ZEITUNGEN Tanz den Axel Springer
Das golden schimmernde Hochhaus, das der Verleger Axel Springer in den sechziger Jahren bauen ließ, liegt nicht weit von der Redaktion der »taz«, ein geübter Steinewerfer würde das locker schaffen. Aber es stehen auch ein paar Bäume dazwischen, und sie blockieren die Sicht aus dem 16. Stock des Springer-Hochhauses, in dem die Chefredaktion von »Bild« sitzt, auf die graue Fassade, hinter der jene Redaktion die Stellung hält, die bis heute glaubt, so etwas wie die Lufthoheit darüber zu besitzen, was links sein soll.
Aber was ist das? Ist es links, eine Skulptur von Kai Diekmann, 45, dem Chefredakteur von »Bild«, an der Fassade anzubringen, die ihn nackt zeigt, ausgestattet mit roter Brille, braunen Billigslippern und einem Penis, der sich über die Stockwerke des »taz«-Gebäudes erstreckt? Oder ist es bloß geschmacklos?
Diekmann, grauer Nadelstreifenanzug, braune Budapester-Schuhe im hohen dreistelligen Euro-Bereich, steht unten auf der Rudi-Dutschke-Straße, biegt den Hals nach hinten und betrachtet seinen riesenhaften rosa Doppelgänger. »Ich bin extra runtergekommen, weil mir die Bäume die Sicht versperren«, sagt Diekmann. »Aber ich bin immer noch nicht schlauer, wer das da an der Hauswand wirklich sein soll.«
Na, er selbst.
Diekmann erinnert jetzt an den amerikanischen Komiker Buster Keaton, der immer ein wenig traurig schaute. Aber es gibt da auch einen Hauch von Triumph und Ironie in seinem Gesicht. »Ich kann es nicht sein. Der verantwortliche Künstler Peter Lenk hat ausdrücklich verneint, dass ich es bin«, sagt er.
Seit zwei Wochen sorgt ein merkwürdiger Streit für Aufregung in der Berliner Medienwelt. Auf der einen Seite die »taz«, herausgegeben von einer Genossenschaft, ständig am Rand der Pleite, verkaufte Auflage 65 000. Auf der anderen Seite der Chefredakteur der größten Zeitung Europas, Cash-Cow des Springer-Konzerns, Auflage mehr als drei Millionen.
Lenk, 62, ein Künstler vom Bodensee, hatte die Anti-Springer-Installation, Titel: »Friede sei mit dir«, mit Genehmigung der »taz« am Redaktionsgebäude befestigt. Wut und Ärger ließen nicht lange auf sich warten. Aber sie kamen nicht aus dem goldenen Hochhaus. Der Unmut kam aus dem vierten Stock der »taz«, dort, wo Ines Pohl vor vier Monaten ein Büro als Chefredakteurin bezogen hat.
»Geht es nach dem Künstler Peter Lenk, dann soll ich mein Fahrrad jetzt für zwei Jahre jeden Morgen unter einem sechs Meter langen Pimmel abschließen. Was für eine klägliche Provokation. Wie öde. Ich habe schlicht keine Lust auf diese aufgeblasene Spießigkeit, die sich um den ewig traurigen Männermachtkampf dreht: Wer hat nun den Längeren«, empörte sich Pohl und forderte: »Wieder einpacken.«
Diekmann kann sein Glück kaum fassen, weil seine Gegner inzwischen die Waffen gegen sich selbst richten. Die Satire, die ihn entblößen sollte, ist zu einer Komödie über Selbstverständnis und Modernität der »taz«-Redaktion geworden. Während in der »taz« Chaostage ausgebrochen sind, begann Diekmann in seinem Blog selbstironisches Ju-Jutsu.
