Südjemen: »Moskau aus der Hand geglitten«
Klein sind sie und schmächtig. Viele von ihnen messen kaum mehr als 1,50 Meter. Auf dem Kopf tragen sie Turbane in kräftigen Farben, rot, braun.
Ihr kittelartiges Gewand wird durch einen breiten Gürtel zusammengehalten in dem ein rasiermesserscharfer Dolch steckt. Auf die schmalen Schultern drücken Patronengurte: So sehen sie aus, die Männer der Lahadsch und Hagariya, der Wahidi, Bakasin, der Awadsil und der anderen Stämme Südjemens.
Seit dem 13. Januar steigen sie von ihren Bergen herab, um mit Krummdolch und Kalaschnikow in einen gnadenlosen Bürgerkrieg einzugreifen, der um die Macht in Aden entbrannte.
Die zähen, ausdauernden Stammeskrieger wirken nur auf Fremde wie Hollywood-Komparsen - auf der arabischen Halbinsel gelten sie als todesverachtende Kämpfer, würdig ihrer Vorfahren, die zu jenen Eliten zählten, die einst den Islam bis nach Europa trugen.
Ob sie nun für Marx oder Mohammed streiten, mag sie nicht sonderlich berühren. Vordringlich erscheint ihnen, für die Ehre des Stammes einzustehen, das heißt denjenigen Kontrahenten des blutigen Streits in Aden zu helfen, die zur Prominenz des eigenen Stammes zählen.
Da ist ein Krieg entbrannt, mit dem kein Ausländler so recht etwas anzufangen wußte. Anhänger des früheren Staatschefs und heutigen Chefideologen der Staatspartei Abd el-Fattah-Ismail putschten gegen den amtierenden Präsidenten Ali Nassir Mohammed. Zum Kampf boten sie Armee-Einheiten wie auch Stammeskrieger auf.
Aden, als »Rattenloch am Roten Meer« verschrien, brannte; in den Straßen wurde mit Kalaschnikow und Dolch gekämpft. Granaten trafen westliche Botschaften und demolierten die Gebäude der sowjetischen Vertretung.
Flüchtende Ausländer wateten ins Meer hinaus, wo Rettungsboote auf sie warteten. Eine Armada von britischen französischen und sowjetischen Schiffen hatte sich zu einer grandiosen Evakuierungsaktion zusammengefunden. Sogar die Jacht der englischen Königin, die »Britannia«, die zufällig vor Aden lag, half mit, Flüchtlinge nach Dschibuti hinüberzuretten.
Was in Aden geschah, offenbarte aller Welt die Ohnmacht der Sowjet-Union. Die hatte, glaubten viele, das Land fest im Griff, ist doch der Südjemen der einzige marxistisch regierte Staat Arabiens. Sollten jetzt die Fehden einiger tausend, oft abenteuerlich bewaffneter und meist analphabetischer Bergbewohner über die politischen und strategischen Chancen der Großmacht im Indischen Ozean mitentscheiden?
Der Bruderzwist unter den arabischen Kommunisten des Südjemen ist für die Zukunft der sowjetischen Stützpunkte i;n dem gebirgigen Land und auf der vorgelagerten Insel Sokotra von großer Bedeutung - und somit indirekt auch für Amerikas strategische Überlegungen.
Vereinbarungen über den 1979 geschlossenen Freundschaftspakt hinaus gestatten den Sowjets, 18000 Soldaten im Südjemen zu stationieren. Von dort aus kann Moskau die Zufahrt zum Bab el-Mandeb, dem Tor der Tränen (wie der Eingang des Roten Meeres auf arabisch heißt) kontrollieren und damit auch den Verkehr durch den Suez-Kanal. Ebenso sind die Sowjetbeobachter von hier aus in der Lage, die Schiffsbewegungen an der Zufahrt zum Persischen Golf zu überwachen.
Zwar haben beide Parteien versichert, treu wie bisher zu ihrem Bündnis mit der Sowjet-Union zu stehen. Aber dadurch ist die Lage für Moskau nicht einfacher geworden. Unsicher zögerte der Kreml, offen irgendeine Seite zu favorisieren.
Die Gefahr, so oder so einen großen Teil der Bevölkerung gegen sich aufzubringen und dadurch am Ende in eine kritische Lage zu geraten, gar die Stützpunkte zu gefährden, scheint den Sowjets zu groß. So luden sie lieber zu Verhandlungen - vorerst vergeblich.
