Südafrika: »Stiefkinder Gottes«
Südafrikas Polizei soll künftig unter Ausschluß der Öffentlichkeit prügeln und schießen dürfen.
Polizeiminister Louis le Grange verbot vergangene Woche den Journalisten, sich dorthin zu begeben, wo schwerbewaffnete Polizisten gegen aufständische junge Farbige vorgingen. Bis Freitag abend hatte das Polizeiministerium 30 Tote und 174 Verletzte gezählt. Berichterstatter, die sich in Leichenhäusern und Hospitälern umsahen, kamen jedoch auf mindestens 42 Tote.
Fast genau auf den Tag vier Jahre nach dem blutig niedergemachten Kinderaufstand von Soweto, als über 600 Jugendliche starben, viele hinterrücks von Polizeikugeln getroffen, erschütterten wieder schwere Rassenkrawalle die Apartheidrepublik. »Eine Tragödie, die unserem Land unendlichen Schaden zufügen wird«, erkannte die »Rand Daily Mail«, Johannesburgs liberale Tageszeitung. »Eine Situation, die furchtbare Ausmaße anzunehmen droht«, befürchtete auch die schwarze Zeitung »Post«.
Die Geduld der nichtweißen Bevölkerung Südafrikas ist offenbar erschöpft. Vor eindreiviertel Jahren war Premier Botha mit dem Vorsatz angetreten: »Wir müssen uns anpassen oder sterben.« Es blieb bei Worten, Versprechungen. Den Kern der diskriminierenden Rassengesetzgebung tastete Botha nicht an. Ermutigend dagegen das Nachbarland Simbabwe, wo der einstige Guerilla-Führer Mugabe als Premier amtiert und die Macht in die Hände der Afrikaner übergegangen ist. Nun gehen Südafrikas Farbige wieder auf die Straße.
Anfang Juni brannten schon die Tanks einer Raffinerie und der Kohleverflüssigungsanlage Sasol. Seither gab es kein Ende des Aufbegehrens.
Die schwersten Zusammenstöße ereigneten sich in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch, als Jugendliche unter anderem die Zufahrt zum Malan-Flughafen in Kapstadt mit brennenden Autoreifen und Ölfässern blockierten. Autos wurden angezündet, blutende Weiße diskutierten erregt vor dem Flughafengebäude.
Anders als bei den Aufständen von 1976, als sich vorwiegend Schwarze landesweit erhoben, protestierten diesmal Mischlinge gegen die Apartheidwillkür, denn sie sind kaum besser dran als die Schwarzen.
Pretorias Rassenpolitiker haben das 27-Millionen-Volk in vier große Gruppen unterteilt: Schwarze, Mischlinge ("Coloureds"), Asiaten (meist indischer Abstammung) und Weiße. S.101
Wer »Coloured« auf seiner Kennkarte stehen hat, ist oftmals ein Pechvogel: Er wird weder von den Weißen noch von den Schwarzen voll akzeptiert. Findelkinder werden nach Augenschein rassisch eingestuft. Sofern ein Mischling hellhäutig, gar blond und blauäugig ist -- was nicht selten vorkommt --, kann er beim Innenministerium die »Reklassifizierung« beantragen und sich damit in das privilegierte Leben der Weißen einschmuggeln.
Kein Wunder, daß es gerade unter den Mischlingen seit langer Zeit gefährlich brodelt. »Wir sind der Sand zwischen den Mahlsteinen von Schwarz und Weiß«, sorgte sich schon vor Jahren der Schriftsteller Adam Smal, als er den heraufziehenden Rassenkonflikt prophezeite. »Stiefkinder Gottes« nannte ein wohlmeinender Parlamentarier der Nationalen Partei voll schlechtem Gewissen die Coloureds.
Über 80 Prozent der knapp drei Millionen braunen Südafrikaner leben auch heute noch in der Kap-Provinz, in trostlosen Schlafstädten wie die Schwarzen. Sie verdanken ihre Existenz der Farbenblindheit der ersten burischen Siedler am Kap der Guten Hoffnung, die sich mit einheimischen Hottentotten-Frauen vermischten.
Die weiße Professorin Erica Theron hatte schon vor Jahren im Regierungsauftrag ein voluminöses Forschungswerk über das Coloureds-Problem erstellt und als einzige Lösung die allmähliche Integration der Mischlinge vorgeschlagen. Doch auch unter dem mit Vorschußlorbeer bedachten »Reform-Premier« Botha soll die Regierungsmacht ausschließlich in weißen Händen bleiben. Mischlingen, Indern und Chinesen will er in einem sogenannten Präsidialrat allenfalls beratende Funktionen einräumen.
