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VERPFLEGUNGS-AUTOMATEN Suppe vom Flur

aus DER SPIEGEL 16/1965

Autokönig Heinz Nordhoff hatte mit

spitzem Stift rechnen lassen: Jede Tasse Kaffee, die seine VW-Arbeiter in der Kantine tranken, kostete das Werk duch den weiten Weg 2,70 Mark Zeitausfall. Das war ihm zu teuer, und er ließ Autotmatenkioske direkt am Arbeitsplatz errichten.

Zeitungs-Cäsar Axel Springer kalkulierte ähnlich. Zur Cafeteria im 7. Stock seines Hamburger Büroturms und zum Schreibtisch zurück waren seine Mitarbeiter bis zu 28 Minuten unterwegs. Das summierte sich im Jahr zu einem Verlust von 80 000 Mark. Der Presselord stattete deshalb jede Etage mit Automaten aus.

Die Kieler Howaldtswerke AG schließlich sparte einen Lohnaufwand von jährlich über 100 000 Mark für ihre 65 Frühstücksholer ein. Werftherr Adolf Westphal schickte sie in die Produktion, als er erkannte, daß Automaten die Belegschaft wesentlich billiger bedienen.

Indes sind es nicht allein Kostenüberlegungen, die immer mehr Firmen der Bundesrepublik veranlassen, die betriebliche Zwischenverpflegung zu rationalisieren, mindestens ebenso wichtig ist ihnen der Sozialeffekt. Denn auch die Liebe zum Werk und zur Arbeit geht durch den Magen.

Umfragen in 80 Textilfabriken ergaben, daß 40 Prozent der Frauen morgens völlig nüchtern an die Maschine kommen. Mit dem alten Henkelmann, mit Thermosflasche und Butterstulle mag aber in den Fabriken kaum noch jemand antreten. An die Stelle der häuslichen Vorsorge tritt daher die automatisierte Unternehmensfürsorge.

Im Jahre 1956 standen an westdeutschen Arbeitsstätten erst 28 sogenannte Heißgetränke-Automaten. Heute sind es mehr als 4200. Sie setzten im vergangenen Jahr etwa 100 Millionen Portionen Kaffee, Kakao, Suppe und Tee im Wert von rund 25 Millionen Mark um.

Der Heißgetränkespender ist meist nur Kern einer ganzen Automatenbatterie, die für die kleine und große Pause ein reichhaltiges Sortiment anbietet: Fruchtsäfte in Pappbechern, Tütenmilch, Limonade, Cola, Bier in Flaschen, Brötchen, Butter, Marmelade, Wurst, Aufschnitt, Fleischsalat, Käse, belegte Brote, Süß- und Tabakwaren.

Die Daimler-Benz AG wandte allein für die 25 Automatenbatterien, die im Werk Gaggenau 8000 Mann versorgen, 750 000 Mark auf.

Vor der Frühstücks-Automation waren bei Mercedes oder Opel Vesperwagen durch die Hallen gerollt. Das stete Gedränge und die langen Wartezeiten, die durch Abrechnung und Geldwechseln entstanden, verärgerten die Belegschaft und beeinträchtigten den Produktionsgang.

Jetzt kann jeder Daimler- oder Opel -Arbeiter seine Kräfte automatisch regenerieren, ohne an bestimmte Zeiten gebunden zu sein und ohne den Betrieb zu stören. Sein Weg zum nächsten Automaten beträgt allenfalls 50 Schritte.

Die Kurzpause je nach individuellem Bedürfnis ist überdies kein Luxus. Arbeitsphysiologen, wie Professor Dr. Otto Graf, sehen in ihr sogar ein entscheidendes Mittel zu Leistungssteigerung.

Vor allem die Spätschicht in den Werken profitiert von der steten Dienstbereitschaft der Automaten. Die Nachtarbeiter der Continental Gummiwerke oder der Stahlwerke Röchling können zu jeder Stunde heißen Kaffee oder Suppe zapfen. Früher mußten sie solche Aufmunterung entbehren: Wenn sie zu arbeiten anfingen, schloß die Kantine.

Nach der Branchenregel kosten Automatenbatterien für je 1000 Mann mindestens 50 000 Mark. Das ist zwar genausoviel wie der jährliche Lohnaufwand für 30 Frühstücksholer, im Gegensatz dazu aber eine einmalige Investition, die sich rasch amortisiert.

Rund 75 Prozent der Unternehmen betreiben ihre Automaten in eigener Regie. Die Stahlwerke Röchling mit ihren 34 Automatenbatterien gehören zu der Minderheit, die das Nachfüllen der Waren und die technische Wartung der Geräte Spezialisten überläßt.

Zu solchen Dienstleistungen erbieten sich inzwischen in der Bundesrepublik 252 Aufsteller- oder Operatorfirmen. Als Vertragspartner der Betriebe bekommen sie zumeist Zuschüsse, um die Werksverpflegung unter den üblichen Ladenpreisen anbieten zu können. Ein Becher Kaffee kostet in der Regel 20 Pfennig. Trotzdem ist die Umstellung auf Automatenverpflegung immer ein Ereignis, das sorgsam vorbereitet werden muß. Aushänge machen die Belegschaft schon lange vor dem Erscheinen mit den Blechkameraden bekannt: »Automaten sollen Ihre stummen Kollegen sein, die mithelfen, Ihnen die Arbeit zu erleichtern.« Denn nicht jedermann kann als »automatengeeignet« angesehen werden, wie Dr. Magnus Radke von der Firma Telefonbau feststellt. Der Idealkunde ist kontaktarm, aber konsumfreudig.

Eine Emnid-Umfrage offenbarte vor allem unter den weiblichen Büroangestellten Feindschaft. 22 Prozent antworteten lapidar: »Kaffeekochen bevorzugt.« Zwölf Prozent der Befragten, die den Plausch am Kaffeekessel schätzen, reagierten ganz schnippisch: »Erübrigt sich, da Kochgelegenheit vorhanden.«

Dennoch sind Henkelmanns Erben zuversichtlich: der deutsche Nestle-Konzern, der Kaffee- und Suppenpulver mixt, und die Telefonbau und Normalzeit GmbH, die Automaten produziert. Ihre gemeinsame Tochter, die Informations- und Forschungsgemeinschaft für Automatenverpflegung GmbH, schätzt allein die Zahl der inzwischen automatenreifen Klein- und Mittelbetriebe in Westdeutschland auf 30 000.

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