Ende vergangener Woche war der Ausgang des Machtkampfs noch unklar. Über den Äther tönte es aus zwei sowjetischen Armee-Sendewagen, die von den Aufständischen requiriert worden waren: »Der Tyrann Ali Nassir Mohammed hat das Spiel verloren, das ganze Land ist von seinem Schmutz befreit.« Auf gleicher Wellenlänge beruhigte ein irgendwo im Osten der Hauptstadt stationierter Notsender die Bevölkerung: »Bis auf
wenige Widerstandsnester sind die Landesverräter niedergekämpft worden.«
Ratlos sahen die Sowjets zu, wie die innerjemenitische Krise an Schärfe zunahm. »Die Entwicklung ist uns buchstäblich aus der Hand geglitten«, verlautete aus der sowjetischen Botschaft. In Wahrheit jedoch hatten die Sowjets die Entwicklung im Südjemen noch nie unter Kontrolle, ebensowenig wie die Querelen in Syrien oder die exzentrischen Ausfälle Oberst Gaddafis in Libyen, wo gleichfalls Tausende von sowjetischen Beratern stationiert sind.
Dabei wäre die dramatische Zuspitzung spätestens seit Juni vergangenen Jahres zu erkennen gewesen, als die Delegierten für den im Oktober tagenden dritten Kongreß der sozialistischen Staatspartei gewählt wurden. Damals erhielten die Anhänger des Ali Nassir Mohammed über 70 Prozent der Mandate.
Prompt fochten die Parteigänger seines Intimfeinds Abd el-Fattah Ismail die Wahlen an. Der Mann, der zusammen mit Ali Nassir einst gegen die britischen Kolonialherren gekämpft und dafür gesorgt hatte, daß der Südjemen nach der Unabhängigkeit 1967 marxistisch wurde, konnte nie verwinden, daß er 1980 aus der Staatsspitze verdrängt worden war.
Dabei war er nach eigener Einschätzung »einziger Jemenit, der den Marxismus wirklich begriffen hat«, noch glimpflich davongekommen. Seine Vorgänger im Amt wurden eingekerkert oder ermordet. Aber auch Abd el-Fattah Ismail selbst hatte nie gezögert, mit Gegnern hart umzuspringen. Das nahmen ihm nur wenige übel, denn Grausamkeiten sind üblich in jenem Land, dessen Führer bisher nur selten im Bett starben.
Viel mehr empörte die Jemeniten, daß die rigorose Verstaatlichungspolitik des Präsidenten, die nicht den kleinsten Laden in Privatbesitz duldete, die Wirtschaft des armen Landes völlig lähmte.
Abd el-Fattah Ismail wurde 1980 nach Moskau ins Exil abgeschoben. Zu denen, die beim Ausbooten des Staatschefs am eifrigsten halfen, gehörte auch der damalige Verteidigungsminister Ali Antar - der sich heute wieder auf die Seite seines ehemaligen Widersachers geschlagen hat.
Der neue Präsident Ali Nassir führte eine liberalere Wirtschaftspolitik ein, erlaubte beispielsweise, daß Südjemeniten als Gastarbeiter in den Ölstaaten, vor allem in Saudi-Arabien, dringend benötigte Devisen verdienten. Außerdem knüpfte er Kontakte zum Westen an.
Daß Ali Nassir sich daranmachte, sein Verhältnis zu den arabischen Nachbarn zu normalisieren, konnte den Sowjets nur recht sein. Zu Zeiten seines Vorgängers hatte sich der Südjemen als »Speerspitze der fortschrittlichen arabischen Kräfte gegen Reaktion und Imperialismus« betrachtet. Vom Südjemen aus operierten Rebellengruppen gegen das Regime von Sultan Kabus im Nachbarstaat Oman, trugen Befreiungsbewegungen den Untergrundkampf in nahezu alle arabischen Ölstaaten.
Im Südjemen fanden auch europäische wo Terroristen sicheren Unterschlupf. Palästinenser konnten dort wohlbehütet den Waffengebrauch erlernen. Durchlässige Grenzen zu den Nachbarstaaten schufen ideale Voraussetzungen für subversive Aktionen.