Doch damit war die Mischlings-Bevölkerung nicht zufrieden. Sie solidarisierte sich immer häufiger mit den Schwarzen. Am vergangenen Montag beispielsweise, als schwarze Südafrikaner der Toten vom 16. Juni 1976 gedachten, während Polizisten in Soweto und Bloemfontein mit Knüppeln und Tränengas vorgingen, wurden auch die meisten Betriebe in der Kap-Provinz von Mischlingen aus Sympathie bestreikt. Zur gleichen Zeit demonstrierten indische Studenten in Durban.
Vor allem die jüngeren unter den »braunen Buren« -- sie sprechen Afrikaans als Muttersprache wie die burische Herrschaft -- bezeichnen sich heute stolz als Schwarze, obwohl sie auf der Stufenleiter der Apartheid eine Sprosse höher stehen.
Doch in der Wirtschaft gelten auch für Coloureds die unfairen Spielregeln der Weißen. So erhalten Mischlinge in den seltensten Fällen für gleiche Arbeit auch den gleichen Lohn wie weiße Kollegen, obwohl sie als geschickte und durchaus ebenbürtige Handwerker einen guten Ruf genießen.
Diese Zustände nehmen sie nicht mehr hin. Streiks gab es im Industrieballungsraum um Port Elizabeth, wo am Freitag 7000 Arbeiter im Ausstand waren, und im Volkswagenwerk in Uitenhage. Das VW-Werk, das wegen des Streiks von 3500 Arbeitern stillag, bezahlte bislang einen Minimallohn von etwa 2,50 Mark die Stunde, die Streikenden fordern jetzt 4,50 Mark.
Verbitterung gegen die Ausbeutung durch die Weißen entsteht schon bei den schulpflichtigen Mischlingskindern. Viel zu wenige Lehrer müssen oftmals im Schichtbetrieb unterrichten, weil es an Klassenzimmern mangelt. Der Staat gibt für weiße Schüler rund dreimal soviel Geld aus wie für Coloureds-Kinder. Aus diesem Grund wird seit Wochen der Unterricht boykottiert. »Chancengleichheit für alle« steht auf der Mauer einer bestreikten Schule in Kapstadt.
Wie immer, wenn die Apartheid schließlich zum wütenden Protest der Benachteiligten führte, reagierten die regierenden Weißen mit unnachgiebiger Härte. Wiederholt kam es in der letzten Zeit zu blutigen Zusammenstößen der Schüler mit der Polizei.
Auch die Umsiedlungspolitik der Regierung hat mit zu den gegenwärtigen Unruhen beigetragen. Die Mischlinge wohnten vormals mitten in Kapstadt, am Fuß des Tafelbergs, im zwar ärmlichen, aber doch malerischen »District Six«. Heute sind von dem einstmals farbenfrohen Altstadtbezirk mit gußeisernen Balkonen und Kopfsteinpflaster nur wenige Häuser übriggeblieben.
Nachdem Bulldozer unter Polizeischutz und gegen den erbitterten Widerstand der Bevölkerung das Gelände planiert hatten, wurde mit der weißen Besiedlung begonnen. Die einstigen Bewohner von Distrikt sechs mußten auf die »Cape Flats« umziehen, eine windige karge Einöde, etliche Kilometer außerhalb von Kapstadt.
»Die beschämende Verhaltensweise gegenüber der Mischlingsbevölkerung« ("Rand Daily Mail") ist selbst einigen Nationalisten aus der Regierungspartei heute peinlich. Johannesburgs regierungsnahe »Beeld«-Zeitung regte für die »armen Mischlinge« eine wirtschaftliche Rettungsaktion an, »mit ebensoviel Feingefühl«, wie es die Nationalen bei ihrer Machtübernahme 1948 für »arme Weiße« gezeigt hätten.
Polizeiminister le Grange will derweil von Feingefühl nichts wissen. Im Gegenteil: Nur »gnadenloses Auftreten« hilft nach seiner Meinung aus der Krise. Als farbige Jugendliche Geschäfte plünderten und Brände legten, ließ er seinen Polizisten den Feuer-frei-Befehl ("shoot to kill") geben.
Damit bewies der Minister fast die gleiche Instinktlosigkeit wie sein Vorgänger James Thomas ("Killer") Kruger. Der hatte auch Öl ins Feuer gegossen, als er nach dem Foltertod des schwarzen Bürgerrechtlers Steve Biko vor drei Jahren sagte: »Dit laaat my koud.« (Das läßt mich kalt.)
Bei weißen Wählern kommen solche Sprüche allerdings recht gut an. Denn sie glauben ihrer Regierung, daß bei den Aufständen wieder einmal »skollies« (Taugenichtse) und Kommunisten am Werk waren.
»Kommunisten«, höhnte die schwarze »Post«, »halten sich unter dem Bett eines jeden schwarzen Mannes in diesem Land versteckt.«