BERLIN Sump und Seide
Eine Politik, die nichts einbringt, taugt nichts«, das hatten schon die Berliner Ganovenbrüder Leo und Willi Sklarek verkündet, die 1929 mit der ersten spektakulären Politikerbestechung in der alten Reichshauptstadt Furore machten. In der Bestechungskartei der Sklareks standen Stadträte fast aller Couleur. Weil seine Frau von den beiden Gaunern eine Pelzjacke weit unter Wert übernommen hatte, mußte Berlins Bürgermeister Gustav Boß, der später allerdings rehabilitiert wurde, den Posten räumen.
Nach dem Sklarek-Prinzip fallen auch heute noch Entscheidungen, wie der am vorigen Freitag mit rechtskräftigem Urteil abgeschlossene Prozeß gegen den ehemaligen CDU-Baustadtrat Wolfgang Antes bestätigt hat.
Für den einst einflußreichen Parteipolitiker zahlte es sich aus, daß er nach mehr als achtmonatigem Leugnen vor dem Kriminalgericht Moabit Anfang letzter Woche mit dem Geständnis herausrückte, in drei Fällen Bestechungsgeld erhalten zu haben. Mit fünf Jahren Freiheitsstrafe, Einzug der eingestandenen Bestechungssumme (300000 Mark) und sofortiger Haftverschonung (aus Gesundheitsgründen) kam der einstige Vorsitzende des CDU-Kreises Charlottenburg vergleichsweise milde davon. Die Belastung für die Union wird bleiben, zu viele Parteimitglieder sind in den Korruptionsfall Antes verwickelt.
Berliner Ermittler halten auch nach dem Urteil an ihrer Einschätzung fest, daß Antes Bestechungsgelder teilweise als »bribe broker« (Korruptions-Makler) im Auftrag von Parteifreunden kassiert hat. »The Berlin Sump«, über den die »New York Times« berichtete, wurde zum international geflügelten Wort für jenes Mafiastück an der Spree, in dem sich moderne Wirtschaftskriminalität der Steuerjongleure, Abschreibungshaie und Großspender aus der Bauwirtschaft mit CDU-Funktionären, halbseidenen Bordelliers und dumpfer Gangstergewalt verfilzte.
Antes partizipierte jahrelang am Charlottenburger Baugeschehen wie ein »tributheischender Wegelagerer« (Staatsanwaltschaft); sein gerade noch vereiteltes Meisterstück: die Verscherbelung von 2000 stadteigenen Wohnungen gegen ein Schmiergeld von fünf Millionen Mark.
»Da hängt der halbe Presseball mit drin«, spottete ein Ermittler über das Defilee prominenter Beschuldigter. Auf der Schmiergeldliste des Bauunternehmers Kurt Franke standen kleine Verwaltungsreferenten neben Spitzenpolitikern bis hin zum Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen, allesamt Bakschischempfänger des Baulöwen.
»Der Sumpf greift nach Ihnen«, frohlockte die sozialdemokratische Opposition, die selber vor Jahren im Sumpf untergegangen war. Drei Senatoren und ein Staatssekretär des Diepgen-Senats mußten abtreten, andere CDU-Spitzenpolitiker wurden schwer angeschlagen - trotz aller Vertuschungsmanöver.
Lange hatte die Parteiführung versucht, den Korruptionsverdächtigen gegen Angriffe aus den eigenen Reihen abzuschirmen, später blockte Diepgens Senatskanzlei ein Disziplinarverfahren gegen Antes ab, so lange es eben ging.
Der CDU-beherrschte Senat profitierte von einer auffälligen Zwiespältigkeit der CDU-geführten Justiz. Die Anklagebehörden hatten mit ihren Ermittlungen die Reihen von Wirtschaftskriminellen und Unionsspitzen zunächst beispiellos gelichtet, im weiteren Fortgang des Verfahrens aber Konsequenz vermissen lassen. Prominente Spendenempfänger kamen ohne Prozeß davon, und wer schließlich doch auf die Anklagebank mußte, durfte mit Milde rechnen.
Das zunächst gegen acht Angeklagte begonnene Antes-Tribunal schrumpfte, einige Verfahren wurden abgetrennt, fünf Beschuldigte bekamen Freiheitsstrafen. Am Ende saß nur noch Antes auf der Anklagebank, sofern er nicht - wegen Verhandlungsunfähigkeit - im Klinikum bleiben mußte.
