PHILOSOPHEN / TEILHARD DE CHARDIN Synthese der Götter
Vierzig Jahre lang verketzerte die römisch-katholische Kirche ihren Sohn, den Philosophen, Paläontologen und Jesuiten Pierre Teilhard de Chardin (1881 bis 1955), scheuchte ihn zu den Grenzen der zivilisierten Welt, belegte seine Schriften mit Verboten und verdächtigte ihn gar des Konkubinats -- bis ihn, den inzwischen Verstorbenen, die Marxisten annektierten. Jetzt möchte ihn die Kirche wiederhaben.
Inzwischen haben Kommunisten zumal französische, den Priester zum Schutzheiligen eines marxistischchristlichen »Dialogs« gemacht, zur Leitfigur einer philosophischen Koexistenz, innerhalb derer das Christentum zwar die ehrwürdige Rolle des Seniorpartners spielen soll, der Kommunismus aber die des tatendurstig voranstürmenden Juniors.
Lange zögerte die Kirche, den »Dialog« zu akzeptieren und den ihr entfremdeten Sohn heimzuholen. Einerseits sieht sie noch immer in dem von den Kommunisten heiliggesprochenen Priester ein Trojanisches Pferd, andererseits lockt sie der lebensnahe, optimistische Elan der Lehre Teilhards.
Jetzt gab sie ein erstes Zeichen. Sie erteilte -- zum erstenmal -- einem philosophischen Werk* des Jesuiten ihr »Imprimatur«, die Druckerlaubnis, und stürzte damit einen über Jahrzehnte sich erstreckenden Katalog von Teilhard-Tadeln um:
> 1926 verbot sie dem Priester, nachdem seine ersten Aufsätze bekanntgeworden waren, weitere Schriften philosophischen oder theologischen Inhalts zu veröffentlichen;
> 1932 ordnete der spätere General der Jesuiten Johannes Baptist Janssens als Rektor in Löwen an, ein Teilhard-Manuskript zu vernichten;
> 1950 verurteilte Papst Pius XII. in seiner Enzyklika »Humani generis« die Lehren Teilhards
> 1957 -- zwei Jahre nach dem Tode des Paters -- dekretierte das Heilige Offizium, die höchste Behörde der Kirche zur Überwachung der Glaubens- und Sittenlehre, die Entfernung aller Teilhard-Bücher aus den Seminaren und kirchlichen Häusern;
> 1962 ermahnten die römischen Glaubensrichter mit einem »Monitum« neuerlich alle Christenmenschen, die Werke des Paters zu meiden.
Indes, trotz aller kirchlichen Verbote und Dekrete erwiesen sich Teilhards Schriften, oft waren es nur kurze Aufsätze, als erstaunlich haltbar. Schon zu
* Teilhard de Chardin: »Ecrits du Temps de la Guerre«. Erscheint unter dem Titel »Frühe Schriften« im Walter-Verlag, Olten und Freiburg.
Lebzeiten des Paters wurden sie kopiert, wanderten von Hand zu Hand und wurden gesammelt.
Doch erst nach dem Tode Teilhards und erst nachdem französische Kommunisten auf ihn aufmerksam geworden waren, wurde aus der Bewunderung eines esoterischen Freundeskreises ein globales geistiges Ereignis mit politischer Pointe.
Der Wortführer marxistischer Teilhard-Verehrer wurde Roger Garaudy, Philosophie-Professor und Mitglied des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Frankreichs -- ein leidenschaftlicher Verfechter des christlichmarxistischen Dialogs.
In seinem 1959 veröffentlichten Buch »Perspectives de l'Homme« schrieb Kommunist Garaudy: »Von der Geschichte des Atoms bis zu jener des Menschen, von der Dialektik der Natur bis zur Moral sind der marxistische Philosoph und Pater Teilhard auf demselben Wege gegangen.«
Garaudy drängte auch die Kreml-Zensoren, Teilhards erstes, nach seinem Tode veröffentlichtes Werk »Der Mensch im Kosmos« für die kommunistische Weltkirche freizugeben. 1966 erschien »Der Mensch im Kosmos« als erstes Teilhard-Werk, das erste Buch eines Jesuiten überhaupt, in Moskau auf russisch.
Ein Jahr zuvor hatte der polnische Marxist Leszek Kolakowski den Priester Teilhard zum »Propheten der Welt als Heimat des Menschen« erkoren. Und auf der diesjährigen Tagung der Paulus-Gesellschaft in Marienbad (SPIEGEL 20/1967) erklärte der Prager Kommunist Milan Prucha: Die Beschäftigung mit Teilhard bedeute den Marxisten mehr als der Kampf mit »ideologischen Widersachern«.
