STUDENTEN / KATHOLISCHE KORPORATIONEN Suff und Muff
Der Alte Herr Albrecht Frank fürchtet eine Gretchenfrage unter Männern: »Kartellbruder, bist du katholisch oder nicht?«
Denn Frank, Legationsrat in Bonn, gehört einer der beiden größten katholischen Korporationen an, die künftig womöglich Nichtkatholiken aufnehmen sollen. Er ist Vize-Vorsitzender des Altherrenbundes im »Kartellverband katholischer deutscher Studentenvereine« (KV). Den Verbindungen des KV gehören 6000 aktive Studenten und 12 000 Alte Herren an. Noch größer ist der CV- der »Cartellverband der katholischen deutschen Studentenverbindungen« mit doppelt soviel aktiven Studenten (12 000) und Alten Herren (24 000). Die CVer tragen die Farben ihrer Verbindungen an Mützen und Schulterbändern, die KVer nicht.
Wie in den KV durften auch in den CV bislang nur katholische Kommilitonen eintreten. Aber dieses Prinzip ist hier wie da bereits durchlöchert, so beispielsweise bei den CV-Verbindungen »Rheinstein Köln« und »Ferdinandea Prag zu Heidelberg« sowie den KV-Vereinen »Hansea Halle-Münster« und »Saxo-Lusatia Dresden zu Aachen«.
Die Aufnahme von Nichtkatholiken ist nicht der einzige Reformplan katholischer Verbindungsstudenten. Auf der »Kartellwoche 68« in Blankenberg (Siegtal) plädierten KV-Delegierte im Oktober vergangenen Jahres dafür, alte Titel abzuschaffen: »Erstchargierte« und »Fuchsmajore« beispielsweise soll es nicht mehr geben. Sie schlugen vor, die Probezeit für Füchse (Neumitglieder) aufzuheben. Sie wollen künftig auf das Tragen von Wichs -- die Repräsentationskluft der Verbindungsvorsitzenden mit Schnürjäckchen und Stulpenstiefeln -- verzichten. Und sie sind entschlossen, bei feierlichen Zusammenkünften deutsch zu sprechen, anstatt lateinische Floskeln zu gebrauchen. Beispiel: »Tempus peto« für »Darf ich austreten?«
Während diese Reformen den meisten CV- und KV-Mitgliedern durchaus diskutabel erscheinen, wollen nicht wenige Aktive, vor allem aber die meisten Alten Herren dafür sorgen, daß Ihre Verbände wenigstens rein katholisch bleiben.
Darüber entscheidet der KV in dieser Woche auf seiner Vollversammlung in Regensburg, der CV Anfang Juni auf einem Plenum in Kiel. Und damit alles beim alten bleibt, gaben die obersten Gremien der beiden Verbände vorab »Erklärungen« ab: Der 0V-Rat nannte die Aufnahme von nichtkatholischen Kommilitonen »unzulässig«, der KV-Rat bezeichnete sie sogar als »rechtswidrig«.
Einzelne Verbindungen hatten nämlich schon ihre Satzungen geändert, um Nichtkatholiken aufnehmen zu können. Andere hatten ihre protestantischen Freunde dem Verband lediglich als »Konkneipanten« oder »Korporationsfreunde« gemeldet (die nach alter Tradition nicht katholisch sein müssen), ihnen in Wirklichkeit aber volle Mitgliedsrechte eingeräumt.
Solche Schliche basieren auf unpräzisen CV- und KV-Satzungen. Sie stammen in ihren »Grundsätzen aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts, als sich katholische Studenten im »Akademischen Leseverein Berlin« zuzusammenfanden und 1863 auf dem Frankfurter Katholikentag einen katholischen Studentenverband gründeten.
Sie schrieben »Religion -- Wissenschaft -- Freundschaft« auf ihre Fahnen und forderten von ihren Mitgliedern, daß sie »für die Verwirklichung katholischer Grundsätze« eintreten müßten. Sie legten nicht fest, daß nur Katholiken Mitglieder werden könnten.