Unter dem Titel »Die Nackten und die Roten« höhnt Diekmann, die lieben Kollegen bei der »taz« seien in »letzter Zeit so humorlos und verbissen, dass man ab und an zweifelnd denken musste: Na, sind das wirklich Brüder im Geiste?« Unter der Überschrift »Wie viel Schwanz darf's sein?« bedauert er mit Schadenfreude die von ihm ach so geschätzten Tazler: »Ich hab's ja geahnt - jetzt zerfleischen sich meine 'taz'-Genossen wegen des Nacktmahnmals.«
Es half der Sache »taz« auch nicht, dass im Laufe dieses Blog- und Straßenkampfs die juristische Wunderwaffe der Redaktion, der Anwalt Johannes »Jony« Eisenberg, die Nerven wegschmiss.
Verkehrte Welt in der Rudi-Dutschke-Straße. Die Mannschaft, die gern von sich behauptet, dass es ihre Aufgabe sei, die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen, steht mit dem Rücken zu einer Wand, die sie selbst hat dekorieren lassen. Während sie von den vermeintlichen Betonköpfen des Großkonzerns mit den Mitteln moderner Spaß-Guerilla aufgerieben wird. Wer in diesen Tagen auf das seltsame Treiben in Berlins bekanntester Zeitungsstraße blickt, muss aufpassen, nicht völlig die Orientierung zu verlieren: Wer sind hier eigentlich die Spontis? Und wer die Spießer?
Kai Diekmann jedenfalls scheint eine gewisse mephistophelische Freude daran zu haben, den Springer-Sponti zu geben, und tritt so energisch und breit durch die Tür des italienischen Restaurants »Sale e Tabacchi« im Erdgeschoss des »taz«-Gebäudes, als gehörte ihm der Laden.
Früher saßen hier Redakteure der »taz«, sie hatten einen Deal mit dem »Sale e Tabacchi« ausgehandelt: 3,50 Euro für ein Mittagessen. Die ärmste Redaktion Deutschlands hatte einmal die beste Kantine des Landes. Aber dann begannen die Tazler, am Essen herumzumäkeln. Heutzutage nutzt Diekmann das »Sale e Tabacchi« als eine Art Wohnzimmer, in dem er sogar sein Anti-68er-Buch »Der große Selbstbetrug« vorstellte. »Feindesland? Überhaupt nicht«, sagt Diekmann. Die Tazler speisen längst schon in einer eigenen Kantine: »Gratinierter Fenchel auf Gorgonzola-Bechamel mit Gemüsebulgur« für 5,90 Euro.
Womöglich lässt sich in Berlin derzeit die letzte Schlacht eines mehr als 40 Jahre währenden Kulturkampfs beobachten. Es ist der Kampf der Linken gegen die »Bild«-Zeitung, die während der Studentenunruhen in den sechziger Jahren die Demonstranten beschimpfte und den Volkszorn schürte gegen die sogenannten Gammler. Der Tod Benno Ohnesorgs, das Attentat auf Rudi Dutschke, die 68er glaubten, die Schlagzeilen des Blattes seien dafür verantwortlich, und es gibt auch heute, mehr als 40 Jahre danach, kaum einen Grund, dies anders zu bewerten.
Die publizistischen Erben Axel Springers ringen immer noch mit der Vergangenheit. Und das aller Modernisierung zum Trotz. Regiert nicht mit Thomas Schmid der frühere Intimus von Daniel Cohn-Bendit die »Welt«? Hatte nicht der Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner diesen Sommer Apo-Veteranen wie Christian Semler und Peter Schneider zur Aufarbeitung der alten Feindschaft zum »Springer-Tribunal« in die Zentrale geladen? Und hatte er sich nicht eine deftige Absage eingehandelt, weil die Unversöhnlichen das Gefühl hatten, wie späte Trophäen vorgeführt zu werden?