Mit Begeisterung erkannten alle diese kommunistischen Neuerer, daß Teilhards Menschheits-Visionen in entscheidenden Punkten mit denen Marxens übereinstimmten.
Hatte Marx als Endziel der Menschen-Geschichte die »klassenlose Gesellschaft«, das »Reich der Freiheit« gesetzt, so erschaute Teilhard dort den »Gipfel Omega«, das Gottesreich.
Freilich: Hatte Marx sich vorgestellt, das Reich der Freiheit könne nur auf revolutionärem Wege erkämpft werden, so predigte Teilhard den »evolutionären«, allen Menschen offenstehenden Weg zum Gottesreich.
Am Anfang der Teilhardschen Welt-Evolution steht der Schöpfungsakt Gottes, der Punkt Alpha. Doch Gott hat keine fertige Welt geschaffen, sondern nur die Keime ihrer Entwicklung zu einer vollkommenen Welt gesät.
Seine Welt, so urteilt einer der wenigen kompetenten deutschen Teilhard-Interpreten, der Jesuiten-Professor Adolf Haas, sei kein widerborstiger, in sich uneiniger »Klotz' den Gott vor sich herschiebt«, sondern ein dynamisches, sich ständig fortentwickelndes Ganzes, dessen geistige, gesellschaftliche und politische Tendenzen das Streben nach dem Gottesreich manifestierten.
Denn für Teilhard gibt es nichts, das nicht dem Omega zustrebt. Der Christ, so fordert der Jesuit, darf diese Welt nicht als etwas Gegebenes hinnehmen. Er soll die Evolution zum Ziel führen -- in der Sprache Marxens: Er soll die Erde verändern.
Was die roten Bewunderer entzückte, erschreckte die schwarzen Zensoren: Teilhards Synthese von Himmel und Erde, von diesseitiger und jenseitiger Welt. Alles Übernatürliche, so lehrte der Pater, sei einbezogen in das Evolutionsgeschehen der Welt, es erwachse gleichsam aus der Welt.
Damit hob Teilhard die von der Kirche eifersüchtig bewachte Grenze zwischen Himmel und Erde auf. Zwar ist der »Gipfel Omega« kein nur diesseitiges Paradies im Sinne Marxens, doch auch kein nur jenseitiges.
Mit jedem Schritt zum »Gipfel Omega« erreicht, so meinte Teilhard, das Diesseits einen höheren Grad der Humanität, einen höheren Grad der Ähnlichkeit mit dem Gottesreich.
Voraussetzung für eine Humanisierung der Welt, für eine Annäherung an das Gottesreich ist der Glaube an die Zukunft der Menschheit. Diesen Glauben aber haben laut Teilhard nicht die Christen, sondern die Marxisten.
Als treibenden Motor seiner Welt-Evolution -- und darin liegt der eminent politische Aspekt seiner Philosophie -- fordert Teilhard deshalb nicht nur den »christlichen Gott von oben her«, sondern auch den »marxistischen Gott nach vorwärts«.
Erst die »Synthese« beider Götter ist, so Teilhard, »der einzige Gott, den wir von jetzt ab im Geiste und in der Wahrheit anbeten können«.
In diesen Thesen sah die Kirche eine Gefahr. So verurteilte Pius XII. im August 1950 in seiner Enzyklika »Humani generis« die Lehren Teilhards, weil sie von den »Schrittmachern des Kommunismus« dazu benutzt würden, den »dialektischen Materialismus erfolgreicher zu verteidigen und zu verbreiten.
Gleichwohl versuchte der Pater immer wieder, für seine evolutionäre Weltformel den kirchlichen Segen zu erhalten. Zwar durfte er seine Gedanken nicht veröffentlichen, zwar hatte ihn der Orden aus Furcht vor einem Ketzerprozeß nach China und später nach Amerika abgeschoben, doch Teilhard schickte seine Manuskripte aus der Verbannung und von den zahlreichen Forschungsreisen -- die letzte unternahm er 1953 nach Südafrika -- immer wieder nach Europa, in der Hoffnung, seine Kritiker schließlich doch noch zu überzeugen.
Freilich, seine Manuskripte wären niemals an die Öffentlichkeit gelangt, wenn er sie nicht selbst kopiert und regelmäßig an vertraute Freunde und seine ihm ergebene ehemalige Sekretärin Jeanne Mortier geschickt hätte.