Auch für Antes lief es besser nach seinem 300000-Mark-Geständnis. Zwar hatte die Staatsanwaltschaft weitaus höhere Summen errechnet: Allein die inzwischen verurteilten Bauinteressenten Christoph Schmidt-Salzmann und Heinz-Werner Raffael hatten die Bestechungssumme von 350000 Mark eingestanden, der Makler Jörg Helmut Oldenburg und Jürgen Lund, Konfident des Bordellwirts Otto Schwanz, je 50000 Mark und Bauunternehmer Franke noch einmal 150000 Mark dazu.
Die Beamten vom Finanzamt Charlottenburg-Ost wunderten sich über die von Antes geltend gemachten Ausbau-Aufwendungen für eine fränkische Mühle (über 760000 Mark), die allzu deutlich das Einkommen eines Stadtrats überstiegen. Gleichwohl nahm die Anklage das
Antes-Geständnis ("Ein Beitrag zum Rechtsfrieden") zum Anlaß, auf weitere Beweiserhebung zu verzichten und die Einstellung der Ermittlungen in anderen Antes-Vergehen zu signalisieren. So läßt die Justiz wohl ungeklärt, *___aus wessen Kassen die vom Finanzamt festgestellten, im ____Prozeß jedoch nicht zugeordneten Nebeneinnahmen ____geflossen sind; *___ob neben Antes nicht auch die CDU etwas von jenen fünf ____Millionen Mark Schmiergeld abbekommen sollte, die der ____Stadtrat vom Wuppertaler Kaufmann Otto Putsch, dem ____Interessenten des Charlottenburger Wohnungsdeals, ____abgefordert hatte; *___auf welche Weise denn die »Bauinteressen« des ____bestechungsverdächtigen Großspenders Franke »von der ____Senatsebene lebhaft unterstützt« wurden, wie Antes ____gestand und auf die damaligen Senatoren Klaus Franke ____(CDU), Gerhard Kunz (CDU) und Horst Vetter (FDP) bezog.
Auch deshalb wird sich die Hoffnung des Senats, das anstehende 750. Stadtjubiläum von all den häßlichen Affären freizuhalten, nicht erfüllen. Schlagzeilenträchtig wird der parlamentarische Untersuchungsausschuß wohl noch das nächste Jahr mit der Durchleuchtung der Antes-Affäre beschäftigt sein.
Doch bei der Justiz sind alle Beteiligten zufrieden. Der gestrengen »Nibelungenkammer«, wie das Gericht unter Richter Hagen Hillebrand von Berliner Juristen bespöttelt wird, bleibt eine Urteilsaufhebung durch den Bundesgerichtshof erspart. Die nämlich wäre nach der verwegenen Verhandlungsführung über ärztliche Gutachten und Abwesenheit des Angeklagten hinweg »so sicher gewesen wie die sicherste Revision« (Antes-Verteidiger Manfred Studier).
Die Staatsanwaltschaft kann nun den rechtskräftig verurteilten Hauptbeschuldigten in weiteren Verfahren als Zeugen präsentieren. Das Geständnis von Antes hat, auch die Spendenliste des Bauunternehmers Franke als Beweismittel aufgewertet: Das Verzeichnis, dessen Aussagekraft der Baulöwe durch Widerrufe heruntergespielt hatte, wird nun als Belastungsmaterial in den Meineidsverfahren gegen Politiker und Beamte benötigt. Sie hatten vor Gericht bestritten, in der von Franke angegebenen Weise bedacht worden zu sein.
Schließlich arbeiten die Anklager darauf hin, daß Antes ihnen sein Wissen »für die künftige Aufklärung zur Verfügung« stellt, wie Staatsanwalt Hans-Jürgen Fätkinhäuer noch im Gerichtssaal forderte. So bestimmte nicht zuletzt Antes selbst über das Strafmaß.
Sein Lohn: Er ist Weihnachten in Freiheit, sein Haftantritt auf unabsehbare Zeit verschoben, auch die anfangs beschlagnahmte Millionen-Mühle, die laut Berechnungen der Staatsanwälte einschließlich Einrichtung 1406810 Mark wert ist, bekommt er zurück.
Gegen den ersten Schritt zur Resozialisierung hat sich der Delinquent nicht gewehrt. Die Hälfte der 300000 Mark, die laut Prozeßergebnis sein krimineller Zugewinn sind, wird ans Finanzamt abgeführt - als Einkommensteuer.