Lange war es Moskau willkommen daß der südjemenitische Verbündete die arabischen Monarchen in Unruhe hielt und die Herrschaft der traditionell westlich orientierten Fürsten am Golf bedrohte. Doch spätestens nach der Revolution des iranischen Ajatollah lernten die Sowjets die Zuverlässigkeit der kapitalistischen Emire schätzen.
Ali Nassir ließ - gewiß mit Moskaus Einverständnis - die Büros der Befreiungsbewegungen schließen und knüpfte engere Verbindungen zum Nordjemen. Die Freundlichkeit gedieh sogar bis zur Ausarbeitung einer gemeinsamen Verfassung. Doch hat das weder im konservativen Nordjemen noch im roten Südjemen viel zu besagen. Außerhalb von Sana und Aden endet die Regierungsgewalt schnell, denn im offenen Land und auf den Bergen bestimmen seit jeher die Stämme.
Die neue Politik zeigt Wirkung: Im vergangenen Jahr beschlossen Oman und die Vereinigten Arabischen Emirate, diplomatische Beziehungen zur Sowjet-Union aufzunehmen. Auch Bahrein scheint geneigt, mit den Sowjets Botschafter auszutauschen. Damit wäre Moskau einem wichtigen Ziel nähergerückt: Beziehungen zu den bisher exklusiv amerikafreundlichen Saudis.
Dazu ist schon einige Vorarbeit geleistet. Vergangenes Jahr hatte Prinz Feisal, ein Sohn Königs Fahds, mit 53
saudischen Fußballern die Sowjet-Union besucht und zwischen den Freundschaftsspielen »sehr gute Gespräche« mit hochrangigen Regierungsfunktionären geführt.
Die diplomatische Offensive könnte nun stocken, wenn die Anhänger von el-Fattah Ismail wieder an die Macht kommen - und damit die Saudis wieder vor subversiven Aktionen aus dem Südjemen bangen müssen.
Ali Nassirs Fehler war, daß er den Kampfgefährten von früher im Februar 1985 aus dem Moskauer Exil heimkehren ließ. Der frühere Präsident hatte zwar feierlich versprochen, sich nun um die Organisation der Partei und nicht um Wirtschaft und Außenpolitik zu kümmern.
Doch schon von Moskau aus hatte er sich mit Ali Antar verbündet. Der Präsident feuerte den Verteidigungsminister und fand ihm mit dem einflußlosen Posten des Vizepräsidenten ab. Für el-Fattah Ismail war auch der entmachtete Ali Antar ein wertvoller Verbündeter, wegen seines Einflusses auf Stammeskrieger und alter Verbindungen zur Armee.
Im Herbst vergangenen Jahres entfachte Abd el-Fattah Ismail eine Kampagne gegen seinen Rivalen. Die Kasernen der jemenitischen Armee wurden zu revolutionären Diskussionsstätten, die Spannungen erreichten einen Höhepunkt, als Anfang des Jahres Waffen an die Bevölkerung ausgegeben wurden. Offen beschuldigte der Aufrührer den Präsidenten, »die Interessen des südjemenitischen Proletariats zu verkaufen und gemeinsame Sache mit dem amerikanischen Imperialismus« zu machen.
Was immer er damit meinte, einen Teil der Armee schien es Grund genug, sich hinter ihn zu stellen.
Als Vermittler schalteten die Sowjets die palästinensischen Haudegen Naif Hawatmeh und Georges Habasch ein. Die beiden hatten in den sechziger Jahren die »Bewegung der Arabischen Nationalisten« gegründet. Die Machthaber im Südjemen waren die einzigen aus dieser Schule, die in einem arabischen Staat an die Führung gelangten. Doch vergeblich - die Sache mußte ausgekämpft werden. Ende vergangener Woche gewannen die Rebellen allmählich die Oberhand. Präsident Ali Nassir wurde aus der Hauptstadt zurückgedrängt und suchte in den Bergen bei ihm ergebenen Stämmen Zuflucht.
Abd el-Fattah Ismail und sein Verbündeter Ali Antar scheinen den Machtkampf nicht überlebt zu haben, sie sollen schon am 13. Januar bei einer Schießerei auf einer ZK-Sitzung umgekommen sein. Für die Rebellen sprach Ende der Woche ein Gremium, in dem ihre Namen nicht auftauchten. Statt dessen wurde der bisherige Premierminister Heidar Abu Bakr al-Attas zum provisorischen Staatspräsidenten ernannt.