Doch schon nach zwei Jahren zerfiel der Verband in den weiterhin farbentragenden CV und den KV, der fortan auf Farben verzichten wollte. Damals zweifelte weder irgendein Cartell- noch irgendein Kartellbruder, daß die »Verwirklichung katholischer Grundsätze« den katholischen Taufschein voraussetzten.
Heute definieren zahlreiche katholische Verbindungsstudenten Prinzip und Satzung pragmatischer:
Der CVer Dr. Louis Peters, Jurist in Köln, fordert die Zulassung von Nichtkatholiken aus zwischenmenschlichen Gründen: »Wir wollen zwar ein katholischer Verband bleiben, aber an die Stelle einer katholisch-konfessionellen Ausrichtung soll mehr eine allgemein christliche Zielsetzung treten. Auch Nichtkatholiken, die unsere Freunde sind, sollten dem Verband angehören können.«
Der KVer Christian Lellek, Diplom-Kaufmann in München, schlägt die Zulassung aus missionarischen Gründen vor: »Ausnahmsweise sollten Mitglieder anderer christlicher Konfessionen in den KV aufgenommen werden, wenn sie ernstlich glauben, daß ihnen die katholische Glaubenslehre hilft, das private Leben glücklicher zu führen, den Beruf erfolgreicher auszuüben und im öffentlichen Leben dienstbereiter aufzutreten.«
Folgerichtig erwartet Lellek, daß etwaige nichtkatholische Mitglieder »sich im Laufe ihrer KV-Zugehörigkeit entschließen sollten, zur katholischen Kirche überzutreten«.
Doch dieser Eifer ist vielen Jungkatholiken fremd. Sie wollen im CV oder im KV »nur den netten, gemütlichen Betrieb, religiös sind sie flach, abgestanden, uninteressiert«, wie der KVer Albrecht Frank sagen hörte.
Bekehrungen wie die des Japaners Dr. Yujiro Shinoda, heute Professor in Tokio, durch die CV-Verbindung »Rheinstein-Köln« sind Ausnahmen. Selbst katholische Studenten treten dem KV oder dem CV oft nur deshalb bei, weil sie sich Protektionen durch einflußreiche Alte Herren erhoffen. Nicht von ungefähr glauben CVer, was einst Theodor Heuss karikierte: daß sich »Zufall mit CV schreibt«. Cartellbrüder sind beispielsweise Bundespräsident Lübke, Wehrbeauftragter Hoogen und der frühere Kanzleramtschef Globke (SPIEGEL 45/1968).
Gegen den Reformeifer und die Religionsmüdigkeit kämpfen eben jene Alten Herren, auf deren Förderung die Jungen hoffen. Die Zulassung von Nichtkatholiken »käme letzten Endes der Selbstaufgabe und Selbstzerstörung gleich«, seufzte der CV-Rat. KV-Ratsvorsitzender Weibels: »Die Gefahr der Spaltung ist sehr real.«
In den »Akademischen Monatsblättern« des KV wird ein Protest nach dem anderen zu Papier gebracht. Kartellbruder Nonnenmühlen aus Bad Honnef prophezeit dort eine »weitere Auszehrung durch den religiösen Indifferentismus«. Kartellbruder Johannknecht aus Neheim-Hüsten zweifelt an »einer Wiedergenesung unserer an ihrer Gottlosigkeit erkrankten Welt«. Kartellbruder Frank aus Bonn meldet Skepsis an: »Suff und Muff kann es auch nach dem Abschneiden aller Zöpfe geben.«
Und Kartellbruder Peter Chmelarz aus Kitzingen hat schon aufgegeben: »Lieber ein kleiner Kreis echter Persönlichkeiten als ein amorpher Haufen ... Ist eine Gesundschrumpfung nicht möglich, dann lieber ein ehrenvolles Sterben.«