinlichen Schönheitsfehlern, die sich nicht mehr kaschieren ließen.

»Warum haben sich in einigen Gebieten bereits IOS Prozent Wahlberechtigte registriert?« höhnte beispielsweise der Anwalt Bryan O'Linn von dem Zentrumsparteien-Bündnis »Namibia National Front« (NNF). Er vermutet, daß einige Namen zwei- oder dreimal aufgenommen wurden. Auf jeden Fall ist solchermaßen ein Sieg der DTA gesichert. zumal sich weder Swapo noch NNF an den Wahlen beteiligen wollen.

»Uns wird der Zorn der gesamten Welt um die Ohren schlagen«, befürchtet der Chefredakteur des »Natal Mercury« aus Durban und erinnerte an die Zeiten des historischen Buren-Trecks. »Dann haben wir uns das Laager selbst gewählt, und es nützt nichts, über die Konsequenzen zu weinen.«

Der Westen möchte Südafrika diesen Selbstmordkurs ersparen, nicht zuletzt, um auch selber als Vermittler das Gesicht zu bewahren. Denn ein Scheitern des Westens in Namibia könnte eine Kettenreaktion auslösen -- auch in Rhodesien, dessen Premier lan Smith vorige Woche in die USA reiste.

Würde das Nachbarland vollends im Bürgerkrieg versinken, könnte Südafrika nicht tatenlos zusehen. Premier Botha glaubt ohnedies, in Rhodesien und in Namibia gelte es, »die höchsten Werte der zivilisierten Welt« zu verteidigen. Nach Buren-Lesart heißt das, in Salisbury und in Windhuk müßten notfalls gewaltsam prosüdafrikanische Regierungen an die Macht gebracht und an der Macht gehalten werden,

Die westlichen Außenminister in Pretoria seien zu einer »Mission Impossible« angetreten, meinte denn auch die »Financial Mail«. Sie könnten nur dabei helfen, »nicht Südafrika, sondern sich selbst vom Haken zu lösen«.

»Wir wollen sagen können, wir haben alles versucht«, erklärte ein hoher westlicher Diplomat in Pretoria am Freitag dem SPIEGEL.

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