Jeanne Mortier, heute Sekretärin der »Fondation Teilhard de Chardin« und der »Association Teilhard de Chardin«, wirkte während der fast 30jährigen Verbannung ihres Chefs als Verbindungsperson zwischen dem verfemten Professor und seinen Anhängern. Sie versteckte und vervielfältigte die Manuskripte Teilhards, und als er im April 1955 starb, organisierte sie die Herausgabe seines Nachlasses.
Sie mobilisierte Wissenschaftler, wie den Biologen Julian Huxley, Literaten, wie den jetzigen französischen Kulturminister Andre Malraux, und Politiker, wie den Präsidenten der Republik Senegal, Leopold Senghor, die Teilhards Erbe bewachen und unter ihrem Patronat edieren sollten.
Nun begann das Heilige Offizium einen Partisanenkampf, der ohne Beispiel in der Kirchengeschichte des 20. Jahrhunderts ist.
Es mahnte den Erzbischof von Paris, Kardinal Feltin, zum Kampf gegen Teilhard-Publikationen, ließ durch einen Pater bei Teilhards Verlag Protest einlegen und versuchte sogar, Teilhards Verwandtschaft einzuschüchtern.
Claude Cuénot, Primus unter den Interpreten des Jesuiten, dessen umfassende Teilhard-Biographie im letzten Jahr auch in Deutschland erschien**, behauptete gegenüber dem SPIEGEL, daß man sogar das Gerücht ausstreute, Jeanne Mortier sei die Geliebte des Paters gewesen.
Aber während das Offizium noch drohte und verleumdete, erschien bereits in Frankreich der sechste, in Deutschland -- im Freiburger Walter-Verlag -- der erste Band einer Teilhard-Gesamtausgabe.
Doch erst als Pius-Nachfolger Johannes XXIII. dem von ihm einberufenen Konzil den Auftrag gab, nach einem Ausgleich mit der modernen Welt und einer neuen Strategie für die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus zu suchen, gab die Kirche ihren hartnäckigen Widerstand gegen Teilhards Philosophie auf.
Teilhards Lehre über die aktive Rolle des Christen in der Welt und für die Welt bot der Kirche einerseits die Möglichkeit, in ein Gespräch mit dem Kommunismus einzutreten und ande-
* SPIEGEL-Titel 44/1965.
** Claude Cuénot: »Pierre Teilhard de Chardin. Leben und Werk«. Walter-Verlag, Olten und Freiburg; 812 Seiten; 48 Mark.
rerseits mit ihm auf dessen eigenem Feld zu konkurrieren.
Die Wendung signalisierte der südafrikanische Erzbischof Hurley, als er in der Konzilsaula Teilhard als »illustren Sohn der Kirche« rühmte. Und die positive Bedeutung der Teilhard-Lehre für das christ-kommunistische Verhältnis erläuterte Bischof Spülbeck aus Meißen am Beispiel Osteuropas.
Teilhards Vorstellung von einem am Fortschritt der Welt beteiligten Christen, so empfahl der Meißner Bischof, ermögliche den osteuropäischen Kirchen eine geistige Koexistenz mit ihren kommunistischen Regimes.
Zudem erkannte man in Rom, daß die Philosophie des Jesuiten das starre Gebäude des Kommunismus ins Wanken gebracht hatte.
In der Tat fasziniert heute Teilhards Evolutionslehre manche marxistische Denker in Ost und West mehr als Marxens Vorstellungen von der Weltrevolution und der Diktatur des Proletariats. Wie ehedem katholische Teilhard-Jünger von ihrer Kirche gemaßregelt wurden, so empfanden jetzt die kommunistischen Parteien Unbehagen an den Teilhard-Anhängern in ihren eigenen Reihen.
Frankreichs KP bremste immer wieder den Dialog-Eiferer Garaudy, und Polens KP verstieß den Teilhard-Verehrer Kolakowski aus ihren Reihen.
Um so intensiver bemüht sich neuerdings die Kirche um den Jesuiten. Und im Sommer 1965 wagte schließlich auch Jesuitengeneral Arrupe, Nachfolger des Teilhard-Gegners Janssens, seinen Mitbruder zu verteidigen.
Arrupe: »Es ist unmöglich, den Reichtum der Botschaft Pater Teilhards für unsere Zeit nicht zu bemerken. Er ist einer der großen Meister des Denkens in der gegenwärtigen Welt.«