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CSU Syrus der Sklave

aus DER SPIEGEL 39/1964

Was mittägliche Angelus-Läuten vom Turm der Tuntenhausener Wallfahrtskirche war verklungen. In der oberbayrischen Dorfkneipe des Schankwirts Hans Schmid, unmittelbar neben dem Gotteshaus, ließen sich die Mitglieder des Katholischen Männervereins erwartungsvoll nieder.

Der Vereinsführer, Bayerns Landwirtschaftsminister Dr. Dr. Alois Hundhammer, erhob sich gemessen und legte das Manuskript zurecht. Die Bauern staunten: Ihr »Alisi« pflegte sonst frei zu sprechen, nur an Stichworten orientiert.

Der Grund - für Hundhammers sorgfältige Vorbereitung wurde alsbald klar: Zum erstenmal seit langer Zeit griff der Vorsitzende des CSU-Bezirksverbands Oberbayern seinen Intimfeind, den CSU-Boß Franz-Josef Strauß, öffentlich an.

Als Zielhilfe diente ihm das offizielle CSU-Organ »Bayern-Kurier« (Herausgeber: Strauß), jahrelang ein unbeachtetes Provinzblättchen, bis Strauß in Ermangelung der Bonner Bühne daraus am 25. Juni dieses Jahres eine auch am Kiosk verkaufte »Deutsche Wochenzeitung für Politik, Kultur und Wirtschaft« machte (Druckauflage heute 80 000). Chefredakteur ist der Niederbayer Carl Schmöller, 29 ("Die Zeit": »Stimme seines Herrn").

Hundhammer in Tuntenhausen über das freue Leitthema des Strauß-Organs: Eine zu starke und ständige Kritik an dem Bundeskanzler aus unseren eigenen Reihen nützt auf die Dauer mehr unteren politischen Gegnern und der SPD als unserer Sache.« Ein großer Kreis der CSU-Mitglieder könne mit der im »Bayern-Kurier« vertretenen Auffassung nicht mehr völlig einig gehen.

Zugleich gab Hundhammer als erster CSU-Politiker vorsichtig preis, wie tief sich der auf Anstand bedachte Ludwig Erhard durch die Seitenhiebe der Strauß-Postille getroffen fühlt: Die zwischen dem CSU-Organ und dem Bundeskanzler in der letzten Zeit entstandene Spannung, »die uns keine Freude macht«, bewege die Gemüter innerhalb der Partei.

Anlaß von Hundhammers Philippika war der Aufmacher-Artikel des »Bayern-Kuriers« vom 12. September. Über fünf Druckspalten verwarf ein Pseudonymus Erhards Einladung an Chruschtschow als »bedenklich": Der Besuch in Bonn bringe nur Chruschtschow Vorteile. Das Blatt attestierte Bonn in diesem Zusammenhang »Schwankungen und Unsicherheiten der deutschen Außenpolitik«, »innere Unsicherheit der deutschen Politik« und »Desorientierung der Außenpolitik unserer Regierung«.

Der gewiegte Taktiker Hundhammer wagte seinen Tuntenhausener Vorstoß am vorletzten Sonntag freilich erst, nachdem schon andere CSU-Prominenz den ersten Stein gegen die Hauspostille ihres Parteichefs geschleudert hatte: die stellvertretenden CSU-Vorsitzenden Bundesschatzminister Werner Dollinger und Dr. Ludwig Huber, Chef der Münchner Landtagsfraktion.

Beide verfaßten ein offizielles Komriuniqué ("Wir bedauern") und nutzten ihre Chance: Während sich Strauß in seinem Bungalow zwischen St. Tropez und Fréjus an der französischen Riviera sonnt und schweigt, nahmen sie die Gelegenheit wahr, unbeaufsichtigt Kanzler Erhard und Außenminister Schröder ihre volle politische Übereinstimmung zu versichern.

Schon zuvor hatte Dollinger seinem Regierungschef die Meinung gesagt: Noch am Nachmittag des Tages, an dem der Artikel erschien, wurde er vom Bundeskanzler empfangen. Dollinger zum SPIEGEL: »Selbstverständlich wurde auch über den Aufsatz gesprochen. Der Bundeskanzler ist sehr unglücklich darüber. Seine Worte: 'Ich habe die CSU immer unterstützt, und jetzt werde ich laufend angegriffen.'«

Aufzuspüren, wer denn nun eigentlich die Attacke im »Bayern-Kurier« geritten hatte, blieb bislang in Boon wie in München erfolglos. Denn der Verfassername »P. Syrus« (die Nachrichtenagentur UPI: »In Münchner politischen Kreisen unbekannt") enthüllt nichts weiter als eine humanistische Geistreichelei: Ein freigelassener Sklave namens Publilius Syrus erwarb sich in Rom im ersten Jahrhundert vor Christus mit Verseschmieden Cäsars und des Volkes Gunst.

Die Zeit

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