Es gab und gibt viele offene Rechnungen zwischen »taz« und Springer. Und meistens sah Springer schlecht aus, weil die Tazler den Gegner mit Witz, Frechheit und Chuzpe bloßstellten. Gegen den Widerstand der Berliner CDU und des Springer Verlags setzten sie durch, dass ein Teil der Kochstraße in Rudi-Dutschke-Straße umbenannt wurde. Ihr prominentestes Opfer in den vergangenen Jahren hieß meist Kai Diekmann. Sie nannten ihn »Sudel-Kai«, der sich »mausig macht bei Brutalo-George W. in Washington«, der »arschkriecherisch Stichworte souffliert«, der »seine Schmierer ihrer Lieblingsbeschäftigung« nachgehen lasse. Diekmann beißt in sein Sandwich: »Ich bin in den vergangenen sieben Jahren ja auch weiser geworden, reifer. Ich habe mich überzeugen lassen, dass Satire eine Menge darf. Das muss dann aber auch für alle gelten, nicht nur für die Satire der 'taz'«.
Im Jahr 2002 schrieb die »taz« in ihrer Satire-Rubrik, dass der »Bild«-Chefredakteur sich in Miami den Penis habe verlängern lassen. »Dabei hätten ihm«, so die »taz« damals, »Adern, Schwellkörper und Fleischteile aus den Genitalien einer männlichen Leiche eingesetzt werden sollen, aber die Operation sei unglücklich verlaufen und einer Kastration des Patienten gleichgekommen.«
Richtig grausam wurde es für Diekmann, als er vor Gericht auf Unterlassung und 30 000 Euro Schmerzensgeld klagte. Von wegen Schmerzensgeld, beschied ihm das Gericht. Bis dahin hatten sich nur ein paar linke Spezialisten die Hände gerieben, jetzt stand einer der mächtigsten Chefredakteure in ganz Deutschland als Trottel da.
Einen Tag nach Diekmanns Relief-Besichtigung findet in der »taz« eine Betriebsversammlung statt. Es soll entschieden werden, wie es weitergeht. Einige Leser sind genervt, vielen Redakteuren ist das rosa Monster peinlich, aber kaum einer will Diekmann den Triumph des Abhängens gönnen.
Eine Entscheidung, die Kunst zu entfernen, wurde vertagt. Es gibt nun zwei Lager in der »taz«, jenes, das sich nicht länger vorführen lassen will vom Lieblingsfeind und das die Phallus-Kritiker im Haus als »neospießig-tantenhaft« schmäht, und das andere um Chefredakteurin Pohl, das das Ding unbedingt weghaben will. Peinlich ist die Diskussion fast allen, aber auch nach zweieinhalb Stunden
finden die Tazler keine richtige Antwort auf Diekmann.
Ines Pohl steht danach in einem grünen Anorak in der Kantine. Ihre Augen wirken matt, sie zuckt mit den Schultern. Einer habe vorgeschlagen, einen Springbrunnen in der Penisspitze zu installieren, aber das könne es wohl auch nicht sein. Deshalb bleibe die ungeliebte Plastik wohl erst mal.
Für Pohl ist es die erste Erfahrung, was es heißt, in einem basisdemokratischen Laden Chefin zu sein: Sie hat nicht viel zu melden. Vor vier Monaten hat man Pohl geholt, um die »taz« wieder ein Stück nach links zu rücken. Die vorige Chefin Bascha Mika war zu weltläufig geworden. Viele Redakteure murrten, sie interessiere sich mehr für die Kameras der Talkshows als für den Kampf gegen die Atomkraft.
Ines Pohl ist weniger Scheinwerferlicht, mehr schwäbischer Pietismus. Sie demonstrierte in Mutlangen, war Frauenbeauftragte der Universität Göttingen, arbeitete für verschiedene Regionalzeitungen. Pohl sperrt sich gegen die Inszenierung ihrer eigenen Person, die heute anscheinend zum Amt eines Chefredakteurs gehört. Im Wettkampf mit Diekmann wirkt sie wie jemand, der versucht, barfuß einem Ferrari hinterherzurennen.
Die rotwangige Frau scheint keine Chance zu haben gegen diesen Mann, der immer ein wenig so wirkt, als ob er in einem Wettbewerb namens »Deutschland sucht den Superchefredakteur« mitmachte. Schon mit 14 hielt er seinem Idol Helmut Kohl ein Mikrofon vor die Nase. Heute gehört der Altkanzler zur Familie, weil er Trauzeuge war. Mit 36 war Diekmann ganz oben bei »Bild«. Inzwischen hat Diekmann ein kleines Team um sich versammelt, mit dem er einen Blog betreibt, wo er auch Hotpants verkauft mit der Aufschrift »I § KD« und Umhängetaschen mit dem Motto »Sympathy for the Devil«.
Vor sechs Monaten trat Diekmann in die Genossenschaft der »taz« ein, ganz ernsthaft natürlich, und meldet sich besorgt zu Wort: »Wir wollten vor Jahresende den 9000. Genossen begrüßen. Von diesem Ziel verabschieden wir uns gerade. Ich fürchte, die Lenk-Aktion geht nach hinten los. Darüber müssen wir reden.« Nero als Musterkommunarde.
2003 hat er sogar schon mal eine Ausgabe der »taz« gestaltet, es war die bestverkaufte aller Zeiten, aber jetzt haben viele bei der »taz« das Gefühl, sie hätten sich damals mit dem Teufel eingelassen. Das Relief bleibt für die nächsten zwei Jahre erhalten - mindestens. Peter Lenk, der Urheber, beruft sich auf einen mündlichen Vertrag mit Kalle Ruch, dem Geschäftsführer der »taz«. »Wenn vorher einer drangeht«, sagt Lenk, »kostet das 130 000 Euro - und das wäre noch ein Freundschaftspreis.«
Lenk sitzt in der Küche seines Hauses am Bodensee. Ein Jahr hat er an seinem Werk gearbeitet, am Ende, als die Materialkosten fast 28 000 Euro betrugen, hat Lenk sogar sein Segelboot versetzt. Am Bodensee ist Lenk mit seinen derben Satiren ein Volksheld. In Ludwigshafen hat er voriges Jahr einfach ein Triptychon vor das Rathaus gestellt, eine deutsche Sex-und-Geld-Orgie. Eine nackte Angela Merkel fasst Edmund Stoiber ans Gemächt, der frühere VW-Betriebsrat Volkert grabscht nach brasilianischen Nutten. Der Andrang war so groß, dass die Verwaltung in den ersten acht Wochen allein 6000 Euro für falsch geparkte Autos einnahm. Mittlerweile hat die Gemeinde ein kleines Forum mit Sitzbänken davor errichtet.
Lenk ist ein Sponti der alten Sorte. Bei Demos in Stuttgart schrie er die Passanten an: »Nix zu saufen, nix zu ficken, aber aus dem Fenster kieken«, später als Lehrer, flog er, weil er die Schüler sich selbst benoten ließ. Seitdem bastelt Lenk Skulpturen.
Mit seiner Boulevard-Kunst ist Lenk so etwas wie der Diekmann vom Bodensee. Aber das genügt ihm nicht mehr. Er will den großen Auftritt in der Hauptstadt.
»Der Ball liegt auf dem Elfmeterpunkt und kann genau in die Vorstandsetage des Springer-Hauses getreten werden«, sagt Lenk. »Den Schadenfreude- und Schmuddelsexvirtuosen vor die Nase. Und Frau Pohl? Sie verbeißt sich in diesen Ball.« Die Pohl wolle aus der »taz« eine seriöse Zeitung machen. »Ich«, ruft Lenk trotzig, »bin aber nicht seriös.«
Diekmann, so scheint es, glaubt, dass der Kulturkampf schon entschieden sei. Natürlich zu seinen Gunsten. Deshalb lädt er die Tazler zu einer Friedensparty - mit Freibier von »Bild«.
Eine Vorstellung, bei der »taz«-Urgestein und »Blogwart« Mathias Bröckers schlecht wird. »Partys«, sagt Bröckers, »konnten wir schon immer besser feiern. Jetzt hängt erst mal zwei Jahre der Pimmel an der Wand.« Dann könne man immer noch Friedenspfeife rauchen.
* Nach einer Demonstration vor dem Verlagsgebäude in Berlin.